[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2006/12 | Seite 19
55. Jahrgang | Dez./Jan.
Forum Musikpädagogik
Schmitz-Schüler treffen sich in Detmold
Das Erbe des Musikpädagogen und Flötenvirtuosen Hans-Peter
Schmitz
Die Konjunktur der schnellen Tempi, der Fortissimi und Staccati
geht zu Ende; hohe und helle Töne sind vorerst eine Sache des
20. Jahrhunderts. Demnächst musizieren wir wieder dunkel, weich
und knuddelig, und erst ab 2100 wird sich der Nebel lichten. Freunde
des Barock mag die-se Prognose quälen, zumal sie von einem
stammt, der dem 18. Jahrhundert immer den Vorzug gab: Hans-Peter
Schmitz – Musikpädagoge, Autor, eleganter Flötenvirtuose.
Am 5. November wäre er 90 Jahre alt geworden. Einige seiner
Schüler trafen sich jetzt in Detmold beim 60-jährigen
Jubiläum der Musikhochschule.
Schmitz, zunächst Soloflötist im Berliner Philharmonischen
Orchester, reiste zwischen 1953 und 1972 zweiwöchentlich zu
seiner Flötenklasse an der Nordwestdeutschen Musikakademie.
In Detmold ließ es sich in einer Weise studieren, die heutige
Hochschulkommunikatoren als „ideale Bedingungen“ feiern
würden: keine Ablenkungen, Konzentration auf die Musik, der
Lehrer als stets präsenter, väterlicher Freund. „Wir
hier in 33“ nannte Schmitz seine Klasse, die oben links im
Detmolder Neuen Palais residierte: dort, wo die Ruhe am größten
und die Fernsicht am weitesten war.
„Jede Unterrichtsperiode endete mit einem Klassenvorspiel
und einem von Schmitz spendierten Kaffeetrinken“, erinnert
sich Gunther Pohl, ehemaliger Soloflötist der Bamberger Symphoniker.
Wie sein Lehrer lässt Pohl die Flöte meist daheim, wenn
er heute an der Dresdner Musikhochschule unterrichtet – er
hat nicht einen Ton des Meisters live gehört. Schmitz spielte
im Unterricht niemals vor, wollte Imitationen vermeiden. Und dennoch:
Mit ihrem lockeren, großen Ton klingen Schmitz-Schüler
eindeutig nach Schmitz, meint dessen Künstlerfreund Aurèle
Nicolet, der zehn Jahre jüngere Großflötist aus
der Schweiz. Nach Hans-Peter Schmitz’ Musizierkunde („Singen
und Spielen“, Kassel 1958) pendeln musikalische Parameter
wie Tonbewegung, Tonstärke und Tonlänge mal zur vitalen
Geste, mal zur stillen Andacht. „Gegenkoppeln“ heißt
das bei Schmitz: ein Prinzip des Musizierens wie des Lebens allgemein.
In unserer Zeit neigen Komposition und Interpretation sich wieder
zur Mitte, zur Klassik. Wer da nicht mitwill, muss zweihundert Jahre
warten – oder sei auf drei Schallplatten verwiesen, die Schmitz
in den 1950er-Jahren mit dem Cembalisten Hans Pischner und dem Gambisten
Werner Haupt produzierte. Von der Kritik als lebendig, schwungvoll,
subtil, wild und frech gefeiert, dokumentieren sie bis heute das
barocke Klangideal – lange bevor jemand die Formel der historischen
Aufführungspraxis erfand.