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nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 53
56. Jahrgang | Februar
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Die Markenartikler
Erster Platz: Anna Netrebko, Russian Album. Dritter Platz: Anna
Netrebko, Rolando Villazón, Plácido Domingo: Das
Waldbühnenkonzert. Vierter Platz: Anna Netrebko, Rolando
Villazón: Arien und Duette aus „La Traviata“.
Sechster Platz: Anna Netrebko, Claudio Abbado: Sempre libera.
Siebter Platz: Anna Netrebko, Thomas Quasthoff, Bryn Terfel:
Das Mozart-Album. Neunter Platz: Anna Netrebko, Rolando Villazón:
Donizetti, „Der Liebestrank“.
Da sage noch einer, Klassik auf CD sei out. Auf der „Klassik
Bestseller“-Liste des Kultur-Spiegel (einer Monatsbeilage
des Hamburger Magazins) vom 30. Dezember steht sechsmal „die
bildhübsche, schauspielfrohe Goldkehle aus St. Petersburg“.
Dazwischen weitere Glamourfiguren aus der Luxusetage des Musikbetriebs:
Lang Lang, Hillary Hahn, Simon Rattle oder Sting, der mit seinem
ausdrucksgeplätteten Dowland-Gesang all jene beeindruckt,
die mit dem Namen Dowland bisher eine Londoner Shopping Mall assoziiert
haben. Was die Medienstars spielen und singen, ist eigentlich egal.
Komponistennamen und Werke werden auf der Liste nur rudimentär
genannt. Bevorzugt werden Angaben wie „Das Mozart-Album“, „Händel-Arien“ oder
einfach „Voice of the Violin“.
Die Dominanz der Interpreten über Komponisten und Werke ist
nahezu absolut geworden. Das erstaunt nicht angesichts des schwindenden
historischen Bewusstseins eines Publikums, das mehr und mehr zu
Klassiskfans mutiert. Für sie ist Eventkultur eben weniger
anstrengend als das Nachdenken über den Geist vergangerer
Epochen. Dafür haben sie weder Zeit noch Interesse. Sie halten
sich lieber an die Bestsellerlisten im Kultur-Spiegel.
Diese werden laut Fußnote im Auftrag des Bundesverbandes
der Phonographischen Wirtschaft e.V. ermittelt, dem alle großen
Ton- und Bildtonträgerfirmen angehören. Mit einer effizienten Öffentlichkeitsarbeit
sorgt er dafür, dass die potenziellen Topseller zu Topsellern
werden und es auch eine Zeitlang bleiben.
Sein wirksamstes Werbemittel ist der Echo-Klassik-Preis, der
alljährlich
mit viel Pomp und Trara, unter Mitwirkung von schillernden Prominenzen
aus dem Showgeschäft an Interpreten aus über zwanzig
Musiksparten verliehen wird. „2.000 Klassikliebhaber im Münchner
Gasteig und 1,99 Mio. Zuschauer der ZDF-Show ,Echo der Stars’ feiern
die Künstler“, meldete die Phono-Akademie nach der Preisverleihung
im letzten Oktober.
Zum Geschäft gehört, dass sich Preisgeber und -empfänger
gegenseitig zum nationalen Ereignis hochloben. „Danke Deutschland
für den Echo. Das ist der Beste“, sagte Bryn Terfel, „Sänger
des Jahres“ 2006. Dazu gehört auch, dass die Jury sich
vorwiegend aus Persönlichkeiten aus dem Veranstaltungsbusiness
sowie aus dem Umfeld der Phono-Akademie selbst zusammensetzt. Die
Musikindustrie verleiht sich also gewissermaßen die Preise
selbst. Zweck ist die Ankurbelung des Absatzes. Und das funktioniert
reibungslos: Sängerin und Sänger des Jahres 2005 waren
Anna Netrebko und Rolando Villazón, just diejenigen, die
heute die Bestseller-Liste anführen. Gute Arbeit, Phono-Akademie!
Bei der klaren kommerziellen Ausrichtung des Preises und des
hinter ihm stehenden Verbands sind das legitime Methoden. Nur hat
es mit
dem inhaltlichen Anspruch der Musik, ihrem humanistischen Gehalt,
nichts mehr zu tun. Mozart als Künstler und Mozart als Verkaufshit
sind zwei Seiten einer Medaille. Doch das dringt offenbar nur noch
mit Mühe ins Bewusstsein, denn es gehört zum Wesen der
Warenproduktion, dass der Unterschied von Gebrauchswert und Tauschwert
verwischt wird. Im schönen Schein der Medienwirklichkeit gelingt
das besonders gründlich.
Aus der Sicht der Neuen Musik wird das Bestseller-Unwesen gern
als kunstfernes Geschäft angeprangert, nicht ohne den Hinweis,
dass es in der eigenen Branche doch ganz anders sei – hier
gehe es um die selbstlose Suche nach dem „radikal Neuen“ und
nicht ums Geldmachen. Letzteres funktioniert in der kapitalschwachen
Neue-Musik-Szene in der Tat nur begrenzt und nur für Wenige.
Trotzdem gleichen sich die Mechanismen, wobei hier vor allem die
Komponisten am Spiel beteiligt sind. Auch hier gibt es eine Konzentration
auf eine überschaubare Gruppe von Favoriten, die stets wieder
zum Zug kommen, egal was sie produzieren: Komponisten, die in Symbiose
mit den marktgängigen Interpreten die Festivalformate bedienen,
die auf einen festen Platz im Veranstalterkarussell abonniert sind
und ihr „Materialverständnis“ als wiedererkennbares
Markenzeichen vor sich her tragen. Und sind sie einmal Professoren,
so trimmen sie auch ihre Schüler auf geschäftskompatibles
Verhalten.
Komponiert werden längst nicht mehr die großen Ideen,
von denen neue Musik einst ihre Legitimation bezog, sondern kleine
Einfälle zur Festigung von Image und Marktposition. Veranstalter
und Kritik halten das Geschäft gemeinsam am Laufen, und weil
alle an einem Strick ziehen, werden auch die launischen Konsumenten
nicht verunsichert und die Subventionen nicht gefährdet. So
wird neue Musik zum Life-stileprodukt wie die Netrebko. Nur mit
dem Unterschied, dass bei dieser der Spaßfaktor entschieden
höher liegt.