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nmz-archiv
nmz 2006/12 | Seite 47
55. Jahrgang | Dez./Jan.
Rezensionen-CD
Ferchows Phonetischer Kehraus 2006
Zehn letzte Popplatten mit edlen Missionen
Vorbei das Jahr. Ein ruhiges bescheidenes Phonojahr. Geprägt
von bodenständigen Veröffentlichungen. Verschont von 24-Stunden-Stars.
Das Genre der Sängerinnen und Sänger und Songschreiber
und Geschichtenerzähler erlebte eine Renaissance. Es ist wieder
sozial kompatibel, akustisch zu flennen und sein Leben auszubreiten.
Die Liveclubs sind voll und der fromme Wunsch für 2007 könnte
lauten: mehr davon.
Jarvis Cocker, der ehemalige Frontmann der Britpop-Band Pulp (Hit:
„Disco 2000“), sticht im Meer der Songschreiber in See
und präsentiert ein Soloalbum namens „Jarvis“.
Britisch geprägt, leicht Bowie-lastig und allseits in Melancholie
getaucht. Ein vielleicht zu bedächtiges Album, aber kurz vor
dem Fest des Herrn besinnt sich wohl auch Herr Cocker der gemächlichen
Kunst.
… And You Will Know Us By The Trail Of Dead beginnen mit
„So Divided“, ehrlich zu sein. Inhaltlich entflechten
sie einen Korb Lügen, den sie oder wir alle uns gegenseitig
auftischen. Musikalisch könnte das ein weiteres Konzeptalbum
der Postrocker sein, das sich weder scheut, Pianos zu benutzen,
noch, Rockgitarren zu verzerren. Die Songs fallen krud und oft tödlich
aus. Grundstimmung: verzweifeltes Moll. Wundersames wie rührendes
Album.
Verehrer der deutschen Avantgarde-Musikszene werden nun mit der
leicht pelzigen Zunge schnalzen, denn von La Düsseldorf gibt
es die Wiederveröffentlichung des vierten Albums „Mon
Amour“ zu feiern. Es handelt sich um das Kultalbum von Klaus
und Thomas Dinger sowie Hans Lampe, das nun klanglich auftoupiert
neu erscheint und vor bebendem Schmalz und rockendem Elektro nur
so tropft. Willkommen Nostalgie!
Allein schon, dass das Golden-Smog-Album „Another Fine Day“
auf dem Lost-Highway-Label erscheint, bürgt für einen
Blindkauf. Und dann die Musiker: Marc Perlman (Bass) und Gary Louris
(Gitarre) sind von den Jayhawks, Dan Murphy (Gitarre, Vocals) ist
von Soul Asylum, Grammy-Gewinner Jeff Tweedy (Gitarre, Vocals) ist
Frontmann bei Wilco und Kraig Jarret Johnson stammt von Run Westy
Run. Beste Voraussetzungen für 15 waghalsige Indierock-Songs,
deren Amplituden zwischen Folk, Country, Psychedelic, Britpop oder
Akustikrock schwanken. Schlicht großartig.
Bei David Coverdale’s Whitesnake läuft prinzipiell gar
nichts mehr. Best-of-Alben und Liveplatten reihen sich endlos aneinander.
So auch das nächste Livedokument „Live ... in the shadow
of the blues“. Zwar wie immer überzeugend, weil live
dermaßen perfekt gespielt und arrangiert, aber langsam wird
es eben zu viel. Zwar gibt es vier neue Nummern zu hören, deren
Aussagekraft reicht aber leider nicht ganz an die alten Gassenhauer
heran. Angeblich kommt nächstes Jahr ein Studioalbum. Derweilen
gähnen wir mal kräftig.
In der Heimat Kanada ist Sam Roberts durchaus ein Begriff, führte
er doch mit „Chemical City“ die Charts an. Und das mit
einer ganz und gar ungängigen Musik: Psychedelische Klänge,
Folkgitarren, Rockposen und endlose Songwriter-Landschaften zeichnen
für ein Album verantwortlich, dass die Traurigkeit und Schwere
des Winters auf Anhieb definiert und dezent umschreibt. Je nach
Sichtweise. Ziemlich sehr gut.
The Fratellis aus Glasgow passen punktgenau in die aktuelle Zeitrechnung
der Popindustrie. „Costello Music“ ist ein Sammelbecken
aus Popfetzen, Schrammelgitarren und Glitzerkugeln. Irgendwie charmant,
wenn auch nicht sonderlich originell. Klar, dass die britische Presse
The Fratellis überschwänglich lobt, denn dafür halten
die dann auch die Wurzeln und Ursprünge britischer Popmusik
in allen Ehren.
Leider fast nichts Neues von Pave-ment. Nur ein zu Recht neu aufgelegtes
Album als Sonderedition: „Wowee Zowee“ (erschienen 1995),
Untertitel „Sordid Sentinels Edition“. Das wahrscheinlich
alternativste Album, das dieses Genre je gesehen hat. Pavement-Kopf
Stephen Malkmus präsentierte sich in Hochform, die Songs wurden
bitter, süß und schaumig vorgetragen. Angereicht wird
das Spezialalbum mit unveröffentlichten Stücken, B-Seiten,
Studio-Experimenten, Radiosessions und Alternativversionen. Klarer
Weihnachtsbaumfall. Die Prog-Ritter Spock‘s Beard verpassen
sich nach Neal Morses Abgang ein frisches Gesicht. Zwar nicht das
erste Album ohne den Kopf der Band, doch das erste mit neuem Profil.
Lockere Songarrangements lenken von den Progdrachen und Songungetümen
weg, die da einst erschaffen und geschlichtet wurden. Man entdeckt
die Simplizität des Spielens, bleibt im Rahmen und feilt am
gebliebenen Bandcharakter. Vielleicht das beste, weil gewagteste
Album der Band.
Cat Stevens heißt ja seit vielen Jahren Yusuf. Dieser hat
nach 28 Jahren eine neue Platte veröffentlicht. Weil der Sohn
eine Gitarre nach Hause schleppte. Die sprach über Zargen wohl
mit dem Meister, der klatschte „An Other Cup“ auf eine
Studiofestplatte. Wird nicht zum großen Comeback reichen.
Höchstens zur Nostalgieanreicherung. Yusuf präsentiert
eine musikalische Aneinanderkettung von Zitaten und ausgelaugten
Gitarren-Zupfereien.
Textlich bleibt es banal und kaum erhellend. Alles in allem könnte
das wohl genauso gut die örtliche Pfadfindergruppe im Ferienlager-Musikworkshop
auf die Beine stellen. Natürlich dilettantischer produziert.
Dafür ehrlicher?
Sven Ferchow
Diskographie
Jarvis Cocker – Jarvis (Sanctuary 17.11.2006)
Trail of Dead – So Divided (Interscope, 17.11.2006)
La Düsseldorf – Mon Amour (Warner, 17.11.2006)
Golden Smog – Another Fine Day (Lost Highway, 24.11.2006)
Whitesnake – Live ... in the shadow of the blues (SPV, 24.11.2006)
Sam Roberts – Chemical City (Universal, 1.12.2006)
The Fratellis – Costello Music (Universal, 26.10.2006)
Pavement – Wowee Zowee (Domino, 17.11.2006)
Spock‘s Beard – Spock‘s Beard (InsideOut, 24.11.2006)
Yusuf – An Other Cup (Universal, 10.11.2006)