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nmz-archiv
nmz 2006/12 | Seite 3
55. Jahrgang | Dez./Jan.
Magazin
675 Stunden Musik – nur selber spielen wäre billiger
Musikbibliotheken für jedermann auf den Speichermedien CD,
DVD und MP3
In diesem Jahr hat die „Digitale Bibliothek“ aus Berlin
damit begonnen, neben Büchern (vornehmlich enzyklopädischen
Charakters, Anthologien, Gesamtwerke) und Sammlungen von Werken
der Bildenden Kunst (im Yorck-Projekt) Musik gesammelt zur Verfügung
zu stellen. Dafür hat man eigens eine „Gesellschaft für
Musikarchivierung“ unter dem Label „Aretinus“
gegründet. In kurzer Zeit sind zehn DVDs mit Portraits von
Komponisten erschienen (Vivaldi, Händel, Bach, Haydn, Mozart,
Beethoven, Schubert, Mendelssohn Bartholdy, Dvorák und Brahms;
zu je etwa 40 Stunden Musik) und eine drei DVDs umfassende Sammlung
von „1.000 Meisterwerken der klassischen Musik“ (67
Komponisten vom Barock bis zur Spätromantik mit etwa 275 Stunden
Musik). Alles in allem also eine Musikbibliothek im Umfang von 675
Stunden Musik oder – in alter Währung – von etwa
500 CDs. Das alles ist gar nicht einmal teuer, sondern ausgesprochen
günstig. Die „1.000 Meisterwerke“ kosten 39,90
Euro, die Einzelausgaben komplett 169,90 Euro oder einzeln 24,90
Euro im nmz-shop (Angebot bis Ende 2006, solange der Vorrat reicht).
Speichermedium
Note und Buch oder Speichermedium DVD und MP3: Absolute
Sicherheit gibt es nicht. Unser Bild zeigt die Folgen des
verheerenden Feuers, das am 2. September 2004 große
Teile der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar zerstörte,
darunter auch die berühmte Musiksammlung. Foto: Maik
Schuck
Nun ist der Preis nur ein Kriterium, ein nicht geringes anderes
ist selbstverständlich die Qualität. Technisch gesehen
handelt es sich bei den vorliegenden Daten um MP3-Daten, also datenkomprimierte
Versionen „reiner“ Musik. Bei den Ausgaben hat man den
Versuch unternommen, bei der Kompression eine hohe Qualität
zu erhalten. Im Durchschnitt handelt es sich um eine Bitrate von
224 kBit (in Onlineshops für Popmusik sind es gewöhnlich
nur 128 kBit). Zur Kompression hat man den LAME-Encoder verwendet,
einen freien Codex im Gegensatz zum berühmten Codex des Fraunhofer-Instituts.
Zudem liegen die sogenannten Meta-Daten bei, die genauere Informationen
über die einzelnen Dateien verraten (in den Formaten ID3v1
und ID3v2). So erhalten Nutzer dieser DVDs in MP3-fähigen Endgeräten
gegebenenfalls durchaus Zusatzinformationen über die einzelnen
Stücke wie „Interpret“ oder „Jahr“.
Allerdings unterliegen diese Meta-Informationen systembedingt gewissen
Einschränkungen, weil diese Daten auf den Bereich der Popmusik
zugeschnitten sind. Der Komponist interessiert in diesem Bereich
relativ wenig. Statt des Komponisten zeigen gewöhnliche MP3-fähige
Abspielgeräte den Interpreten und den Titel des Stückes
an. Aus diesem Grunde weisen zahlreiche Abspielgeräte statt
des Interpreten an dieser Stelle den Komponisten aus, die Interpreten
wandern stattdessen in das Feld „Beschreibung“. Dieses
Manko der MP3-Katalogisierung von Kunstmusik ist bekannt, eine Lösung
ist allerdings nicht in Sicht. Mit diesen Einschränkungen muss
man leben. Bei den „1.000 Meisterwerken“ erwies sich
offenbar der Eintrag ins Feld „Jahr“ als problematisch.
Eigentlich sollte dieser mit irgendetwas Nützlichem korrespondieren,
Aufnahme-Datum oder besser Entstehungszeit. Bei Mahler steht da
jedoch beispielsweise immer 1885, bei Mozart 1781, bei Bruckner
1849. Die anderen Komponisten dürften ebenso betroffen sein.
Offenbar ein Fehler bei der automatisierten Verarbeitung einer Datenbank.
Auf Nachfrage hat die Digitale Bibliothek versprochen, diesen Mangel
in späteren Revisionen der „1.000 Meisterwerke“
zu korrigieren.
Die DVDs selbst sind selbstverständlich nicht kopiergeschützt
oder mit Mitteln eines Digital Rights Managements limitiert. Alle
Daten können so häufig kopiert werden, wie man will, und
auf welches Gerät auch immer, sofern es sich für Datenspeicherungen
eignet. Von der DVD auf den MP3-Player oder auf eine CD zu kopieren,
dürfte mit den gängigen Programmen keine Schwierigkeiten
bereiten. Ein Booklet liegt den DVDs nur noch in elektronischer
Form als PDF bei – auch hier war die erste Absicht, Kosten
einzusparen (das Booklet für die „1.000 Meisterwerke“
umfasst gut 60 Seiten, nur mit den Namen der Werke und ihrer Interpreten).
Die Qualität der einzelnen Aufnahmen dieser umfangreichen Sammlungen
zu überprüfen, konnte aus nachvollziehbaren Gründen
nicht erfolgen (der Rezensent hätte dazu schließlich
Tag und Nacht etwa 28 Tage benötigt). Dennoch lässt sich
einiges über die verschiedenen Ausgaben sagen. Grundsätzlich
handelt es sich bei dem verwendeten Material um vorliegende Aufnahmen
aus den Katalogen verschiedener Labels: Brillant Classics, Joan
Records und Mediaphon. Diese haben für die verschiedenen Komponisten
CD-Kartons gefertigt. Die Auswahl der Interpreten und Werke der
vorliegenden Ausgaben der Digitalen Bibliothek übernehmen die
Qualität und die Mängel dieser CD-Konfektionen.
Was die Werkauswahl angeht, sind Lücken selbstverständlich
und unumgänglich. So beinhaltet die Haydn-DVD zwar das Klavierwerk
sehr umfangreich, dafür fehlen jedoch die Streichquartette
komplett (die jedoch ausschnittsweise in der DVD-Sammlung der „1.000
Meisterwerke“ auftauchen). Manche weitere Lücke wäre
vermutlich leichter zu beheben gewesen. In den „1.000 Meisterwerken“
sind auch Sinfonien von Bruckner und Mahler dabei, allerdings auch
nicht komplett (Mahler 1, 2, 5, 6 und das Adagio der 10.; bei Bruckner
2, 4, 6, 7, 9). Oder bei Debussy, bei dem das Booklet die 12 Préludes
(Heft 1) mit Peter Schmalfuss ankündigt, am angegebenen Ort
finden sich jedoch nur die Nummern 7, 8, 10 und 12. Ähnlich
der Fall bei den Kinderszenen von Robert Schumann. Solche Ungeschicklichkeiten
wird man hinnehmen müssen. Ein Mangel im emphatischen Sinne
sind sie nicht, sieht man in erster Linie auf den Preis. Fehlerhaft
dagegen ist die Auswahl bei Grieg. So firmieren die gleichen Aufnahmen
einmal unter Norwegische Bauerntänze für Klavier op. 72
und zugleich als Norwegische Hochzeitstänze. Das angegebene
„Slowakische Philharmonische Orchester“ unter den Dirigenten
Bystrik Rezucha und Libor Pesek ist erstaunlich still. Bei der Brahms-DVD
leidet das Liedschaffen sehr unter der Auswahl der Interpreten,
vor allem im Vergleich mit den Aufnahmen Schuberts. Die Aufnahmen
sind nicht unbedingt schlecht, jedoch vor allem älteren Datums
– durchwegs zwischen 1937 und 1944 aufgenommen – und
nennen sich deshalb historische Aufnahmen. Unter den Sängern
finden sich Hans Hotter, Julius Patzak, Elisabeth Schwarzkopf oder
Aulikki Rautavaara. Anders bei der Schubert-DVD: „Die schöne
Müllerin“ (Peter Schreier, Walter Olbertz 1974), „Schwanengesang“
(John Shirley-Quirk, Steuart Bedford 1977) und „Winterreise“
(Robert Holl, Num Grubert 1995). Die Werkinterpretationen sind bei
den „1.000 Meisterwerken“ in gewissem Sinne pluralistisch;
das heißt zum Beispiel, dass jede Bruckner-Sinfonie von einem
anderen Orchester und einem anderen Dirigenten eingespielt worden
ist. Aber es gibt auch Konsistenz: Die Schubert-Sinfonien spielt
The Hanover Band unter Roy Goodman. Was einem lieber ist, ist Geschmackssache.
Vorab sollte man sich, will man unangenehme Überraschungen
vermeiden, die Booklets aus dem Internet laden und genau durchschauen.
Über diese Beschränkungen muss man sich im Klaren sein.
Wie erwähnt, es handelt sich nicht um Hochpreis-Produkte, die
übrigens auch nicht automatisch für Qualität bürgen.
Jenseits solcher Aspekte stellt sich eigentlich nicht die Frage,
ob diese Editionen sich lohnen. Billiger und umfangreicher kommt
man nicht an Musik, jedenfalls nicht legal – es sei denn,
man hat in seinem privaten Umfeld jemanden, der noch mehr Musik
besitzt und verleiht, und man findet die Zeit, die Musik entsprechend
aufwendig in das MP3-Format zu kodieren. Abgesehen davon kann man,
je nach Geschmack, beispielsweise die historischen Aufnahmen des
Liedschaffens von Brahms als Eigenwert auffassen. Und natürlich
gibt es viel Musik, die die meisten wohl nicht unbedingt kennen:
zum Beispiel die Bagatellen op. 47 wie auch sämtliche Streichquartette
Dvoráks oder die „Missa canonica“ WoO 18 von
Brahms und viele andere Schätze des musikalischen Schaffens
der Portrait-Komponisten.
Pläne für weitere Portraits gibt es bei der Digitalen
Bibliothek, ein Verkaufserfolg sind die „1.000 Meisterwerke“
schon jetzt. Wünschenswert wäre es, den Zeitraum der erfassten
Musik bis ins Mittelalter zu erweitern – auch um dem Namensgeber
des Unternehmens, Aretinus, also Guido von Arezzo, die Ehre zu erweisen.
Die Moderne wird aus urheberrechtlichen Gründen weiterhin tabu
bleiben. Anzuregen wäre auch eine Ergänzung mit außereuropäischer
Musik, wie sie in alten Dokumenten verstreut in Archiven vorliegt.
In Ergänzung der traditionellen Vertriebswege denkt die Digitale
Bibliothek auch darüber nach, die Musik auf Downloadbasis anzubieten.
Martin Hufner
Im nmz-shop
1.000 Meisterwerke der klassischen Musik 275 Stunden MP3: Das große MP3-Paket; DVD –
3 DVD-ROMs zum Sonderpreis (nur solange der Vorrat reicht). www.nmz-shop.de,
Bestell-Nr.:
NMZ 198