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nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 8
56. Jahrgang | Februar
Magazin
Kulturkämpfer
Gerhard Rohde über Theo Geißler
In Freiburg im Breisgau gab es nach dem Krieg einen Oberbürgermeister
namens Wolfgang Hoffmann (1945 ernannt, 1956 gestorben), der besaß das
für einen Beamten bemerkenswerte Talent, professionell Klavier
spielen zu können. Wolfgang Hoffmann liebte auch das Theater,
die Oper, und so trat er immer wieder mit dem Orchester der im
Krieg schwer zerstörten Stadt öffentlich auf, um mit
dem so erspielten Geld den Wiederaufbau des Theaters zu fördern.
Da brauchte die Theater- und Musikkritik sich nicht zu empören
und heftig den Kulturabbau zu beklagen. Der oberste Bürger
einer Stadt ging allen beispielhaft voran, weil er, besonders nach
einer Katastrophe wie Weltkrieg II und Drittes Reich, wusste, was
für den Menschen am wichtigsten war: die Stabilisierung des
Seelenhaushalts, die Vergewisserung, dass es außerhalb der
Niederungen des allzu alltäglichen Geschäfts auch noch
so etwas wie einen Sinn des Lebens gibt, für den es zu streiten
gilt.
Wer in jener Zeit gelebt hat, aufgewachsen ist, weiß, was
gemeint ist: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Die späten
40er- und dann die 50er-Jahre waren, trotz Adenauer & Co.’s
Restauration, aufregend und spannend. Irgendwie hatte das auch
die spätere 68er-Generation nicht so recht mitbekommen, so
dass sie meinte, die Verfettung der Republik mit Kaufhausbränden
und Geiselnahmen bekämpfen zu müssen. Das ist jetzt alles
schon Geschichte, die allerdings noch ein wenig weiterwirkt, weil
die Geiselnehmer von einst heute gerade um Gnade flehen. Was hat
das mit Theo Geißler zu tun? Einiges und gar nichts. Theo
Geißler, im Jahr der Studentenrevolution gerade einundzwanzig
Jahre alt geworden, sympathisierte mit der Unruhe, fühlte
sich irgendwie verpflichtet mitzuwirken, aber er steckte keine
Konsumtempel in Brand, sondern trat in die Redaktion der neuen
musikzeitung ein, weil er spürte, dass man einer Gesellschaft
und ihren Menschen am besten damit zu einem besseren und würdigeren
Leben verhilft, wenn man ihr Bewusstsein stärkt.
Die neue musikzeitung hat diese Aspekte von Anfang an verfolgt.
Aber seit Theo Geißler die Verantwortung für die Zeitung
und den ihr verbundenen ConBrio Verlag übernommen hat, verschärften
sich die Existenzbedingungen für das Kulturleben erheblich.
Die Wolfgang Hoffmanns sind tot. Wenn heutzutage ein Regierender
neben seinem Hauptamt so nebenbei auch noch die Kulturpolitik mit übernimmt,
geschieht das nicht aus Liebe zu Kunst, Musik, Literatur, sondern
aus schnöder Praktikabilität: Man braucht nicht den Widerstand
eines mediokren Kultursenators zu fürchten, wenn man die Schließung
eines Opernhauses befiehlt. Außerdem spart man eine Dezernentenstelle.
Gegen diese Missachtung, ja Verachtung der Kultur und ihrer Institutionen
ist die neue musikzeitung unter Theo Geißler immer wieder
aufgestanden. Ob es um die Donaueschinger Musiktage ging, die ein
uneinsichtiger Rundfunkintendant abzuschaffen gedachte, oder um
die drohende Insolvenz des Deutschen Musikrates – die neue
musikzeitung initiierte und forcierte den öffentlichen Protest,
nicht ohne Erfolg. Gegen die schleichende Erosion der Institution
Musikschule gründete Geißler sogar eine eigene Zeitschrift
als Forum für Eltern und Jugendliche. Auch die öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten wurden immer wieder von der neuen musikzeitung
an ihren Kulturauftrag erinnert, wenn sie beispielsweise daran
dachten, das für die Neue Musik maßgebende Vokalensemble
(beim SWR) einzuschmelzen.
Theo Geißler spielt zwar nicht Klavier, um ein Theater zu
retten. Aber was ihn mit Wolfgang Hoffmann verbindet, ist das Engagement,
die Liebe zu Kunst und Musik, die Einsicht in die Wichtigkeit künstlerischer
Arbeit für die menschliche Existenz. Sein Pianoforte ist der
ConBrio Verlag mit seinen Projekten, mit denen er in das deutsche
und inzwischen auch europäische Musikleben hineinwirkt. Sein
Klavier sind auch engagierte Mitarbeiter, die seine Ideen realisieren.
Seine wichtigsten Instrumente aber heißen Phantasie und Courage,
zwei Phänomene, die in unseren Zeiten eines kleinformatigen
Nützlichkeitsdenkens beinahe exotisch wirken.