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nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 1
56. Jahrgang | Februar
Leitartikel
Runter-Macher
Die Szene ist grauslich – und wird als „Bonusmaterial“ vielen
Kauf-DVDs vorangestellt: Eine Mutter, leicht angeschmuddelt, steht
mit drei Kindern, ebenfalls leicht angeschmuddelt, in karstiger
Landschaft. Der kleine Chor plärrt schräg „Happy
Birthday To You“ und die Kamera schwenkt auf die Gitter-Fenster
eines Gefängnisses. Der Vater muss für seine Raub-Kopiererei
ein paar Jahre brummen. Mama antwortet auf Töchterleins Anfrage,
wann Papi wieder nach Hause komme: „Noch vier mal singen“.
Womit man auch erfährt, dass diese Familie immerhin einmal
jährlich gewisses Liedgut pflegt…
Es sind schwere Geschütze, die unsere Kulturindustrie mittlerweile
gegen jedwede Diebe geistigen Eigentums auffährt. Spots, wie
der oben beschriebene gelten dabei als ganz leichte Artillerie.
Die eigentlichen Grabenkämpfe finden in der Auseinandersetzung
zwischen den Produzenten von Film-Bild, Musik und Text im lockeren
Verbund mit Urheberrechtsgesellschaften einerseits und den Herstellern
von Speichermedien, den Anbietern von Internet-Plattformen auf
der anderen Seite statt. Gerungen wird um die Gunst gesetzgebender
Politik auf deutscher und europäischer Ebene – und um
viele Milliarden Euro. Für den Musikbereich hat der Bundesverband
der phonographischen Wirtschaft gerade eine finstere Bilanz veröffentlicht.
Danach ist die Zahl der kopierten CDs mit über 430 Millionen
Stück rund viermal höher als die der verkauften, die
Zahl der illegal heruntergeladenen Songs mit 412 Millionen gar
zwanzig mal höher als die der bezahlten Downloads. Der wirtschaftliche
Schaden lässt sich hochrechnen. Fraglich bleibt, ob die üblichen
industriellen Instrumente – flotte Spots und fittes Lobbying
bei fettem Repräsentations-Etat – erhoffte Wirkung zeitigen.
Schon einmal hat die Phono-Wirtschaft – damals noch unter
der Ägide von Thomas M. Stein – Millionensummen für
die dümmlich-dreiste Kampagne „Copy kills music“ wirkungslos
verbrannt. Und schon damals mahnte unser Kampf-Blatt vernünftige
Investitionen in Bewusstseins-Bildung statt in forsche, knallig
verpackte Drohungen an. Schließlich gilt es, ein lange verschlamptes
Feld zu kultivieren. Der Wert geistigen Eigentums wurde von der
Industrie samt den sie tragenden Banken aus kurzsichtigem ökonomischen
Egoismus Jahrzehnte lang selbst so gründlich ruiniert, dass
heute der Ladendiebstahl einer Tube Zahnpasta im sogenannten öffentlichen
Bewusstsein deutlich krimineller wirkt als die illegale CD-Kopie.
Das zu ändern setzt einen etwas längerwierigen Prozess
voraus. Die Vermittlung von Werten bedarf gründlichster Argumentation,
höchster Glaubwürdigkeit und einer angemessenen Transport-Ästhetik.
Jeder Schnell-Schuss ginge nach hinten los. Und es wäre – aus
industrieller Sicht – das Risiko zu tragen, Kinder und Jugendliche
zu gut informierten Bürgern heranbilden zu helfen. Ob das
klappt?
Im ersten, von ihm verantworteten Jahrbuch der phonographischen
Wirtschaft hat der Phono-Verbandschef Michael Haentjes durchblicken
lassen, dass er es mit der Bildung ernst meint. Wir sind auf die
Taten gespannt und liefern weitere Informationen am 7. Februar
im Musikmagazin taktlos auf Bayern2Radio (weltweit zu empfangen
im Internet) unter dem Titel: „Verstohlen runterholen?“