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nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 15-16
56. Jahrgang | Februar
Kulturpolitik
Von der Leichtigkeit künstlerischer Ideen
Zum dritten Mal: Verleihung des Förderpreises InTakt
Musik
hat das Leben ihrer Tochter bereichert – das wissen
Christa und Wilhelm Sonnemann. Miriam, geboren mit Down-Syndrom,
entwickelte früh die Liebe zur Musik – die Fotos eines
fröhlichen Kindes mit Blockflöte zeigen es. „Der
Blockflötenkreis war ihre große Liebe“ erinnert
sich Frau Sonnemann. Der Umgang mit Musik im Kreis von Gleichgesinnten
strukturierte Miriams Leben, ein Leben, das nur 21 Jahre dauern
durfte. Das Ehepaar Sonnemann gründete vor drei Jahren die
miriam-stiftung, die unter verschiedenen Aspekten Menschen Mut
machen möchte – wie dies auf der Homepage nachzulesen
ist: www.miriam-stiftung.de
Den Mut zur Musik, den Mut zu kreativen und vorbildlichen Ideen
in der musikalischen Arbeit mit Menschen mit Behinderung belohnt
die miriam-stiftung ebenso: Ein „Teilbereich“ der Stiftung
ist der Förderpreis InTakt. InTakt – das Wort verweist
auf das Ganze, das Unversehrte – aber auch auf den Takt der
Musik und darauf, dass bei Musik alle Menschen intakt sind.
Mit dem Förderpreis InTakt werden jährlich Gruppen und auch Einzelpersonen
ausgezeichnet, die mit Menschen mit Behinderung Musik machen und dabei besondere
und beispielhafte Ideen innerhalb der Gruppe und im Sinne der Integration entwickeln.
Vergeben wird der Förderpreis durch eine Jury von Musikpädagoginnen
und Musikpädagogen. „Wir verorten die musikalische Arbeit mit Menschen
mit Behinderung ganz bewusst im Bereich des kulturellen Lebens und nicht im Umfeld
der Therapie“, definiert Irmgard Merkt, Professorin für Musikerziehung
und Musiktherapie an der Universität Dortmund. „Musik machen, ein
Instrument lernen, Teil der Musikkultur sein – was wäre normaler als
das? Natürlich“, so ergänzt sie, „müssen methodisch
und künstlerisch neue Ideen entwickelt werden. Das ist eine Herausforderung
für Pädagoginnen und Pädagogen, für Künstlerinnen und
Künstler. Das Grundprinzip, die Kinder bei den Kompetenzen abzuholen, über
die sie verfügen, gilt für alle Kinder in gleicher Weise. Wo ist also
das Problem?“
Die Probleme liegen, wie so oft, in den Köpfen der Leute. Alte Bilder sind:
Es ist schwierig mit den Behinderten. Neue Bilder in die Köpfe zu bringen,
das ist ein Ziel des Förderpreises. Bilder von Menschen, die gemeinsam an
einem musikalischen Projekt arbeiten. Bilder von Menschen mit unterschiedlichen
Ausgangspunkten, die gemeinsam gute und gelungene Situationen erleben. Ein weiteres
Ziel des Förderpreises ist es, Anerkennung für bislang geleistete Arbeit
auszusprechen. Ausgezeichnet wurden bislang drei Gruppen und drei Einzelpersonen.
Der erste Gruppenpreis 2004 – der erste Preis überhaupt – ging
an die Gruppe Jolly Jumper aus Emmendingen mit ihrem Leiter Frank Goos. Frank
Goos, Musiker, Jazzer, ein zupackender Mensch, hat nicht gezögert, als er
gefragt wurde, ob er einem Jungen mit Downsyndrom das Klarinettenspiel beibringen
könne. Er hat nicht gesagt „oh, ich bin dafür nicht ausgebildet“,
er hat gesagt „ich probier‘s mal“. Das Ergebnis ist eine integrative
Musikgruppe, in der Gymnasiastinnen und Jugendliche mit Downsyndrom gemeinsam
Musik machen. Die Leichtigkeit künstlerischer Ideen hat am meisten überzeugt:
Warum nicht, zum Beispiel, aus „Alice im Wunderland“ vorlesen und
das Zusammenklappen von Büchern als Begleitrhythmus benutzen? Eine Gruppe
von Menschen, damit beschäftigt, Bücher zuzuklappen – eine Idee,
humorvoll und avantgardistisch, eine Idee, die gut zu vervielfältigen ist – und
die auf vielen Bühnen der Welt gefällt. Der zweite Gruppenpreis InTakt
im Jahr 2005 ging an eine ganze Schulklasse der Schule für Blinde und Sehbehinderte
in Chemnitz: Alle Kinder lernen Cello – mit Ergebnissen, die die reine
Freude sind, menschlich wie musikalisch. Wie schön man mit acht Celli musikalische
Geschichten erzählen kann, das können alle Musiker und Musikpädagogen
von dieser Klasse lernen. Mittlerweile haben die „Regenbogenkinder“ mit
den Chemnitzer Symphonikern zusammen gespielt. Auch so geht Integration. 2006
ging der Gruppenpreis an die „Kids vom Ring“ der Lebenshilfe
aus Kronach. Was geschieht hier an Vorbildlichem, Verbreitungswürdigem? Ein Video der Probenarbeit macht
es deutlich: Die Verknüpfung von Singen und Bewegung passiert
hier in schöner und inspirierender Weise. Die Geste zum Text – das
ist ein altes pädagogisches Mittel, das vielen Schulsituationen
gut tun würde. Die Gruppe der Lebenshilfe Kronach – mit
Kindern und Jugendlichen aller Altersstufen – hat ein Repertoire
von über 100 Liedern. Das würde nur schwer klappen, wenn
die Textarbeit reine Kopfarbeit wäre. Das Singen mit dem ganzen
Körper, der Zusammenhang von Geste und Text lässt die
Arbeit in Kronach überzeugend und heiter aussehen. Wofür
wurden die Träger der Einzelpreise ausgezeichnet? 2004 erhielt
Gerda Bächli den Einzelpreis für ihr Lebenswerk, für
die vielen schönen Lieder und Spielideen, die sie in die Welt
gebracht hat, zur Freude aller. 2005 wurde Ulla Klinkhart ausgezeichnet – für
ihr Konzept der musikalisch-rhythmischen Arbeit mit Kindern mit
Hörbehinderung. 2006 erhielt Horst Kortemeier den Förderpreis – für
das künstlerisch-musikalische Konzept seiner langjährigen
Arbeit in der Stiftung Eben Ezer in Lemgo. Er baut historische
Instrumente nach und musiziert im integrativen „Hausmusikkreis
Linde“ einen instrumentalen Stil von zartem Mischklang der
historischen Saiten- und Blasinstrumente.
Der Förderpreis InTakt hat an vielen Stellen seine Wirkungen.
Im Umfeld der Preisträger natürlich – und auch
an der Stelle, an der die Bewerbungen eingehen. Die Bewerbungen
um den Förderpreis ergeben einen Überblick über
die breit gefächerten musikalischen Aktivitäten mit Menschen
mit Behinderung, die in der Bundesrepublik in allen Musiksparten
zu finden sind. Wenig Klassik, nicht überraschend, mehr Folk
und ganz viel Rock und Pop. Viele Schulbands, Gruppen aus Musikschulen
und Einrichtungen der Betreuung und Rehabilitation. Allmählich
lohnt es sich, einen Atlas „Musik und Menschen mit Behinderung“ der
Bundesrepublik zu erstellen. Zu finden ist dieses Projekt auf der
Homepage des Lehrgebietes Musik in der Fakultät Rehabilitationswissenschaften
der Universität Dortmund. Es freut sich auf zahlreiche neue
Einträge! Ebenso freut sich der Förderpreis InTakt auf
neue und interessante Bewerbungen zur Preisvergabe im Herbst 2007 – unter
www.miriam-stiftung.de.