nmz 2006/11 | Seite 12
55. Jahrgang | November
taktlos
Nachrichten aus der Welt des Schönen, Wahren und Guten
Vatikanstadt/Bayern: Wie aus gut unterrichteten
Kreisen vermeldet, wird Papst Benedikt der XVI. anlässlich
seiner Bayern-Visite eine neue Enzyklika mit dem Titel »Voces
pueres« (arme Stimmen) vorlegen, die die Bedeutung das Gesanges
in der katholischen Liturgie neu bestimmt. Danach dürfen kirchliche
Lieder nur noch in geweihten Stätten gesungen werden. Jede
stimmliche Betätigung außerhalb von Kirchen und Kapellen
wird untersagt. Als Gesangssprache wird wieder »Latein«
Pflicht und das Benedictus soll wieder ins Zentrum der katholischen
Liturgie rücken. Allein schon papsteshalber. Besonderer Nebeneffekt:
Durch den auf Männer beschränkten Gesang lateinisch-sakraler
Texte, so die Forschungsstelle des Vatikan, erhalte man ein praktikables
und von höchster Stelle abgesegnetes Mittel zur Empfängnisverhütung.
Solcher Gesang sei für Frauen einfach nur zum Weglaufen.
Berlin: Der neue deutsche Pass soll nach Informationen
aus dem Innenministerium auf dem Identitäts-Prüfungs-Chip
zukünftig auch Gesangsproben des Besitzers beinhalten. „Kein
menschlicher Ausdruck sei so individuell wie der Gesang und identifiziere
eine Person charakteristischer als seine singende Stimme“,
meinte Pressesprecher Paul Fistel. So sei es erst kürzlich
gelungen, den Chor der schwedischen Nationaloper festzunehmen, da
sich in seinem Klangspektrum bei der Interpretation von Verdis Gefangenenchor
ausgesprochen terroristische Klangfarben gefunden hätten.
Bonn/Berlin: Ein neues Gesetz der Bundesregierung
sieht vor, im Rahmen der Gesundheitsreform das Rauchen an Theatern
strikt zu untersagen. Weder im öffentlichen noch im Bühnenraum
darf ab Januar 2007 mehr geraucht werden. Der deutsche Bühnenverein
kritisiert diese Entscheidung scharf. „Es sei eine unzumutbare
Einschränkung für das Regietheater schlechthin, angesichts
schwindender Kulissen-Etats ohne Rauch, Qualm und Dampf auszukommen“,
meinte der Direktor des Bühnenvereins Rolf Bolwin gegenüber
taktlos. Außerdem treibe man durch das Rauchverbot gerade
sensible Künstler in die Illegalität. Vereinzelt seien
Kolleginnen und Kollegen im Rahmen der Nikotin-Entgiftung schon
mit weißen Nasen, Spritzbesteck oder bunten Pillen angetroffen
worden. Ein Chorist der Komischen Oper habe gar zur Flasche gegriffen.
Zwickau: Mit großem Werbeaufwand forciert
die Thüringische Landesregierung die Abschaffung jeglichen
Kultur-Etats. Unter dem Motto „Null-Diät statt Markt-Infarkt“
konstatierte Staatskanzlei-Chef Gerold Wucherpfennig, die Bevölkerung
des Bundeslandes sei zu Zeiten der DDR-Diktatur seelisch und moralisch
verfettet. Ein Überangebot an Orchestern, Theatern und sonstigen
Bildungseinrichtungen in der ehemaligen SBZ sei daran schuld, dass
der Aufschwung Ost nicht so recht in Fahrt komme. Der übersättigten
und somit übersäuerten Population Thüringens könne
nur durch eine mehrjährige Radikal-Kur geholfen werden: Ein
erster Schritt sei dank der Umwidmung der Theater in Gera, Nordhausen
und Eisenach zu Ein-Euro-Shops erfolgreich vollzogen.
Kyritz an der Knatter: Der Zuschauerschwund an
den Mecklenburger Bühnen nimmt so dramatische Formen an, dass
das vorpommersche Ministerium für Kunst und Kultur in Kooperation
mit der Agentur für Arbeit jetzt ein Call-Center für telefonische
Anschlagsdrohungen eingerichtet hat. Wer anruft und droht, bekommt
eine Freikarte. Das Berliner Beispiel der Deutschen Oper habe gezeigt,
dass mit der Androhung von Terror-Anschlägen wieder Interesse
für die Institution Oper generiert werden könne. Theater
erhalte so den Kitzel von Bungee-Jumping oder eines Türkei-Urlaubes.
Darüber hinaus befinde sich das Staatstheater Schwerin in konstruktiven
Verhandlungen mit dem Agenten des amerikanischen Präsidenten
George Bush. Der soll in der Schlingensief‘schen Mozart-Collage
„Die Entführung aus Guantanamo“ den Osmin singen.