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nmz-archiv
nmz 2006/12 | Seite 1
55. Jahrgang | Dez./Jan.
Leitartikel
Timeo Danaos
Ho, Ho, Ho: Die große Zeit der guten Gaben und der bilanzierenden
Rückblicke ist wieder ausgebrochen. Beide Phänomene werden
hierzulande vorwiegend unter Gesichtspunkten materieller Masse gesehen.
Dem wollen wir uns – modisch wie wir sind – keineswegs
verschließen.
Starten wir mit dem Lobpreis des jüngsten Geschenk-Korbes
von Finanzminister Peer Steinbrück an die Kulturmenschen. Geschmackvoll
verpackt in den Rahmen einer Weihnachtsbriefmarken-Präsentation
verkündete er die Erhöhung der Übungsleiter-Pauschale.
Dadurch wird ehrenamtliches Engagement fiskalisch belohnt und zivilgesellschaftlicher
Einsatz quasi pekuniär entgolten.
Bravo – doch damit nicht genug: Im Rahmen einer weitergehenden
Reform des Gemeinnützigkeitsrechtes sollen auch noch die Möglichkeiten
des Spendenabzuges ausgeweitet werden – eine Maßnahme,
die kulturellen Initiativen durchaus Mittel in die klammen Kassen
spülen könnte. Bloß schade, dass die Einkommen der
meisten kulturell Tätigen selbst derart nah an der Armutsgrenze
liegen, dass sie persönlich nur als Spendenempfänger in
Frage kommen. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, sich durch
bürgerschaftliches Engagement von gewissen Einkommenssteuer-Bürden
zu entlasten. Einfach mangels Masse. Auch ein Indikator der wahren
Wertschätzung von Kunst und Kultur hierzulande, Ho, Ho, Ho.
Etwas schwieriger zu werten ist das stramme Euro-Milliönchen,
mit dem der haushaltspolitische Sprecher der CDU, Steffen Kampeter
(Künstlername: Pop-Populist), gewisse Kreise der Musikwelt
beeindruckte, als käme das Sümmchen aus seinem versteuerten
Privateinkommen. Die Million soll für eine neu zu gründende
„Initiative: Musik“ verwendet werden mit dem Ziel, „die
Rahmenbedingungen für Musik und Musikwirtschaft zu verbessern“.
Derzeit liegt diese mächtige Liquidi-Tätlichkeit auf einer
Art Sperrkonto, weil erst noch ausgedealt werden muss, wer sie wofür
verwerten darf. Ho, Ho, Ho.
Gewöhnlich halbinformierte Kreise wähnen, das Geld möge
teils zur Einlösung einer alten Kampeter-Bestands-Versprechung
in Sachen „German Sounds“ – Musikexport-Büro
– dienen. Und dessen Verwaltung könnte – sicherlich
sinnvoller Weise – in den Einfluss-Radius des Deutschen Musikrates
gelangen. Ob solcher Segens-Hoffnungen scheint es dem Leitungsgremium
unserer musikalischen Spitzen-Organisation derart die Sprache verschlagen
zu haben, dass man sich außerstande sah, dem Dachverband aller
Kulturschaffenden, dem Deutschen Kulturrat beiseite zu springen,
als dieser durch eine weitere Kampeter-Tätlichkeit in eine
– pekuniär freilich irrelevante – Zwangs-Situation
geriet: Im Haushaltsausschuss unseres Bundestages wurde unter Steffen
Kampeters Ägide nämlich beschlossen, dass der Kulturrat
keine Zuwendungsmittel zum Versenden von Telefaxen mehr verwenden
dürfe. Dabei geht es um ungefähr tausend Euro jährlich,
die dem Etat des Rates unter der genannten Bedingung freilich erhalten
bleiben. Ho, Ho, Ho.
Was wie ein Witz klingt, wie eine klei- ne Neckerei, ist genau
genommen ein grober Hieb gegen die Meinungsfreiheit. Um –
konstruktiv wie wir sind – dem Eindruck entgegenzuwirken,
Bundestagsabgeordnete missbrauchten ihr Amt generell zur Befriedigung
persönlicher Rache-Gelüste, zitieren wir hier gern die
Gegenrede des Abgeordneten Hans-Joachim Otto (FDP): „Wenn
wir so anfangen – wenn Herr Staeck von der Akademie der Künste
uns nicht gefällt, dann verbieten wir ihm zu telefonieren,
und wenn uns der Herr Knabe in Hohenschönhausen nicht gefällt,
dann verbieten wir ihm den Kauf von Briefmarken –, dann ist
das kein guter Umgang. Nach meiner Kenntnis hat es einen solchen
Vorgang in der Geschichte des deutschen Haushaltes noch nicht gegeben.
Das ist ein kleinliches Gezänk. Ich fordere Sie auf, das zu
unterlassen…Lieber Herr Kampeter, haben Sie die Noblesse und
nehmen Sie diesen Scherz, der im Grunde auf eine Zensur hinausläuft,
zurück“.
Diese „Noblesse“ blieb bislang aus. Insofern kann auch
die Millionen-Vorfreude im Musikwinkel kaum ungetrübt ausgelebt
werden, will man sich als Kulturinstitution nicht dem Vorwurf aussetzen,
für ein paar Dollar mehr verkaufe man die Verteidigung bürgerlicher
Grundrechte.
Was waren das für Zeiten, als statt des amerikanischen X-Mass-Business-Schlachtrufes
„Ho, Ho, Ho“ noch das gute alte „Ho, Ho, Ho-Tschi-Minh“
durch Deutschlands Straßen schallte… Na gut, sie waren
auch nicht besser.