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Ausgabe 2006/12
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nmz 2006/12 | Seite 16
55. Jahrgang | Dez./Jan.
Kulturpolitik

Kulturpolitik in Berlin: eine vertane Chance

Hauptstadt ohne Kultursenator: Berlins Regierender Bürgermeister zerschlägt Ressort Wissenschaft, Forschung und Kultur

Bereits vor der offiziellen Bekanntgabe ging das Gerücht um, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit würde dem Beispiel seiner Ministerpräsidentenkollegen aus Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein folgen wollen, das Amt des Kultursenators abzuschaffen, diese Funktion selbst zu übernehmen und die administrativen Aufgaben einem in der Senatskanzlei angesiedelten Staatssekretär zu übertragen. Trotz der hartnäckigen Gerüchte in diese Richtung mochte kaum einer so richtig daran glauben, denn Kultur – so wurde auch von Wowereit immer wieder betont – ist neben der Wissenschaft und dem Tourismus einer der wenigen Wachstumsfaktoren der Stadt. Diese Wachstumsfaktoren sollten gestärkt werden. Doch nun ist es amtlich: Das Ressort Wissenschaft, Forschung und Kultur wird zerschlagen. Die Wissenschafts- und Forschungsabteilung wandern zum Bildungsressort, dem mit dem neuen Senator Jürgen Zöllner ein erfahrener Wissenschafts-, Forschungs- und auch Kulturpolitiker vorsteht. Denn Jürgen Zöllner hat über Jahre hinweg das Ministerium für Wissenschaft, Forschung, Weiterbildung und Kultur in Rheinland-Pfalz geleitet.

Politisch wird für Kulturpolitik in Berlin künftig der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit verantwortlich sein, administrativ wird das Amt vom ehemaligen Chef der Staatskanzlei André Schmitz als Kulturstaatssekretär geführt werden. André Schmitz, darüber herrscht weitgehende Einigkeit, ist ein erfahrener Kulturpolitiker, der sowohl die Kulturverwaltung als auch den wichtigsten Kostenfaktor der öffentlichen Kulturbetriebe – die Theater und Opernhäuser – von innen kennt. – Er wäre, und das wird nicht nur hinter vorgehaltener Hand gesagt, sicherlich ministrabel gewesen. Berliner Kulturpolitik wurde in den letzten Jahren vor allem mit Blick auf den Bund wahrgenommen. Der erste Bundeskulturstaatsminister Michael Naumann systematisierte die Kulturförderung des Bundes in Berlin statt einer Reihe von Institutionen etwas Geld zu geben, übernahm er einige wenige wie zum Beispiel den Martin-Gropius-Bau oder das Haus der Kulturen der Welt ganz. Der Hauptstadtkulturvertrag wurde geschlossen, der mit dem Baustein Hauptstadtkulturfonds sicherstellen sollte, dass nicht nur die repräsentativen Einrichtungen gefördert werden, sondern ebenso qualitativ hochwertige künstlerische Projekte abseits der etablierten Institutionen projektbezogen Mittel erhalten. Auf Grund der Finanznot des Landes Berlin übernahm der Bund mehr und mehr an Baukosten der Museumsinsel, damit das ehrgeizige Vorhaben ,der Masterplan zur Renovierung dieses einmaligen Kleinods preußischer Kulturpolitik umgesetzt werden kann. Zuletzt übernahm der Bund die Akademie der Künste in seine Finanzierung und unterstützte mit einer Anschubfinanzierung die Opernstiftung. Jetzt hat der Regierende Bürgermeister dem Bund die Staatsoper angeboten, damit die beiden anderen Opernhäuser, die Komische Oper in der Behrensstraße und die Deutsche Oper in Charlottenburg, auskömmlich finanziert werden können. Es stellt sich die Frage, was Berliner Kulturpolitik ist: ein Ausverkauf an Kultureinrichtungen an den Bund, oder werden eigene Akzente gesetzt?

Kulturpolitik als Landespolitik

Berliner Kulturpolitik muss Landespolitik sein. Denn Berlin ist eben nicht nur die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, sondern ebenso ein Bundesland, und zwar ein spezifisches: ein Stadtstaat. Kulturpolitik in Berlin darf sich daher nicht allein auf die Frage reduzieren, wie die drei Opernhäuser finanziert werden können. Landeskulturpolitik muss die kulturpolitische Entwicklung der gesamten Stadt im Blick haben und dabei Verbindungen zwischen den herausragenden Stätten der Hochkultur, wie zum Beispiel den Opern, und der Breitenkultur, wie den Bibliotheken, knüpfen. Die Chance, die unterschiedlichen Kulturbereiche stärker in Kontakt zu bringen, in Verbindung mit der Bildungspolitik ein Konzept für eine Landeskulturpolitik zu entwickeln und mit einem Senator oder einer Senatorin prominent am Senatstisch und im Parlament zu vertreten, wurde vertan. Ebenso wurde die Chance vertan, im kommenden Jahr, in dem der turnusgemäße Vorsitz der Kultusministerkonferenz dem Land Berlin zusteht, einen Senator oder eine Senatorin als Präsident/-in der/die Kultusministerkonferenz zu präsentieren, der für Wissenschafts- und Kulturpolitik und eventuell sogar für Bildungspolitik zuständig ist. Auf Ministerebene wird Berlin künftig in der Kultusministerkonferenz nur noch in den Bereichen Bildung und Wissenschaft vertreten sein.

Das Symbol Berlin

Berlin ist, wie immer betont wird, Wissenschaftsstadt. Berlin hat mit der Humboldt-Universität, der Freien Universität und der Technischen Universität sowie zahlreichen Fachhochschulen nicht nur Ausbildungsstätten für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Berlin verfügt darüber hinaus über vier Kunsthochschulen: die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, die Kunsthochschule Weißensee, die Hochschule für Musik Hanns Eisler und die Universität der Künste. Letztere Hochschule ist nicht nur die größte Kunsthochschule in Deutschland, sondern auch einzige Ausbildungsstätte, an der in allen künstlerischen Sparten an einer Hochschule ausgebildet wird. Diese Hochschulen sind aber nicht nur Ausbildungseinrichtungen, sie sind zugleich Kultureinrichtungen. Hier präsentieren sich die Künstlerinnen und Künstler von morgen, hier finden Veranstaltungen, Ausstellungen, Aufführungen, Konzerte statt. Eine sichtbarere Verzahnung von künstlerischer Ausbildung, Kulturbetrieb und Kultureinrichtungen wäre eine Chance für Berlin gewesen. Berlin ist eine geschichtsträchtige Stadt. Sie steht für Preußen, für Militarismus, für Zentralismus, für Protestantismus und zugleich für eine Kunstsinnigkeit, die in der Museumsinsel ihren deutlichsten Ausdruck findet. Sie ist Symbol für die Industrialisierung Deutschlands, obwohl es heute kaum mehr Industrie gibt. Sie ist ein Symbol für die quirligen 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts, eine Zeit der künstlerischen Innovation und des Aufbruchs sowie der tiefen politischen Grabenkämpfe. Berlin steht wie keine andere Stadt für die Nazi-Barbarei. Hier wurde der Massenmord an den europäischen Juden geplant. Von hier kamen die Befehle im Zweiten Weltkrieg. Wie keine andere Stadt symbolisiert Berlin den Ost-West-Konflikt und den Kalten Krieg. Wie keine andere Stadt in der alten Bundesrepublik und auch in der DDR wurde Berlin finanziell und politisch unterstützt und hier konzentrierten sich die Blicke auf das Symbol der Teilung: die Mauer. Die Kultureinrichtungen in Berlin Ost wie West wurden großzügig finanziell gefördert. In West- wie in Ostberlin entwickelte sich eine lebendige künstlerische Szene. Die Überwindung des Ost-West-Konflikts fand ihren Ausdruck in der Öffnung der Mauer in Berlin. Berlin wurde die Stadt, die Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt anzieht, vielleicht gerade weil hier so vieles zusammenläuft, sich historische Errungenschaft mit furchtbarem Schrecken mischt und hieraus jene Atmosphäre entsteht, die Künstlerinnen und Künstler inspiriert. Kulturpolitik in Berlin muss dieses historische Erbe und seine Verpflichtung für die Gegenwart und Zukunft verinnerlichen und hieraus zukunftsweisende Projekte entwickeln. Berlin ist Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Seit der Föderalismusreform ist im Grundgesetz festgeschrieben, dass der Bund die Verantwortung für die Repräsentation in der Hauptstadt hat. Das Nähere soll durch ein Bundesgesetz geregelt werden. Hier stehen harte Verhandlungen mit dem Bund an. Bei der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag haben sowohl der Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien Hans-Joachim Otto, MdB, als auch die Berichterstatterin für Kultur im Haushaltsausschuss Petra Merkel, MdB, angekündigt, dass sich der Deutsche Bundestag des Themas annehmen wird. Die weitere Förderung des Bundes in der Hauptstadt wird voraussichtlich nicht wieder allein zwischen der Kulturverwaltung des Landes Berlin und der Behörde des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien verhandelt werden können. Jetzt wollen Abgeordnete des Deutschen Bundestags mitsprechen. Darin drückt sich ein neues Verhältnis der Abgeordneten zur Hauptstadt aus. Kulturpolitik für das Land Berlin kann nicht vom Regierenden Bürgermeister einfach so nebenbei gemacht werden. Kulturpolitik für das Land Berlin darf sich nicht auf die Repräsentationskultur beschränken. Kulturpolitik in Berlin muss Allianzen schmieden zwischen Bildungs-, Jugend-, Wissenschafts, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Und Kulturpolitik in Berlin muss in den parlamentarischen Gremien präsent sein. Wie schon in Nordrhein-Westfalen, wo ein passionierter Kulturpolitiker mit hohem Sachverstand und mit nach vorne weisenden Ideen wie Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff seine Anliegen nicht im Kulturausschuss des Landtags und im Landtag selbst vertreten darf, da hier neben den Parlamentariern nur noch Minister, aber keine Staatssekretäre Rederecht haben, hat auch der neue Kulturstaatsekretär von Berlin, André Schmitz im Abgeordnetenhaus von Berlin kein Rederecht. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat mit der Abschaffung des Amtes des Kultursenators, das ist das bittere Fazit, ohne Not eine Chance für die Kulturpolitik Berlins, für das Land Berlin und für die Hauptstadt Berlin vertan. Das ist mehr als bedauerlich.

Olaf Zimmermann

 

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