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nmz-archiv
nmz 2006/12 | Seite 19
55. Jahrgang | Dez./Jan.
Forum Musikpädagogik
Trommelkurs in der Justizvollzugsanstalt
Terra incognita für den „normalen“ Musikpädagogen:
über die Arbeit einer Schulleiterin im Gefängnis
Seit 14 Jahren ist sie als Musikpädagogin tätig, gibt
Eltern-Kind-Kurse, musikalische Früherziehung und arbeitet
erfolgreich mit Behinderten. Sie ist die stellvertretende Schulleiterin
der Kreismusikschule Limburg. Dass sie mal ins Gefängnis kommt,
hätte sie sich nicht träumen lassen. Und doch ist genau
das passiert: Seit über einem Jahr schon ist Andrea Dillmann
Woche für Woche in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Limburg.
Dort leitet sie einen Trommelkurs, an dem zehn männliche Insassen
teilnehmen – eine Stunde lang, jede Woche, dann fährt
sie wieder.
Angst vor den Gefangenen hatte ich nie“, sagt Andrea Dillmann.
„Ich war vor allem gespannt, wie Männer in dieser speziellen
Situation auf eine Frau reagieren, die ihnen etwas beibringen will.“
Doch sie muss Grenzen setzen, jede Woche aufs Neue, denn die Zusammensetzung
der Gruppe wechselt häufig. Sie ist verlässlich in ihrer
Art, die Männer wissen, was sie erwartet. Sie ist freundlich,
aber distanziert. Ihr Kurs hat eine feste Struktur, der Ablauf ist
immer gleich: Begrüßung, kurzes Vorstellen der Neuen,
dann beginnt sie mit den rhythmischen Übungen: eins –
zwei – schnipp … Die Teilnehmer versuchen, ihr zu folgen
– gar nicht so einfach. Manchmal spielt sie dazu Orgel oder
Keyboard. Aufgetreten sind sie auch schon: zum Sommerfest und zur
Weihnachtsfeier in der JVA. „Das war für die Männer
ein besonderer Erfolg“, erzählt sie. „Während
ich beim Auftritt im Sommer noch mitgetrommelt habe, habe ich zur
Weihnachtsfeier dazu Orgel gespielt, so dass die Trommler sich nicht
wie sonst an mir orientieren konnten, sondern aufeinander achten
mussten. Das hat gut geklappt.“
Über die Delikte wolle sie nichts wissen, sagt sie, weil sie
bei ihren Inhalten bleiben wolle, der Musik. Sie wolle in jedem
Schüler den Menschen sehen, sagt sie. Das sei der Hintergrund,
um den Menschen, mit dem sie es zu tun habe, ernst zu nehmen. Ihre
Maxime aus ihrer musikpädagogischen Tätigkeit mit Behinderten
laute: „Ich will nicht wissen, was du nicht kannst, sondern
mit dir entdecken, was in dir steckt. So halte sie es auch in der
JVA.“ Vor allem habe sie interessiert, ob diese Männer
tatsächlich was lernen wollen oder einfach nur raus wollen
aus ihrer Zelle, gesteht sie. Und tatsächlich schaue mancher
nur für eine Stunde mal rein und gehe wieder. Einige haben
musikalische Vorkenntnisse, können bereits ein Instrument spielen.
Andere versuchen, sie in Machtkämpfe zu verwickeln. Einer habe
es nicht ertragen können, von einer Frau gesagt zu bekommen,
was zu tun ist. Ständig habe er sie in Diskussionen verwickeln
wollen. Sie habe ihm erklärt, dass er bei der Anmeldung wusste,
dass der Kurs von einer Frau geleitet wird und sie nun mal den fachlichen
Hintergrund habe. Diesmal solle er sich anpassen, das nächste
Mal müsse er ja nicht wiederkommen. Seitdem habe er keine Stunde
mehr versäumt, sagt sie.
Manche seien sehr bemüht, das Trommeln zu erlernen, erzählt
die Musikpädagogin. Speziell in einem Fall sei ihr aufgefallen,
wie es einem Mann gut getan habe, mal nicht zu hören: Das kannste
sowieso nicht! Er habe sich nichts zugetraut, gemeint, er schaffe
es nicht, den Rhythmus zu halten. Aber sie habe ihm nicht erlaubt,
einfach zu resignieren. Während ihn anfangs die Angst vorm
Versagen blockierte, habe er mit der Zeit immer konzentrierter arbeiten
können. So gebe ihr dieses musikalische Tun mit den Gefangenen
Einblick in diese Menschen.
Gundula Stegemann
Die JVA Limburg
In der JVA Limburg sind ungefähr 75 männliche Gefangene
untergebracht, zwei Drittel in Untersuchungshaft, ein Drittel
in Strafhaft – das heißt, sie verbüßen
in der Regel Strafen mit Freiheitsentzug von bis zu zwölf
Monaten. Mehr als 70 Teilnehmer haben an dem Trommelkurs seit
seinem Start im September 2004 teilgenommen. Die Idee für
den Trommelkurs stammt von Andrea Hackenberg, Sozialpädagogin
der JVA, die das Projekt der Kreismusikschule Limburg vorschlug.
Der Anstaltleiter Klaus-Dieter Vogt unterstützt das Projekt.
Es stehen zehn Plätze zur Verfügung. Die Zusammensetzung
der Gruppe unterliegt starken Schwankungen – teils durch
Verlegung in andere Anstalten, aber auch durch Abmeldung aus persönlichen
Gründen wie Motivationsverlust. Die Instrumente werden von
der Kreismusikschule Limburg gestellt und von der Musikpädagogin
zu jeder Unterrichtsstunde mitgebracht. Finanziell getragen wurde
der Kurs zunächst vom „Verein für Strafffälligenhilfe“
in Limburg. Inzwischen werden die Kosten aus den Haushaltsmitteln
der JVA Limburg bestritten. ? steg