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nmz-archiv
nmz 2006/12 | Seite 17
55. Jahrgang | Dez./Jan.
Medien
Nicht jung oder alt, sondern Kommerz oder Kultur
Theodor Clostermann von das
Ganze Werk über Vorgeschichten und Hintertüren bei
Bayern 4 Klassik
Entwarnung? Bleibt Bayern 4 Klassik bestehen? Eigentlich ja, will
man den Worten von Hörfunkdirektor Johannes Grotzky glauben:
„Von Seiten der Geschäftsführung des Bayerischen
Rundfunks steht die Ausstrahlung von Bayern 4 Klassik auf UKW nicht
zur Disposition. Es ist nicht die Absicht der Geschäftsführung,
die Junge Welle zu Lasten von Bayern 4 Klassik auf UKW zu verbreiten.“
Doch die Musikfreunde von Bayern 4 Klassik wollen es nicht so
recht glauben. Bis Donnerstag, dem Tag des Interviews, waren beim
Bayerischen Musikrat 8.800 Unterschriften eingegangen. Und er sammelt
weiter. Aus gutem Grund. Denn es gibt noch eine Hintertür,
und die ist nach der ganzen Vorgeschichte riesengroß. Hat
Grotzky in dem Interview auch angekündigt, dass der Rundfunkrat
in Zukunft nicht mehr darüber abstimmt, dass Bayern 4 Klassik
durch die Junge Welle abgelöst wird? Nein, danach sucht man
im Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 16. November 2006
vergebens: „In der Tat gab es im Rundfunkrat Bedarf, noch
einmal über Alternativen zu diskutieren – auch darüber,
ob Bayern 4 Klassik auf UKW einer Jungen Welle weichen könnte.
Dies ist aber eine partielle Diskussion, die ohne Auswirkung auf
die Entscheidung der Geschäftsführung geblieben ist.“
Vergangenheit. Wie kann es nun weitergehen? Dazu gibt die Frankfurter
Allgemeine Zeitung einen Tag später folgende Meldung: „In
seiner Stellungnahme gegenüber der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung, die erst auf wiederholte Anfrage zustandekam, hatte Grotzky
auf das Votum des Rundfunkrates verwiesen.“ So vage der Hinweis
„auf das Votum des Rundfunk-rates“ auch ist, kann man
ihn getrost als seine Entscheidungsmaxime für die Zukunft ansehen.
In diesem Sinne hat er sich auch grundsätzlich in einem Interview
mit Caroline von Lowtzow von der Redaktion „Zündfunk“
am 23. Oktober 2006, also nach der letzten Rundfunkratssitzung,
geäußert: „Wenn der Rundfunkrat eine Mehrheits-Empfehlung
für UKW gibt, bin ich mir sicher, dass wir es machen.“
Können Johannes Grotzky und sein Intendant Professor Dr. Thomas
Gruber die Kräfte, die sie in Bewegung gesetzt haben, vor oder
in der nächsten Rundfunkratssitzung wieder stoppen und damit
eine solche Empfehlung verhindern? Das wäre anständig
im Sinne des neuen Beschlusses der Geschäftsführung. Es
ist aber kaum zu erwarten.
Warum? Weil chaotische Kräfte am Werk sind. Ich nenne es absichtlich
so: Wer zerstört schon absichtlich eine weit geschätzte
kulturelle Einrichtung, die Welle Bayern 4 Klassik, mit der der
Kulturauftrag erfüllt wird, die mit ihren Orchestern und ihrem
Chor Träger kulturellen Lebens in der Region ist und die sich
zum Beispiel auch in unserer Vergleichsuntersuchung zu fünf
Kulturwellen durch besondere Verdienste hervorgetan hat (speziell
im Vergleich zu NDR Kultur), um den Musikfreunden als Alternative
die bloße Ankündigung einer neuen Katze im Sack anzubieten?
Es geht nicht um Jung gegen Alt, es geht um Kommerz auf Kosten der
Kultur. Der Intendant am 26. Januar 2006 im Rheinischen Merkur:
„Es ist aber vorstellbar, dass wir Bayern 4 Klassik eines
Tages nicht mehr über UKW verbreiten, sondern digital und flächendeckend
in viel besserer Klangqualität als heute üblich.“
Nach UKW würde automatisch auch das Kabel wegfallen, das steht
deutlich in vielen Artikeln. Woher soll dann die „Fläche“
kommen? Vom DAB, so die neue Perspektive der „Münchner
Erklärung zur Digitalisierung“, die nach den Informationen
von Johannes Grotzky in seinen beiden Interviews „Geräte-
und Autoindustrie (BMW, Audi), ARD, Privatsender und Politik“
am 18. oder 19. Oktober 2006 unterschrieben haben.
Für Bayern 4 Klassik ist das doch wirklich nichts. Seit einem
Jahrzehnt wird mit Millionen-Subventionen daran herumexperimentiert,
und eine wesentliche Bedingung ist einmal mehr auf den Sanktnimmerleinstag
verschoben worden: Wegen der Nachbarfrequenz der Bundeswehr darf
die Sendeleistung nur ein mageres Kilowatt sein. Typisch für
die Misserfolgsgeschichte ist folgender Zwischenakt, der in dem
taz-Bericht angekündigt wird, der vom Beschluss des Hörfunkausschusses
zum Erhalt von Bayern 4 Klassik handelt:
„Am 16. Oktober werden Industrie, Politik und Bundeswehr
darüber verhandeln, ob nicht doch mehr DAB-Leistung möglich
ist.“ Ein Ergebnis ist nirgends öffentlich mitgeteilt
worden, die „Münchner Erklärung“ ist danach
beschlossen worden. Von der neuen musikzeitung wissen wir, dass
die Verhandlungen mit der Bundeswehr gescheitert sind und einmal
mehr ein Prüfauftrag herausgekommen ist.
Droht einer neuen Jungen Welle auch diese digitale Perspektivlosigkeit?
Nein, denn sie kann in Zukunft digital jenseits von DAB mit Techniken
arbeiten, die in zwei Richtungen funktionieren und mit gewinnträchtigen
interaktiven „Geschäftsmodellen“ verbunden werden.
Und zwar so, wie es mit den neuen Handys der Fall ist, mit denen
unmittelbar zu bezahlende Auswahlwünsche abgerechnet werden
können. Ein Modell, das die Kasse zum Klingen bringen wird
und bestens auf die Jugend, nicht aber auf die älteren Musikliebhaber
zugeschnitten ist.
BMW, Partner der „Münchner Erklärung zur Digitalisierung“,
weist zum Beispiel den Weg: „Innovative Technologien ermöglichen
es dem Fahrer, beliebige Entertainment-Inhalte herunterzuladen und
so sein Unterhaltungsprogramm individuell zusammenzustellen. Damit
werde der Kunde zum aktiven Gestalter und sei nicht mehr von Autoradio
im klassischen Sinne abhängig.“ (Inside BMW, 4.11.2005)
Die Devise der entsprechenden Lobby lautet: Erst einmal einen neuen
Sender gründen und ihn „on air“ populär machen,
das Digitale baut später darauf auf. Johannes Grotzky im Interview
mit Caroline von Lowtzow:
„(Dann) könnte die Rundfunkrätin Martina Kobriger
vom Bayerischen Jugendring (...) mit ihrer Organisation eventuell
behilflich sein, die Geräte mit unter die Jugendlichen zu bringen.“
Diese Rolle hat der Hörfunkdirektor also schon verteilt, und
die anderen? Die Geschäftsführung hat ihre Entscheidung
erst einmal an den Rundfunkrat abgegeben. Dort sitzen, wie es die
letzte Rundfunkratssitzung am 12. Oktober gezeigt hat, Verbündete
der BR-Verantwortlichen, die auch schon ihre Rollen zugeteilt bekommen
haben. Sie sollen sich dafür stark machen, dass das „Geschäftsmodell“
Junge Welle öffentlich-rechtlich in Gang kommt, um das Geschäft
mit der Jugend nicht anderen Plattformen zu überlassen:
Für eine Junge Welle muss sich der Bayerische Rundfunk mit
seinen fünf UKW-Wellen etwas anderes einfallen lassen, als
den Kulturauftrag mit Füßen zu treten. Dessen Erfüllung
ist übrigens auch einklagbar.