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nmz-archiv
nmz 2006/12 | Seite 10
55. Jahrgang | Dez./Jan.
Magazin
Bei diesem Klavierspieler war alles von Anfang an da
Ernst Burger im Gespräch mit der neuen musikzeitung über
seine Erroll-Garner-Biografie
Seine
materialreichen, luxuriös ausgestatteten Bände über
Liszt, Chopin und Schumann genießen unter Musikfreunden und
Liebhabern guter Bücher beinahe schon Kultstatus. Nun hat der
Münchener Pianist und Autor Ernst Burger in einem ähnlich
aufwändigen Band dem populärsten Jazzpianisten seiner
Generation, Erroll Garner, ein Denkmal gesetzt. Andreas Kolb sprach
mit Ernst Burger über Garner, über das Sammeln und das
Büchermachen.
neue musikzeitung: Herr Burger, Sie sind Pianist
und Autor und in gewisser Weise auch Sammler und Archivar. Wie sind
Sie zum Garner-Biografen geworden? Ernst Burger: Mein erstes Buch galt Franz Liszt
und da waren die Beweggründe eigentlich die gleichen wie bei
Erroll Garner. Liszt wird immer ungerecht behandelt, wird verurteilt
und wird falsch eingeschätzt, von Leuten, die sich eigentlich
kaum mit ihm befassen. Das war die Motivation, das Liszt-Buch zu
machen. Eigentlich trifft das auch auf Erroll Garner zu. Garner
war ein unglaublich begabter Musiker, er wurde auch von seinen Kollegen
und sogar von seinen Konkurrenten wie Peterson, Monk, Shearing,
Brubeck hoch geschätzt, und heute ist er fast vergessen. Die
ältere Generation kennt ihn natürlich noch, die jungen
Leute aber kennen seinen Namen nicht mehr, und dies, obwohl Garner
zum Beispiel von Dan Morgenstern als der erfolgreichste Jazzmusiker
seiner Generation bezeichnet wird.
Erschienen
bei ConBrio: Burgers Biographie des Pianisten Erroll Garner
nmz: Sie kennen Garner, Chopin, Schumann und Liszt
nicht nur aus der Theorie. Denn Sie sind Pianist. Welche Rolle spielt
das für Ihre Arbeit als Autor? Burger: Ich komme vom Klavier her und da ist es
natürlich nahe liegend, dass man sich mit Klavierkomponisten
beschäftigt. Und wenn man die Musik dieser Komponisten oft
spielt, dann interessiert man sich natürlich für ihr Leben
und für deren ganze Epoche. Dann sprachen Sie meine Tätigkeit
als Sammler an. Ich bin kein Sammler, der sammelt, um Dinge zu besitzen,
sondern der Impuls zu sammeln kam daher, dass ich diese Sachen im
Buch abbilden wollte.
nmz: Dem Buch ist eine CD beigelegt, die mit
Sicherheit den Wert eines historischen Dokuments hat. Burger: Aus der Zeit von 1946 bis 1955 habe ich
18 Aufnahmen ausgewählt. Manfred Scheffner hat dann aus meiner
Liste die CD gemacht. Es ist ja so: Nicht alles, was die Jazzpianisten
gespielt haben, muss man unbedingt hören. Und auch Garner hat
oft im Stil eines Cocktail-Pianisten gespielt … Aber manche
Stücke sind eben toll, wie die aus der ersten Epoche, in der
er noch überwiegend Stride-Piano spielte, bis zu „Concert
by the sea“, dieser fast schon legendären Aufnahme von
1955.
nmz: Was zeichnet Garners Spiel aus, was fasziniert
so an ihm? Burger: Es ist zunächst zu sagen, dass Garner
ein großer Melodiker war. Er hat immer schön gespielt,
sein Spiel ist immer melodiös. Das ist der eigentliche Grund,
weshalb er so beliebt war, auch bei einem Publikum, das sich sonst
nicht so für Jazz interessiert hat: Die schönen Melodien,
seine melodiösen Chorusse. Dann gehört zu den besonderen
Merkmalen seine linke Hand, die er immer als Rhythmusinstrument
gebraucht, das ist fast seine Erfindung. Zudem dieses merkwürdige
Rubato, das es im Piano-Jazz nur bei Garner gibt: Die rechte Hand
spielt selten mit der linken genau zusammen, was eine unglaubliche
Spannung erzeugt. Die rechte Hand hängt sozusagen hinterher
und komischerweise macht das den ganzen Beat noch spannender, weil
die linke Hand eisern im Takt bleibt. Außerdem die Akzente,
die Garner immer während des Spiels setzt, meistens mit der
linken Hand, nach vier oder acht Takten. Das kann man ungefähr
mit einem Schlagzeuger vergleichen, der mittendrin einen besonderen
Schlag macht. Ein weiteres Garner-Kennzeichen sind seine Einleitungen,
die ganz unterschiedlich sind. Manchmal haben sie mit dem Stück,
das anschließend kommt, überhaupt nichts zu tun. Niemand
käme dabei auf die Idee, welches Stück sich da anbahnt.
Auch der begleitende Bassist wusste meistens nicht, was jetzt kommt,
wahrscheinlich wusste es Garner selber nicht.
nmz: Wie gehen Sie an so ein Buch heran? Burger: Bei den klassischen Komponisten, von denen
wir vorher sprachen, Chopin, Liszt oder Schumann, da gibt es ja
Briefe, da gibt es zeitgenössische Urteile. Das heißt,
über das Leben der Komponisten ist relativ viel bekannt. Bei
Jazz-Pianisten spielt sich das Leben nachts ab und ihr Privatleben
ist ziemlich unbekannt. Ich bin so vorgegangen: Die Jazz-Zeitschriften
damals, Down Beat oder Metronome zum Beispiel, haben immer Notizen
gebracht ab den 1940er-Jahren. Was die Materialsammlung angeht,
so muss ich wirklich ein Loblied auf das Jazzinstitut in Darmstadt
singen! Darin habe ich alles gesucht, was über Garner geschrieben
wurde, wobei mir ein Index behilflich war.
nmz: Neben Ihrem Text prägen ja die vielen
Fotos das Buch ganz entscheidend. Burger: Garner ist sehr oft fotografiert worden,
gerade auch in der Konzertsituation. Das größte Kontingent
im Buch stammt übrigens aus der Sammlung Ludwig Binder des
Bayerischen Jazzinstituts in Regensburg, das sehr entgegenkommend
war. Bis auf zwei, drei Fotos sind das Bilder, die noch nie veröffentlicht
worden sind.
nmz: Und wie entsteht das Zusammenwirken von Text
und Bildern? Burger: Da muss ich zunächst sagen, dass ich
ganz altmodisch bin, dass ich meine Texte noch mit der Schreibmaschine
schreibe. Das ist die erste Stufe: Ich mache mir ein Konzept dazu,
wie das Buch aufgebaut ist, und schreibe die Texte. Diese verkleinere
ich dann, klebe sie in das Buch und kombiniere sie mit Bildern.
Das heißt, ich mache das Layout selbst. Das hat den großen
Vorteil, dass ich beim Schreiben und wenn ich das Ganze montiere
einen Mords-Spaß habe, weil ich sehe – anders als mit
einem Karton voller Texte und einem voller Fotos: Es entsteht etwas.
nmz: Sie haben lange an diesem Buch gearbeitet;
Zeit für ein neues? Burger: Nachdem sich 2010 Chopins Geburtstag zum
200. Mal jährt, habe ich mir überlegt, ob ich wieder zu
meiner großen Liebe Chopin zurückkomme. Was mir zum Beispiel
seit langem vorschwebt, ist ein zweites Buch über Chopin. Dann
vielleicht etwas über Art Tatum, auch hierzu gibt es nichts
Vernünftiges. Und was ich auf alle Fälle mache, was eine
kleinere Arbeit sein könnte, ist das Thema „Franz Liszt
in Rom“. Dazu werde ich einmal einige Monate in Rom leben.