Überblick und Ausblick auf eine vielfältige Musiklandschaft
Der Vorsitzende des Landesverbandes Bayerischer Tonkünstler,
Mitglied im Präsidium des Bayerischen Musikrats, Dirk Hewig
hielt auf der Arbeitstagung des Bayerischen Musikrats „Zur
Lage der Musik in Bayern“ am 13./14.10.2006 in der Musikakademie
Hammelburg das Eröffnungsreferat. Dieses wird im Folgenden
in gekürzter Form abgedruckt:
Als sich in den 70er-Jahren die Laienmusik im Landesverband Singen
und Musizieren in Bayern (LBSMB) und die professionelle Musik in
der Aktionsgemeinschaft Musik in Bayern (AMB) organisierten, die
verstreuten Einzelverbände, Institutionen und Personen in sich
versammelten und auf gemeinsame Ziele ausrichteten, da hatten die
Initiatoren und Betroffenen erkannt, dass für ein derartiges
Zusammengehen die Zeit gekommen war. Der Sport hatte die Gunst der
Stunde weit eher genutzt und war der Musik voraus- und davongeeilt,
ein Vorsprung – allerdings nicht nur zeitlicher Art –
den wir auch heute noch nicht eingeholt haben.
1977 schlossen sich dann die Laien und Profis, der LBSMB und die
AMB, im Bayerischen Musikrat zusammen. Die Erkenntnis war gereift,
dass Laien und Profis gemeinsame Wurzeln und Grundlagen, Anliegen
und Ziele haben und diese im gesellschaftlichen und politischen
Raum nur gemeinsam erreichen können. Diese Erkenntnis gegen
Widerstände und Bedenken durchgesetzt zu haben, war das Verdienst
einzelner Persönlichkeiten, an ihrer Spitze der unvergessene
Alois Kremer für die Laien und Prof. Dr. Alexander Suder für
die Profis. Die Zeit für ein Zusammengehen und eine gemeinsame
Organisation war gekommen. Und von da an kann man die Entwicklung
der Musik in Bayern – trotz aller verbleibenden Mängel
und Probleme – als Erfolgsstory ansehen.
Der erste große Schritt zum Aufschwung des Musiklebens in
Bayern war die Schaffung des 1. Bayerischen Musikplans, eine knappe
Darstellung des seinerzeit Vorhandenen, der laufenden Entwicklung
und der daraus abgeleiteten Zielsetzungen für die Zukunft.
Dieser Musikplan stellt eine erste umfassende Standortbestimmung
dar. Er zeigte nicht nur wichtige Ziele auf, er war auch mit erheblichen
finanziellen Mitteln ausgestattet, die eine Umsetzung der Zielvorstellungen
oder zumindest den Beginn einer solchen Umsetzung ermöglichten.
Es war der erste und ist auch der einzige Landesmusikplan geblieben,
der von einer Landesregierung erlassen und von einem Landesparlament
gebilligt wurde. Das hatte zur Folge, dass sich der Staat nicht
nur beim Erlass des Musikplans, sondern auch in der Folgezeit den
dort formulierten Zielen verpflichtet fühlte und insbesondere
in den 80er-Jahren viel zu seiner Realisierung beitrug. Weil die
Entwicklung der verschiedenen Bereiche dank der zur Verfügung
stehenden Mittel eine rasante Entwicklung nahm, strebte der BMR
bereits Mitte der 80er-Jahre eine Fortschreibung des Musikplans
an. 1985 feierte Europa das Europäische Jahr der Musik. Anlass
waren die 300. Geburtstage von J.S. Bach, G.F. Händel und D.
Scarlatti, der 400. Geburtstag von H. Schütz und der 100. Geburtstag
von A. Berg. Auf europäischer Ebene wurden zahlreiche Initiativen
für Konferenzen, musikalische Veranstaltungen, Ausstellungen,
Symposien, Appelle et cetera unternommen. Der Bayerische Landtag
nahm das Europäische Jahr der Musik zum Anlass für eine
umfangreiche Interpellation zur Lage der Musik in Bayern. Einen
ganzen Tag befasste sich das Plenum ausschließlich mit Fragen
der Musik.
Mit der Interpellation war dann die Grundlage für die Fortschreibung
des Musikplans geschaffen. In Verhandlungen mit dem BMR und den
Verbänden, gemeinsam mit Abgeordneten und Vertretern des Ministeriums
wurde eine Vorlage erarbeitet, die nach einer Straffung unmittelbar
umgesetzt werden konnte.
1989 wurde dann der 2. Musikplan vom Bayerischen Kabinett verabschiedet
und vom Bayerischen Landtag nach Erörterung in verschiedenen
Ausschüssen zustimmend zur Kenntnis genommen.
Den 70er- und 80er-Jahren, die von Begeisterung, großem Engagement
und dem Glauben geprägt waren, alles werde immer größer,
weiter, der Gestaltung seien keine Grenzen gesetzt, folgte dann
in den 90er-Jahren laufend Einschränkungen der Mittel beim
Staat und den Kommunen. Die fetten Jahre wurde zunächst unmerklich,
dann aber immer stärker spürbar durch die mageren Jahre
abgelöst.
Heute – durch die schwierige Lage der öffentlichen
Haushalte und den Rückgang von Stiftungs- und Sponsorengelder
geprägt – versuchen wir erneut Bilanz zu ziehen:
Was ist seit Mitte der 80er-Jahre, als die Vorlage für den
neuen Musikplan durch den BMR erarbeitet wurde und mit einiger Verzögerung
der Erlass durch die Staatsregierung erfolgte, geschehen? Welche
Defizite haben wir –trotz allem, was erreicht wurde –
heute? Was können, was sollen und was wollen wir anstreben?
Wollen wir die Grenzsteine nur um Zentimeter verrücken, im
Schneckengang fortschreiten oder wollen wir – wie in den 70er-
und 80er-Jahren – zu neuen Ufern aufbrechen, Visionen entwickeln,
die uns beflügeln und dann allerdings mit Augenmaß und
in realistischen Schritten unsere Ziele angehen?
Seit Mitte der 80er-Jahre hat sich viel gewandelt. Zahlreiche
Ziele wurden erreicht. Neue Anforderungen sind aufgetaucht. Wir
müssen reagieren.
Jedes Ding hat seine Zeit. Die Zeit, den Jetztzustand und die
Ziele für die nächsten 10 oder gegebenenfalls auch 20
Jahre in einem neuen Musikplan zu formulieren, ist mit Einschränkung
gekommen. Nach Fußball-WM, sonstigen vergangenen und noch
zu erwartenden Sportereignissen ist es an der Zeit, dass auch in
unserem Landtag die Musik wieder einmal im Mittelpunkt steht. Eine
Interpellation oder große Anfrage zur Musik wäre dafür
das geeignete Mittel. Daran sollten ein gefestigter und mit reichem
Erfahrungsschatz ausgestatteter Musikrat – gleiches gilt für
seine Verbände – mitwirken. Dieser Mitwirkung dient diese
Arbeitstagung. Wir haben für wichtige Themenbereiche Arbeitsgruppen
gebildet, die eine Bilanz versuchen und Zielvorstellungen erarbeiten
sollen. Ich beschränke mich hier auf wenige grundlegende
Bemerkungen:
Sicherung des Erreichten
Wir haben viel erreicht. Eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft
wird es sein, das Erreichte dauerhaft zu sichern. Wenn einmal ein
Orchester aufgelöst oder eine Hochschulabteilung, die eine
lange Tradition hat, in der Region fest verankert ist und für
das dortige Musikleben große Bedeutung hat, eingestellt wird,
dann droht unserer kulturellen Vielfalt ein großer Schaden.
Das heißt nicht, dass nicht manches neu konzipiert und organisiert,
dass nicht beispielsweise im Hochschulbereich Schwerpunktbildungen
notwendig wären. Ein Flächenstaat und Kulturland wie Bayern
hat mit sechs nichtstaatlichen Orchestern und vier öffentlichen
Hochschulstandorten nicht zu viele derartige Einrichtungen.
Die Musikpflegemittel als sogenannte freiwillige Leistungen sollten
nicht bei jeder Haushaltsverhandlung erneut zur Disposition gestellt
werden. Was rein haushaltstechnisch keine Pflichtaufgabe ist, sollte
wegen der gesellschaftlichen Bedeutung vom Staat wie eine Pflichtaufgabe
angesehen werden. Wir sollten hier dem Wissenschafts- und dem Kultusminister,
aber auch den Parlamentariern im Landtag und bei den Gebietskörperschaften
den Rücken stärken. Was wäre unser Land, wenn die
sogenannten freiwilligen Aufgaben nicht mehr von der öffentlichen
Hand mitfinanziert würden. Das bedeutet nicht, dass jedes Festival,
jede H-moll Messe eines bescheidenen Chores vom Staat oder einer
Kommune bezuschusst werden müssen. Auch hier sind Schwerpunktsetzungen
erforderlich. Nur wenn wir uns auf das Wesentliche konzentrieren,
können wir dieses auch halten.
Grundlage unserer Musikkultur ist eine frühzeitige Heranführung
der Kinder an die Musik, sind durchgängige musikalische Angebote
in den Kindergärten und den Schulen. Das setzt nicht nur organisatorische
Maßnahmen wie Stundentafeln Lehrpläne und Räume
mit entsprechender Ausstattung voraus, das setzt vor allem qualifiziert
ausgebildete Erzieher und Lehrkräfte voraus.
Ein bedeutsamer und grundlegender Bereich unserer musikalischen
Bildung stellt die Laienmusik in ihren unterschiedlichen vokalen
und instrumentalen Ausformungen, stellt die bodenständige Volksmusik
und stellen die Musikschulen mit ihrem breitgefächerten musikalischern
Angebot dar. Diese Bereiche, in denen es viel ehrenamtliches Engagement
und hohe Qualität gibt, bedürfen weiter einer finanziellen
Grundsicherung. Wie das geschehen soll, das kann ein wichtiges Thema
unserer Diskussion sein.
Wahrung, Nutzung und Schaffung von Freiräumen
Die Kunstfreiheit ist ein hohes Gut. Die Kunst braucht nicht nur
Freiheit von staatlichen Eingriffen. Die in der Kunst, in der Musik
Tätigen sollten ihre Freiräume wahren und nicht selber
immer weiter einschränken. Notwendig ist, die vorhandenen Freiräume
zu nutzen und notfalls durch Änderung einengender Regelungen
auch auszuweiten.
Wagen neuer Ideen, Konzepte
Wir sollten uns heute von der Geldknappheit nicht abschrecken
lassen das Wünschbare und Notwendige zu denken und zu konzipieren.
Wir sollten weiterhin Visionen haben, Konzepte entwickeln und den
Glauben daran haben, dass – nicht nur mit Hilfe von Staat
und Kommunen, sondern auch durch Mithilfe Dritter – das Eine
oder Andere verwirklicht werden kann. Sollte ein dritter Musikplan
kommen, so darf dieser sich in seinen Zielen nicht auf die Heraufsetzung
bestimmter derzeit vorhandener Beträge beschränken. Er
sollte vielmehr Perspektiven aufzeigen, sich auch nicht nur an den
Staat und die Kommunen, sondern an die Kirchen, die Medien, die
Musikwirtschaft und alle für die Musik Verantwortlichen und
im musikalischen Leben Tätigen wenden.
Wir sollten uns klar darüber sein, dass die Finanzen wichtig
sind und ohne finanzielle Mittel wenig geht, und dass auch die Fragen
der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Organisation von großer
Bedeutung sind. Das Entscheidende aber ist, dass wir aus Begeisterung
für die Sache selbst brennen, dass wir andere damit anstecken,
dass wir aus dieser Haltung heraus Ideen und Konzepte entwickeln
und dann mit Beharrlichkeit, Klugheit, Augenmaß und in Solidarität
versuchen, diese Ideen in die Wirklichkeit umzusetzen. Im Geflecht
unserer Tätigkeiten und Aufgaben sollten wir uns durch nichts
entmutigen lassen, sondern erkennen, dass es Zeit ist, das in den
70er- und 80er-Jahren Begonnene fortzuführen, den heutigen
Erfordernissen anzupassen, gleichzeitig neue Ideen zu entwickeln
und für deren Verwirklichung zu kämpfen.