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nmz-archiv
nmz 2006/12 | Seite 1
55. Jahrgang | Dez./Jan.
Leitartikel
Die Zeit des Schulterklopfens ist vorbei
Zur Qualitätsdiskussion in der Konzertpädagogik ·
Von Juan Martin Koch
Ein wenig paradox mutete die Szene schon an: Da hatten sich an
der Detmolder Musikhochschule Experten der Konzertpädagogik
und verwandter Bereiche zwei Tage lang den Kopf darüber zerbrochen,
wie der schillernde Begriff der Qualität auf Konzerte für
Kinder anzuwenden sei. Und man war zumindest so weit übereingekommen,
dass es höchst differenzierter Kriterien bedarf, um auf diesem
Feld begründete Werturteile treffen zu können. Da trat
Gerald Mertens auf. Der Geschäftsführer der Deutschen
Orchestervereinigung (DOV), der als wichtiger Multiplikator die
Tagung in ihrer Ausstrahlung entscheidend unterstützt hatte,
verkündete überaus Erfreuliches: Mit dem „netzwerk
junge ohren“ werden – vorbehaltlich einer Anschubfinanzierung
durch die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten
(GVL) – ab Mitte des kommenden Jahres die seit dem Ende der
„Initiative Konzerte für Kinder“ nur mehr lose
geknüpften Fäden endlich wieder gebündelt. Das Thema
Konzertpädagogik erhält erneut eine feste, von den Trägern
Phono-Akademie und DOV finanzierte Anlaufstelle (erste Informationen
unter http://www.netzwerk-junge-ohren.de).
Kinder lauschen dem „concertino piccolino“ in
Detmold. Es spielen (v.l.): Claudia Runde, Kristin Haar,
Martina Zimmermann, Melanie Loll und Dietlind Strohpal.
Foto: Juan Martin Koch
Was daran paradox war? Nun, als eine Aufgabe des neuen Netzwerks
nannte Mertens das Ausstellen eines „Qualitätszertifikats“,
ohne auf die Hintergründe einer solchen Plakette – vielleicht
eine Art Kinderkonzerte-Überwachungsverein (KÜV)? –
näher einzugehen. Anscheinend verfügen die beteiligten
Institutionen also längst über das notwendige Instrumentarium,
halten ihre Erkenntnisse aber erst einmal zurück, um den Bedenkenträgern
aus Wissenschaft und Praxis nicht den Spaß an der Debatte
zu verderben. Vielleicht war aber auch nur das Überprüfen
bestimmter handwerklicher Standards gemeint, wogegen nichts einzuwenden
sein dürfte.
Denn dass es hier Möglichkeiten gibt, im Vorfeld Fehler zu
vermeiden oder zumindest in der Rückschau zu benennen, dafür
lieferte die Detmolder Tagung „zur Frage der Qualität
von Konzerten für Kinder“ zahlreiche Anhaltspunkte. Macht
man sich etwa – wie Markus Lüdke sehr präzise zusammenfasste
– klar, an welchen Punkten der inhaltlichen Konzeption und
praktischen Vorbereitung eines Konzerts Entscheidungen anstehen,
und trifft diese bewusst im Hinblick auf das zentrale Anliegen der
Vermittlung, so dürfte schon ein Schritt in Richtung handwerklicher
Qualitätssicherung gemacht sein.
Führt man andererseits, wie in Museen üblich, Besucherbefragungen
durch, so erhält man Auskünfte über den Erfolg der
Veranstaltung, der freilich nicht gleichzusetzen ist mit seiner
ästhetischen Qualität. Ulrich Paatsch von der Arbeitsgruppe
für empirische Bildungsforschung und Franziska Olbertz, die
eine ähnliche Besucherbefragung an einem fiktiven Konzert durchspielte,
machten hier Mut, solche Versuche einfach einmal zu unternehmen.
Deutlich wurde aber auch, wie stark man die Antworten durch die
Art der Fragestellung beeinflussen kann.
Auch was vermeintlich objektivierbare „Qualitätskriterien“
betrifft, ist gesunde Skepsis angebracht, denn – wie der Leiter
des Kinder- und Jugendtheaterzentrums Gerd Taube zu bedenken gab
– meist werden die Maßstäbe für Werturteile
stillschweigend vorausgesetzt und der Diskussion entzogen. Einen
weiteren relativierenden Aspekt brachte Constanze Wimmer ein, die
in ihrem Forschungsprojekt im Sinne der Cultural Studies die Auswirkungen
des persönlichen Hintergrunds der „Macher“ von
Kinderkonzerten auf ihre Arbeit zu beleuchten versucht. Roswitha
Budeus-Budde, bei der Süddeutschen Zeitung Redakteurin für
Kinder- und Jugendliteratur, stellte wiederum überzeugend den
Blickwinkel der Erwachsenen infrage, die oft allzu genau zu wissen
meinen, was für die junge Generation gut ist. Barbara Stiller
schließlich bekannte freimütig, mit Fragebögen bei
der Evaluierung von Kinderkonzerten gescheitert zu sein, und stellte
ihre Methode des Split-Screen-Verfahrens vor, bei dem die Videoaufzeichnung
von Publikum und Bühne parallel ausgewertet werden können.
Als überaus fruchtbar erwiesen sich die Gespräche, die
im Anschluss an die drei im Rahmen der Tagung aufgeführten
Konzerte deren Konzept und Durchführung reflektierten. Sie
zeigten, dass eine effiziente Möglichkeit, an der Qualität
des eigenen Tuns weiterzuarbeiten, die kompetente und konstruktive
Kritik von außen sein kann, die in der Tagespresse meist aus
Desinteresse oder aber zugunsten pauschalen Schulterklopfens ausbleibt.
Voraussetzung dafür ist freilich, dass man bereit ist, sich
dieser Kritik zu stellen – wie hier das Ensemble Mubuntu,
der Komponist und Konzertpädagoge Bernhard König und das
Detmolder „concertino-piccolino“-Team um Tagungsleiter
Ernst Klaus Schneider. Sie alle hatten mit ihren hochklassigen Konzerten
gezeigt, welch unterschiedliche Formen ästhetischer und handwerklicher
Qualität in einem Konzert zum Tragen kommen können, und
hatten – jeder auf seine Weise – ihr Publikum begeistert.
Zurück zum geplanten Netzwerk. Gerald Mertens gab auf Nachfrage
hin zu, man taste sich an das Thema Qualitätskriterien noch
heran, und verwies auf den in diesem Jahr erstmals ausgeschriebenen
„junge ohren preis“ (zusammen mit der Jeunesses Musicales),
über dessen Vergabe eine Jury noch im Dezember entscheiden
werde. Bleibt abzuwarten, wie viele und welche Kinderkonzert-Macher
bereit und finanziell in der Lage waren, für einen undotierten
Preis eine Video-Dokumentation zu erstellen. Klar dürfte auch
sein, dass sich die Bewertungsmaßstäbe bei einer solchen
medialen Vermittlung der Vermittlung im Vergleich zum Live-Eindruck
in ganz andere Richtungen verschieben können.
Das Prozedere dieses Preises, die vielfältigen Tagungsergebnisse,
die Planungen des neuen Netzwerks, besonders aber das bisher vor
allem quantitativ gewachsene Konzertangebot: All dies zeigt, dass
es an der Zeit ist, die Qualitätsdiskussion im Bereich der
Konzertpädagogik jenseits genügsamer Selbstdarstellung
mancher Anbieter und jenseits undifferenzierter Lobpreisungen für
alles, was sich mit dem Etikett Musikvermittlung schmückt,
offen zu führen. Die nmz möchte dieser Diskussion ab der
kommenden Ausgabe wieder eine regelmäßige Plattform bieten.