nmz 2006/12 | Seite 28
55. Jahrgang | Dez./Jan.
Musikbildung
Weikersheim jetzt World Meeting Center
Musikakademie Schloss Weikersheim – musikalische Heimat
für die ganze Welt
„Weikersheim ist eigentlich ein Gesamtkunstwerk“ sagt
ein Teilnehmer des Dirigierseminars der Jeunesses Musicales Deutschland
(JMD). „Weikersheim ist so etwas wie meine zweite Heimat.
Jedes Mal, wenn ich danach wieder in Köln bin, freue ich mich
schon aufs nächste Jahr,“ sagt Egon-Joseph Palmen, der
mit seinem Sohn Alvaro das Orchester der Rheinischen Musikschule
Köln leitet. Seine jungen Musiker sehen das ähnlich: Voller
Begeisterung erobern sie sich die kleine Stadt in der Hohenlohe,
in der ganzen Akademie tönt Dvorak aus allen Winkeln und Ecken.
Das
World Meeting Center auf einen Blick. Foto: Musikakademie
Weikersheim.
Zweimal „Jugendorchester“: eine typische Woche für
die Musikakademie, die mit ihren ca. 8000 Gästen (fast 25000
Übernachtungen) eine der größten Musikbildungsstätten
in Deutschland ist. Mit ihren vier gro-ßen und etwa zwanzig
mittleren und kleinen Probenräumen bietet sie eine ideale Infrastruktur
für Chor- oder Orchesterprobenphasen. Zweimal „Jugendorchester“:
eine Woche also auch so recht nach dem Selbstverständnis der
JMD als Fachverband der Jugendorchester. Die Jeunesses ist nicht
nur für die Palmens oder den Dirigierprofessor Karl-Heinz Bloemeke
genau so untrennbar mit Weikersheim verbunden, wie Stadt und Schloss
oft als Einheit wahrgenommen werden.
Die Ideale der JMD sind Kernaussagen auch für die Mitarbeiter
der Musikakademie und die eingeladenen Dozenten. Bloemeke und sein
Ko-Dozent Constantin Alex erklären zu ihrem Seminar: „Wir
haben unser Konzept ständig den sich verändernden Bedingungen
angepasst und versucht, es zu verbessern. So ist man als Lehrender
auch stets Lernender – und das ist sehr spannend!“ Weiterentwicklung,
so meinen sie, ist überhaupt ein für Weikersheim charakteristisches
Phänomen. Man habe es geschafft, unter Beibehaltung der Atmosphäre
der Pionierzeit, technische Möglichkeiten und Ausstattung nach
und nach zu ergänzen, auf der Suche nach inspirierenden und
professionellen Arbeitsbedingungen. Für Alex spiegelt das auch
in gewisser Weise die Geschichte der JMD wider, die er noch aus
einer Zeit kennt, als man in Weikersheim im historischen Marstall
probte – dass sich die Kursteilnehmer im Brunnen waschen mussten,
war allerdings auch damals schon Legende: „An all dem hängt
ganz viel Nostalgie und Erleben. Das ist Historie, auf der Innovatives
wachsen kann.“
Innovativ war man in Weikersheim bereits in den 50er-Jahren, als
Dozenten wie Werner Egk und Hermann Scherchen die ersten Orchester-
und Kammermusikkurse leiteten und damit eine notwendige und sinnvolle
Ergänzung zum Programm der Musikhochschulen anboten. Und man
blickt und arbeitet erwartungsvoll in Richtung Zukunft: Im vergangenen
Jahr wurde der Musikakademie vom Weltverband der Jeunesses Musicales
International der Titel „World Meeting Center“ verliehen.
Aber auch über das Inhaltliche hinaus blieb in Weikersheim
die Zeit nicht stehen: 1981 wurde das Gästehaus der Musikakademie
eingeweiht, das zunächst durch das Deutsche Jugendherbergswerk
und seit 2004 als „Logierhaus“ in Eigenregie geführt
wird. Logierhaus-Meister Andreas Berns ist unermüdlich in seinem
Bestreben um Qualität, aber auch in seinem Kampf für ökologische
Ziele und dafür, den „Geist der Jeunesses“ spürbar
werden zu lassen – und dabei handelt es sich nicht um ein
verstaubtes Schlossgespenst: Das Team der Logierhausküche arbeitet
ausschließlich mit frischen und regionalen Produkten, es gibt
keine Tiefkühlkost mehr und man kocht zum Beispiel im Sommer
zentnerweise Tomaten ein, um bis ins Frühjahr bei Suppen und
Soßen ohne Fertig-Konserven auszukommen. Die jugendlichen
Gäste sind begeistert von selbstgemachter Pizza, von sommerlichen
Grillpartys und echten Maultaschen. Sowohl die Slowfood-Vereinigung
als auch das umweltorientierte Viabono-Reiseportal sehen im Logierhaus
ihre strengen Qualitätskriterien erfüllt; ab 2007 anstehende
Renovierungsmaßnahmen werden seinen Standard noch weiter heben.
Persönliche Verbindungen zu seinen Gästen zu schaffen,
ist für das gesamte Weikersheimer Team ein zentrales Anliegen.
So erlebt es auch Alvaro Palmen, der „Junior-Chef“ des
Kölner Orchesters, der schon zu seiner Schulzeit als Geiger
hier war: „Der Kontakt zu den Menschen ist uns sehr wichtig,
damals wie heute – von den Mitgliedern der Verwaltung bis
zum Küchenpersonal und den örtlichen Gastronomen.“
Auch Bürgermeister Klaus Kornberger ist stolz, wenn durch
„seine“ Akademie der Name Weikersheims weit über
die Landesgrenzen hinausgetragen wird: Es ist bezeichnend für
die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Stadt und JMD, dass
er es sich nicht nehmen lässt, den Mitgliedern der Rheinischen
Musikschule persönlich dafür zu danken, dass sie sich
nun schon zum 25. Mal in Weikersheim einfanden. Das kleine Weikersheim
und die große Welt – nicht nur für die jungen Musiker
aller Herren Länder eine gelungene Kombination. Alvaro Palmen
meint dazu: „Wir sind natürlich mit unserem Orchester
Mitglied in der JMD, ich verfolge die Opernproduktionen, die Arbeitsphasen
der großen Orchester. Hier ist einfach der Ort, wo die Jeunesses
ideal wahrgenommen und die Glaubhaftigkeit ihrer Mission unterstützt
wird.“ Und Constantin Alex ergänzt, während er sich
wieder aufmacht, über den kopfsteingepflasterten Marktplatz
hinweg in Richtung des schon leicht herbstlich gefärbten Schlossparks:
„Wenn man im Laufe eines Kurses sieht, wie jemand lernt, sich
besser auszudrücken und zu kommunizieren, dann ist das auch
ein Stückchen Menschenbildung. Und wenn man so erreicht, dass
jemand die Möglichkeiten, die er in sich trägt, besser
ausschöpfen kann, dann ist das eigentlich das Schönste,
was passieren kann.