[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2006/12 | Seite 19
55. Jahrgang | Dez./Jan.
Forum Musikpädagogik
Vom schnodderigen Ton
Zur Kritik Hermann J. Kaisers an dem Artikel „Auf der Suche
nach dem verlorenen Gleichgewicht“ von Klaus Velten
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob es sich lohnt, auf
die Stellungnahme H.J. Kaisers zu meinem in der Juli/August-Ausgabe
der nmz veröffentlich-ten Artikel „Auf der Suche nach
dem verlorenen Gleichgewicht“ zu reagieren. Im Interesse der
Sache habe ich mich entschieden, der sehr pauschalen Kritik des
Kollegen mit einigen Anmerkungen zu entgegnen. Schließlich
hatten meine Ausführungen nicht zuletzt das Ziel, den schulmusikalischen
Diskurs anzuregen.
1. An keiner Stelle meiner Ausführungen ist von einem Schüler
und Lehrer reglementierenden „Kanon“ die Rede. Es wirft
ein bezeichnendes Licht auf die Entgegnungsstrategie des Autors,
wenn er die von mir vertretene Position sogleich in einen gesellschaftspolitischen
Zusammenhang bringt, der mit der hier angesprochenen Thematik kaum
zu tun hat. Es ist dies eine von ideologiebedingten Motiven geleitete
Strategie, deren Ziel die Schwächung der bürgerlichen
Musikkultur ist und deren Ursache in der persönlichen Musikerbiographie
des Autors vermutet werden kann. Ein Schulmusikerzieher, der sich
in seinem Studium und hernach ernsthaft um das Verständnis
von Werken der artifiziellen Musik bemüht hat, wird von der
Bildungskraft dieser Inhalte überzeugt sein und sich in seiner
Berufspraxis entschieden dafür einsetzen. Er wird in der Auswahl
seiner Unterrichtsinhalte nicht Beliebigkeit walten lassen. Er wird
sich beim Unterrichten nicht in erster Linie von erziehungswissenschaftlichen
Theorien leiten lassen, sondern von seiner ästhetischen Erfahrung,
die er im Umgang mit der Musik erworben hat. Warum eine solche Einstellung
„makaber“ (= grausig, düster) sein soll, ist schlichtweg
unverständlich.
2. Es ist mir bewusst, dass der von mir formulierte Bildungsauftrag
des schulischen Musikunterrichts eine normative Setzung ist. Sie
als „simpel“ und „vorwissenschaftlich“ abzuqualifizieren,
ist arrogant und nichts als die Reaktion eines realitätsfernen
„Didaktikers“, der den desolaten Zustand des schulischen
Musikunterrichts vor Ort nicht wahrnehmen will. Die in den vergangenen
30 Jahren zu beobachtende schrittweise Preisgabe eines verbindlichen
musikalischen Bildungsbegriffs hat dazu geführt, dass die Ergebnisse
des schulischen Musikunterrichts von Kulturverantwortlichen, insbesondere
von professionellen Musikern und Instrumentalpädagogen nicht
ernst genommen werden. Die sich „wissenschaftlich“ gerierende
Didaktik hat nicht zu verhindern gewusst, dass im „Urteil“
insbesondere von Haupt- und Realschülern Dieter Bohlen vor
Ludwig van Beethoven rangiert, einfach aus dem Grunde, weil ihnen
Beethovens Musik vorenthalten wurde. Dieses ist eine „inhumane“
Restriktion. Die Erfahrung bestätigt, dass eine unvoreingenommene
Vermittlung klassischer Musik bei Jugendlichen auch aus bildungsfernen
Schichten Resonanz findet. Wenn der Autor den von mir vertretenen
Begriff von musikalischer Bildung als „in sozialer Hinsicht
exklusiv“ bezeichnet, so gibt er seine ideologieverhaftete
Position klar zu erkennen. In einfachen Worten ausgedrückt:
artifizielle Musik ist nichts für „einfache“ Leute;
sie können ruhig weiterhin Objekte kulturindustrieller Steuerung
bleiben.
3. Die völlig unbegründete Zurückweisung des Konzepts
der „didaktischen Interpretation von Musik“ zeigt, dass
der Autor jeden Bildungsanspruch des schulischen Musikunterrichts
selbst preisgegeben hat und zu denen gehört, die in die Untiefen
einer „Anpassungspädagogik“ versackt sind. Die
redlichen hermeneutischen Bemühungen, die Distanz zwischen
den unterschiedlichen Erfahrungsebenen verschiedener Epochen und
Generationen zu überbrücken, werden in äußerst
schnoddrigem Ton abgetan, so dass Zweifel an der wissenschaftlichen
Seriosität des Autors aufkommen können.