[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 8
56. Jahrgang | Februar
Magazin
Vom Mut eine eigene Meinung zu haben
Auszüge aus einem Gespräch im Rahmen der Reihe „Alpha-Forum“ auf
BR-alpha
„Wer nur etwas von Musik versteht, der versteht auch von
der nichts.“ Wer
die Möglichkeit hatte, Theo Geißler einmal näher
kennenzulernen, der kann sich gut vorstellen, Hanns Eisler habe
mit diesem berühmten Satz auch den Regensburger Zeitungsverleger
und Publizisten beschrieben. Denn nach einigen Semestern Germanistik,
Philosophie und Geschichte an der jungen Universität in Regensburg
wechselte Theo Geißler auf die Münchener Hochschule
für Film und Fernsehen. Sein Weg führte also zunächst
nicht über die Musik. Im Sinne Eislers ist er damit als Musikjournalist
ausreichend legitimiert. Wie es zu der Richtungsänderung kam
und was Theo Geißler in den vergangenen drei Jahrzehnten
aufgebaut hat, schildert er selbst ganz anschaulich in einem Gespräch,
das Roland Spiegel mit ihm für Bayern alpha geführt hat.
Wir zitieren daraus in gekürzter Fassung und collagieren das
Gespräch mit einigen Original-Tönen von Bernhard Bosse
und Eckart Rohlfs, in der Absicht, damit ein Porträt Theo
Geißlers zu zeichnen.
Roland Spiegel: Herr Geißler, Sie sind Herausgeber und Chefredakteur
der „neuen musikzeitung“, Sie sind Inhaber des ConBrio
Verlags in Regensburg, der außerdem andere Zeitungen und
Zeitschriften herausgibt und auch noch Bücher publiziert.
Sie wurden einmal als „eine journalistische Allround-Persönlichkeit
des deutschen Musiklebens“ bezeichnet, also als einer, der überall
mitredet. Wie kam es dazu?
Geißler: Das klingt schon ein bisschen
nach „Adabei“.
Das bin ich nicht. Ich bin eine im kulturpolitischen, im musikpolitischen
Bereich tätige Persönlichkeit und habe an der Stelle
ein bisschen was aufgebaut.
Spiegel: Was haben Sie alles aufgebaut?
Ein
Verleger und Kulturpolitiker con brio: Theo Geißler.
Wie ihn andere Kulturpolitiker sehen, dokumentieren wir
auf den Seiten 8 bis 10. Lesen Sie auch den Nachschlag
von Thomas Rietschel auf Seite 14 sowie ein Interview von
Winfried Richter mit Theo Geißler auf Seite 31. Foto:
Charlotte Oswald
Geißler: Der ConBrio Verlag
ist für einen Verlag ein
ganz junges Gebilde. Er ist erst 15 Jahre alt. Der Verlag wurde
um die „neue musikzeitung“ herum konstruiert. Ich habe
1992 die „neue musikzeitung“ (nmz) aus deren Stammverlag
Bärenreiter/Bosse Verlag herausgekauft, und rings um die Zeitung
herum haben wir dann ein Verlagsprogramm gestaltet, das in erster
Linie musikpädagogisch, aber immer auch kulturpolitisch ausgerichtet
sein sollte. Denn Musikerziehung und Bildung braucht immer politische
Unterstützung, einen politischen Hintergrund. Das war die
Ausgangsfantasie. Mit der Zeit ist dann eine Zeitschrift nach der
anderen dazugekommen, angefangen 1998 mit der „Jazzzeitung“.
Heute produzieren wir die „Zeitschrift für Kulturaustausch“ für
das Institut für Auslandsbeziehungen, wir machen die Zeitschrift „politik
und kultur“ für den Deutschen Kulturrat, wir machen
eine Zeitschrift für Gregorianik – die einzige deutschsprachige
mit einer Auflage von ungefähr 600 Stück – und
noch einige weitere Blätter.
Spiegel: Wenn man den Namen „neue musikzeitung“ hört,
denkt man als Musikmensch zunächst an einen Namen, der so ähnlich
klingt, nämlich „Neue Zeitschrift für Musik“ – ein
Klassiker des Musikjournalismus, 1834 von Robert Schumann gegründet.
Ist die Ähnlichkeit Absicht?
Geißler: Ganz und gar nicht. Obwohl die „Neue Zeitschrift
für Musik“ sogar eine ganze Zeit lang in eben diesem
Gustav Bosse Verlag war. Mein verlegerischer Ziehvater Bernhard
Bosse hat diesen Verlag nach dem Krieg übernommen. Die „Neue
Zeitschrift für Musik“ hieß damals noch „Zeitschrift
für Musik“ („ZfM“) und war beim Bosse Verlag.
Um die Gründung der „nmz“, die damals noch „Musikalische
Jugend“ hieß, zu ermöglichen, hat Bernhard Bosse
die „Neue Zeitschrift für Musik“ an den Schott
Verlag verkauft. Das war so in etwa das Startkapital, das es überhaupt
erst möglich gemacht hat, die „Musikalische Jugend“ – heute „neue
musikzeitung“ – ins Leben zu rufen.
Spiegel: Es gab noch nie eine Zeit,
in der Musik so verfügbar
war wie jetzt. Das müsste doch eigentlich ein Grund dafür
sein, dass die Leute sich ganz vehement dafür interessieren,
was sie hören. Ist es nicht so?
Geißler: Leider nicht. Was so omnipräsent ist, ist im
Grunde genommen eine Industrie-Musik, die sich sehr stark darauf
beschränkt, nur bestimmte schmale Gefühlsspektren anzusprechen.
In diese Musik ist oft ein erfolgreicher Star- und Modekult mit
eingewebt, der Maßregeln dafür abliefert, wie man sich
zeitgemäß zu verhalten hat. Musik wird an dieser Stelle
zu einem Transportmittel für bestimmte Waren, bestimmte Zeitgeist-Phänomene.
Die eigentliche Wahrnehmung von Musik findet nicht statt.
Spiegel: Sie haben Germanistik,
Philosophie und Geschichte studiert, und dann waren Sie an der
Münchner Hochschule für Film
und Fernsehen. Der Weg führte also zunächst nicht über
die Musik, oder?
Geißler: Es haben viele biografische Zufälle eine große
Rolle gespielt. Natürlich habe ich als Kind Musikunterricht
gehabt. Ich habe Akkordeon gelernt, recht und schlecht. Ich habe
Kornett gespielt, mehr schlecht als recht, unter anderem in einer
Dixieband in München. Und ich bin, und das war vielleicht
der bestimmende Zufall in meinem Leben, früh genötigt
gewesen, ein bisschen Geld zu verdienen. Ich habe bei der Vorläuferzeitschrift
der „nmz“, eben der „Musikalischen Jugend“,
schon mit 17 Jahren angefangen zu schreiben. Es gab damals eine
Regensburger Lokalausgabe dieser „nmz“, und für
diese habe ich Theater- und Musikkritiken geschrieben und bin in
die Redaktion dieser Zeitschrift hineingerutscht. Seither bin ich
mit dieser Zeitung verbunden. Später landete ich an der Hochschule
für Fernsehen und Film in München und habe dort sehr
musikdefinierte oder musikspezifische Filme gemacht.
Spiegel: Ich möchte noch auf einen anderen Punkt kommen. Sie
bilden ja bei der „neuen
musikzeitung“ auch junge Journalisten
aus. Was bringen Sie denen denn bei?
Geißler: Ich glaube, wir bringen ihnen einen Rundhorizont
bei. Dieser reicht vom Erlernen der rein technischen Herstellungsprozesse über
ein Stück Persönlichkeitsbildung, möchte ich sagen – nämlich
die ständige Ermutigung, selber eine Meinung zu entwickeln –,
bis an den Punkt, dass wir ja ein Verlag sind, der nicht nur ein
Verlag bleiben will. Wir wollen ein kleines Unternehmen sein, das
anstrebt, ein Sender zu werden, so dass eine trimediale Ausbildung
mit Print, Video und Audio stattfindet.
Spiegel: Was ist das für ein Sender?
Geißler: Was ich da eben gesagt habe, ist
natürlich
ein bisschen protzig. Ich beobachte mit einer Riesentraurigkeit,
dass die Anstalten des öffentlichen Rechts, die ich über
alle Maßen schätze und die ich für unser Kulturleben
für absolut notwendig halte, sich mehr und mehr verabschieden
aus einer Kulturberichterstattung, auch aus dem Feld der so genannten
klassischen Musik. Ohne mich anbiedern zu wollen: Der Bayerische
Rundfunk ist da im Moment noch eine Riesenausnahme. Ein Projekt
wie BR-alpha ist ja ein Solitär in der Fernsehlandschaft.
Das ist absolut gerechtfertigt und notwendig, um überhaupt
zu legitimieren, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
Gebühren einziehen dürfen, was sie gerne haben sollen.
Dennoch ist es so: Eine ganze Menge kulturell hochwertiger Ereignisse
können diese Sender natürlich nicht wahrnehmen. Von den
privaten Sendern will ich mal ganz schweigen. Wir wollen musikalische,
kulturelle Ereignisse (Konzerte, Symposien und so weiter), die
unterhalb oder jenseits dieser Wahrnehmungsschwelle liegen, mit
Bild und Ton und im Internet als „TV over IP“ dokumentieren.
Das ist dann der Sender, den ich meine.
Spiegel: Also Fernsehen und nicht Radio.
Geißler: Beides. Wir dokumentieren bei
uns ja schon das Radio-Musikmagazin „taktlos“.
Unabhängig von solchen Kooperationen wie hier mit dem Bayern2Radio
können wir eigenständige kleine Produktionen dazustellen.
Spiegel: Es gibt beim Bayerischen Rundfunk, den
Sie ja lobend hervorgehoben haben, den Sender Bayern4Klassik, der
ja auch eine wichtige Rolle
spielt in der Musikvermittlung. Wie nehmen Sie diesen Sender wahr?
Geißler: Ich nehme ihn „con amore“ wahr. Auch
da ist es ja so, dass man von dem ganz alten „Klassikzopf“ weggekommen
ist. Da hat man sich inzwischen um wirklich fantasievolle Vermittlungsformen
verdient gemacht.