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nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 5
56. Jahrgang | Februar
Magazin
Clown, Philosoph und Magier
Der Pianist Herbert Schuch
Anlässlich der taktlos-Sendung
auf Bayern2Radio „Musikwettbewerbe:
Belebt Konkurrenz?“ vom 4. Oktober 2006 (siehe auch www.nmz.de/taktlos)
traf sich der Regisseur Christoph C. Stechbart mit dem Musiker
Herbert Schuch zu einem intensiven Gespräch. Schuch gilt als
einer der erfolgreichsten Wettbewerbsteilnehmer der letzten Jahre.
Er gewann 2004 den Casagrande-Wettbewerb in Italien, ein Jahr später
den „London International Piano Competition“ und 2005
den Internationalen Beethovenwettbewerb in Wien.
neue musikzeitung: Herr Schuch, Skizzieren Sie uns bitte die
ersten Stationen Ihres Lebens als Musiker.
Liebt
das riskante Spiel: Pianist Herbert Schuch. Foto: Martin
Hufner
Herbert Schuch: Meine ersten 8
Jahre habe ich in Temeschburg, Rumänien
gelebt – dort sind an einer Spezialschule meine musikalischen
Grundlagen mit Harmonielehre, Klavier- und Geigenunterricht gelegt
und gefördert worden. Dreistimmige Diktate waren für
mich kein Problem – ich habe ein relativ absolutes Gehör.
In der Schule war ich immer „der Deutsche“, der Exot,
was mir kein Gefühl von Normalität vermittelte. 1987
bin ich mit meinen deutsch-ungarischen Eltern nach Rosenheim übergesiedelt,
wo ich – ich hatte Glück – neben meinem Musikunterricht
eine unbeschwerte normale Jugend verbringen durfte. Ich gewann
mit 12, 14 und 16 Jahren den Bundeswettbewerb „Jugend
musiziert“, allerdings nur am Klavier, in der Wertung „Geige“ bekam
ich stattdessen im Regionalwettbewerb magere 11,4 Punkte.
Da ich dann bald meine Geige nur noch kurz vorm Unterricht angeschaut
habe und mich mit meiner Lehrerin mehr bei einer Tasse Tee unterhalten
als musiziert habe, fiel mir die Entscheidung zwischen den beiden
Instrumenten doch recht leicht. In der 10. Klasse haben mich
jüngere Schülerinnen um
meine ersten Autogramme als Pianist gebeten, die ich dann im Schulsekretariat
abgeben musste, da die Damen geheim bleiben wollten. (lacht)
nmz:
Ging Ihre Entwicklung als Pianist am Ende der Schulzeit weiter
steil nach oben?
Schuch: Nein, zuerst gar nicht.
Als 20-Jähriger hatte ich
ein paar abgekapselt-ruhige Jahre mit vielen grüblerischen
Fragen und habe mich oft mal in meinen eigenen musikalischen Ideen
verlaufen. Ich war mir einfach nicht mehr sicher, wie ich spielen
wollte. In dieser Zeit gab es Wettbewerbe, bei denen sich italienische
Juroren über zu viel „Gedanken“ in meinem Spiel
beschwerten.
Erst fünf Jahre später gewann ich wieder
Wettbewerbe – diesmal
auch internationale. Im Finale des Clara Haskil Wettbewerbs 2003
nämlich hatte ich ein Schlüsselerlebnis: Wenn du beim
Spielen nur auf der sicheren Seite sein willst, gewinnt keiner – weder
du noch die Musik. Man muss da immer etwas riskieren.
nmz: Wie bereiteten
Sie sich auf die Klavierwettbewerbe vor? Gibt es ein Erfolgsrezept? Schuch: Auf die Frage, was er beim Musizieren empfindet, hat Arrau
mal gesagt: „Bringe die Finger mit den Tiefen deiner Seele
in Verbindung.“ Ich bin einer, der für sich spielt,
das „Ich“ steht im Mittelpunkt. Eine Jury versuchte
ich immer auszuklammern, so gut es ging.
Aber machen wir uns noch einmal klar, wie ein Wettbewerb psychologisch
funktioniert: Jüngere treten vor eine Jury und müssen
sich vor den „Alten“, die bestimmen, was gut oder schlecht
ist, beweisen. Obwohl die „Alten“ die Spielregeln bestimmen,
wissen sie, dass die jüngere Generation irgendwann ihre Plätze
einnehmen wird. Das ist ein unglaublich sensibles Verhältnis
zwischen Auflehnung, Anpassung, Belohnung und Bestrafung. Wenn
man beschließt, sich nicht anzupassen – wobei auch
das fast unmöglich ist, bei der Vielzahl an Persönlichkeiten
in der Jury – können zwei Sachen passieren: Entweder
man hat Erfolg oder auch nicht; also kein so großer Unterschied
zur Angepasstheit.
Es hilft aber ungemein, Stücke zu vermeiden, von denen jeder
eine andere Meinung hat. Leider sind das ja oft die interessantesten
Stücke, da die Vielfalt an Wahrnehmungsformen für mich
immer ein Indiz für den Reichtum eines Stückes darstellt.
So habe ich in Wettbewerben nach 2003 keine Schubert-Sonaten gespielt,
und prompt war ich erfolgreich. Denn gegen einen gut gespielten
Ravel kann niemand etwas sagen, es sei denn, man ist Franzose…
nmz: Wer sind Ihre Vorbilder als Pianisten?
Schuch: Zum einen
Grigorij Sokolov mit seinem riskanten Spiel. Er hat im umfassendsten
Sinn die beste Technik auf diesem Planeten,
setzt in jedem Konzert sein Leben aufs Spiel. Er entwickelt die
Stücke vom Detail ins Ganze.
Auch Alfred Brendel ist, was stetige
Entwicklung und Konzentration auf das mitteleuropäische Repertoire
angeht, ein Vorbild. Ich begreife bei ihm nicht im Moment, sondern
in der Retrospektive,
die er wie kein anderer einsetzt. Ein Kritiker hat einmal geschrieben:
Sokolov und Brendel befinden sich auf gleicher Augenhöhe,
schauen aber in verschiedene Richtungen. Eine elegante Formulierung.
Ich möchte gern in beide Richtungen schauen, wenn auch leider
nicht ganz auf Augenhöhe.
nmz: Was sind Ihre Schwächen und Stärken?
Schuch: Was für Schwächen? (lacht) Im Ernst: Zu dieser
Frage möchte ich nichts sagen, weil dann die Leute mit beeinflussten
Meinungen ins Konzert gehen und eine Unvoreingenommenheit nicht
mehr möglich ist. Dies ist für mich aber sehr wichtig.
nmz: Zum Schluss: Wie beschreiben Sie Ihre Persönlichkeit,
gab es Veränderungen?
Schuch: Ich war als Jugendlicher
sehr von meiner Art überzeugt
und habe mich nie abhängig machen wollen und mich somit geweigert,
die Erfahrungen anderer direkt zu übernehmen. Die Folge war
eine hohe musikalische Irrtumsquote, die mir aber im Nachhinein
durchaus genützt hat. Dass mein Lehrer Karl-Heinz Kämmerling
dies geduldig immerhin 14 Jahre lang ausgestanden hat, erfüllt
mich immer wieder mit Bewunderung – mittlerweile umso mehr,
seit ich als sein Assistent nun vor denselben Problemen stehe und
mich frage, wieso es so lange braucht, um Veränderungen herbeizuführen.
Mittlerweile bin ich sehr viel selbstkritischer und gehe offener
mit anderen Meinungen um, probiere sie aus und übernehme sie.
Es ist ja auch faszinierend: So kann ich gleichsam in andere „hineinschlüpfen“ und
einen alten Traum der Menschheit, sich aus sich selbst, aus dem
Käfig der eigenen Gedankenwelt, zu befreien, verwirklichen.
Ich beschreibe mich als euphorischen Skeptiker, der bei allem Schwung
oft ein „Darf das so sein?“ dagegensetzt. Außerdem
ist die Vielseitigkeit für mich sehr wichtig: Als Pianist
bin ich gern Chamäleon und versuche, dem Clown, Philosophen
und Magier in mir Nahrung zu geben.