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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 38
55. Jahrgang | November
Rezensionen - DVD
Amerikaner in Europa
Jazz Icons, eine erstklassige DVD-Serie bei TDK
Nach
einigen interessanten, aber mehr oder weniger wahllosen Konzertmitschnitten
legt TDK mit diesen neun Scheiben unter dem Label Jazz Icons endlich
eine ernst zu nehmende Jazz-
edition auf DVD vor. Das ausnahmslos in Europa entstandene Material
ist durchweg erstklassig, in einigen Fällen gar sensationell.
Da tauchte etwa auf der Suche nach der besten Kopie eines Jazz-Messengers-Mitschnitt
von 1965 ein bis dahin unbekanntes belgisches Konzert-Dokument von
1958 in eben jener Besetzung auf, die einen Monat zuvor das legendäre
Album „Moanin’“ aufgenommen hatte (TDK DVWW-JIAB).
Den Titelsong und den „Blues March“ hören wir daraus
in frischen, exzellenten Versionen, dazu die Golson-Klassiker „I
remember Clifford“ und „Whisper not“ mit einem
überragenden Lee Morgan. Das Ganze angetrieben von einem unvergleichlichen
Leader Art Blakey, der in „A Night in Tunesia“ ein fulminantes
Solo abliefert.
Überhaupt die Drummer: Sonny Payne führt in einem ausgezeichneten
schwedischen Auftritt der Count Basie Big Band seine akrobatischen
Kunststücke vor (TDK DVWW-JICOB), und Buddy Rich macht mit
seiner „Killer Force“-Besetzung vor, was es heißt,
eine Big Band vom Drumset aus zum Siedepunkt zu bringen (Holland
1978, TDK DVWW-JIBR). Dazu Steve Marcus mit einem aberwitzigen Solo
zur „Channell One Suite“, dem Rich entsprechend antwortet.
Weitere Big-Band-Juwelen sind die zwei Auftritte mit Quincy Jones’
hervorragender Besetzung von 1960 (TDK DVWW-JIQJ). „Moanin’“
ist zu diesem Zeitpunkt schon zum dankbar nachgespielten Klassiker
avanciert (Clark Terry soliert am Flügelhorn), Phil Woods dominiert
die Balladen mit fabelhaftem Ton und Timing („The Gypsy“,
„The Midnight Sun will never set“). Und Julius Watkins
zeigt mit einem bizarren, originellen Solo, was das Horn im Blues,
Melba Liston in „My Reverie“ was eine Frau an der Posaune
zu sagen hat. Am Auftritt von Dizzy Gillespie mit der Big Band von
Kenny Clarke und Francy Boland von 1970 (TDK DVWW-JIDG) reizt vor
allem die Konfrontation mit den Band-Trompetern Art Farmer, Benny
Bailey und Dusko Goykovich, wobei Letzterer sich gar solistisch
mit dem Meister messen darf. Noch nicht ganz so dick sind 1958 Dizzys
Backen, groß aber die Spiellaune, mit der er sich im Quintett
mit Sonny Stitt präsentiert. Ein „On the sunny side of
the street“ angesiedeltes Gesangsduett darf da nicht fehlen.
Intimer geht es bei Chet Baker zu, der in einem befremdlichen
belgischen Studiointerieur 1964 ein herzzerreißend cooles
„Time after Time“ anstimmt und sich zusammen mit seinen
europäischen Kollegen (darunter Saxophonist Jacques Pelzer)
auch in die modale Klangwelt eines Miles Davis vorwagt („So
what“). 15 Jahre später verschmilzt er in einem norwegischen
Mitschnitt (samt Kurzinterview) seinen zerbrechlichen Trompetenton
aufs Feinste mit Wolfgang Lackerschmidts Vibraphon (TDK DVWW-JICHB).
Thelonious Monk ist mit seinem Quartett in zwei Fernsehaufnahmen
ohne Publikum zu erleben, passend zum asketisch-skelettierten Klang
seines Pianospiels, von dem sich auch Charlie Rouse am Tenorsax
inspirieren lässt.
Süffigster Swing dagegen von Ella & Louis, nicht gemeinsam,
aber in zwei wunderbaren Mitschnitten aus den späten 1950ern.
Die All-Stars rund um einen viel singenden, nach wie vor aber auch
blendend spielenden Satchmo liefern einen vitalen Querschnitt durch
ihre großen Hits („Basin’ Street Blues“,
„Mack the Knife“, „Stompin’ at the Savoy“)
(TDK DVWW-JILA), Ella Fitzgerald beweist ihre makellose Gesangskunst
in einem Konzert von 1957, bei dem abschließend auch Roy Eldridge
und Oscar Peterson einsteigen („It don’t mean a thing“).
Weniger spontan das Studiokonzert von 1963, bei dem sich mit „Desafinado“
auch mal eine Nummer einschleicht, mit der Ella nicht so viel anzufangen
weiß (TDK DVWW-JIEF).
Anstatt sich krampfhaft Bonusmaterial aus den Fingern zu saugen,
haben die Produzenten dankenswerterweise in schön bebilderte
Booklets investiert, mit ausführlichen Texten von Autoren (darunter
Michael Cuscuna und Ira Gitler), die zu diesen Dokumenten wirklich
etwas zu sagen haben. So muss es sein.