Helmut Loos (Hrsg.): Robert Schumann. Interpretationen seiner
Werke, Laaber Verlag, Laaber 2005; 2 Bände, 983 Seiten, ISBN
3-89007-447-2, 178,– €
Robert Schumann sei der „von allen Tonschöpfern am
schwersten nach allen Richtungen hin zu erfassende“, hat sein
Freund und Schützling Johannes Brahms einmal gesagt, und dieses
Zitat steht nicht umsonst am Ende von Peter Gülkes großem
biographischen Essay für das neue „Schumann-Handbuch“
bei Bärenreiter. Denn auch Peter Gülke hat es sich nicht
leicht gemacht; er hat keine kommentierte Chronologie des Lebens
und Schaffens abgeliefert, sondern einen Text, der die vielen, oft
ineinander verzahnten Bereiche – oder besser: Probleme –
des Schumann-Bildes zusammendenkt: die frühe Jugend Schumanns,
die dem Bild des „romantisch Angekränkelten“ widerspricht,
mit den späteren Schwankungen zwischen Euphorie und Depression;
den von Schumann selbst bedienten Mythos des Inspirationsmusikers
mit dem planmäßigen Erschließen aller wichtigen
Gattungen; oder die in die Zukunft gerichtete Idee einer poetischen
Musik mit der kompositorischen Reflexion älterer und jüngerer
Vergangenheit.
Auf faszinierende Weise gelingt es Gülke – übrigens
unter dem brillanten Titel „Schumanns jubelnd erlittene Romantik“
–, die üblichen Kurzschlüsse von einem überreich
dokumentierten Leben auf das Werk zu vermeiden und stattdessen Schumanns
Leben ein Stück weit aus den Werken heraus neu in den Blick
zu nehmen, wofür manch erhellender analytischer Exkurs die
Basis bildet. Ein nicht immer leicht zu lesender, aber dennoch idealer
Einstieg und Ausgangspunkt für ein Buch, das sich nichts Geringeres
zur Aufgabe gemacht hat, als in diesem Jubiläumsjahr die Diskussion
über Schumann auf eine neue Ebene zu heben. Nicht alle werkbezogenen
Abschnitte können Gülkes Reflexionsniveau halten –
etwa in Bezug auf die „Dichterliebe“ oder das Violinkonzert
–, insgesamt gelingt es den Autorinnen und Autoren aber hervorragend,
den Blick aufs Einzelwerk mit dem jeweiligen Gattungshintergrund
in Beziehung zu setzen. Hinzu kommen weitere themenbezogene Aufsätze,
unter denen Gerd Nauhaus’ souveräner Forschungsüberblick,
Uwe Schweikerts Abhandlung zum literarischen Werk und Bernhard Appels
akribische Darstellung und Analyse der Schumann’schen Schaffensweise
hervorstechen. Eine Chronologie, Beiträge zur Wirkungsgeschichte
und ein Werkverzeichnis runden das gehaltvolle Kompendium ab.
Gehaltvoll auch der Beitrag des Laaber Verlags zum Schumann-Jahr,
wobei ein näheres Hinsehen offenbart, dass die beiden großzügig
gesetzten Bände nicht mehr Text enthalten als das Bärenreiter-Buch.
Wie schon im Fall der ähnlich konzipierten Doppelbände
zu Beethoven und Schönberg führt der Titel ein wenig in
die Irre. Er drückt den Anspruch aus, dass jede Werkanalyse
auch eine Interpretation sein müsse, ein Anspruch, dem bei
einer solchen Unternehmung naturgemäß nicht jeder Text
in gleicher Weise gerecht zu werden vermag.
Da stehen hervorragende Betrachtungen zu den Symphonien 2 und 4
neben einer uninspirierten, an der Sekundärliteratur entlang
referierenden Abhandlung zur Fantasie op. 17, solide, konventionelle
Analysen (etwa zum Klavierquintett) neben merkwürdig an der
eigentlichen Musik vorbeigehenden Texten (Dichterliebe). Insgesamt
wird man aber zuverlässig mit Informationen zu allen Werken
versorgt, nicht zuletzt durch die ausführlichen Steckbriefe
zur Entstehung am Beginn jedes Artikels, die sich in der Systematik
an Margit McCorkles Maßstab setzendes Werkverzeichnis anlehnen
(siehe nmz 7/8-2003).
Interessant ist zu beobachten, wie zwei Autoren mit der Tatsache
der Doppelbesetzung in beiden Büchern umgehen. Hansjörg
Ewert profitiert im Bärenreiter-Handbuch von dem Umstand, das
Thema Oper zunächst grundsätzlich behandeln zu können,
um die „Genoveva“ dann sehr klar strukturiert in den
Fokus zu nehmen, während sein Werkporträt bei Laaber alle
Aspekte auf knapperem Raum zu kondensieren versucht.
Beim „Requiem für Mignon“ wiederum bringt die
Konzentration aufs Einzelwerk den Vorteil, dass die Klavierlieder
op. 98a und das Chorwerk op. 98b wie von Schumann gedacht als eine
Werkeinheit begriffen werden, während im Handbuch beide Elemente
nach Gattungen getrennt sind. Jon Finson wiederum porträtiert
die erste Symphonie bei Laaber eher an der Genese des Werkes entlang,
während er bei Bärenreiter mehr den Gestus des anspruchsvollen
Konzertführers anschlägt.
Somit ergänzen sich diese Publikationen in ihren unterschiedlichen
Konzeptionen, wobei das Schumann Handbuch die anregendere Lektüre,
das Laaber-Kompendium die ausführlicheren Werkbetrachtungen
bietet. Und beide Bände machen deutlich, dass in Sachen Schumann
des Lernens kein Ende ist.