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nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 49
56. Jahrgang | Februar
Bücher
Macht Appetit auf die Fortsetzung
Band 1 eines Handbuchs zur vielfältigen Chorleitungspraxis
erschienen
Robert Göstl: Chorleitfaden. Motivierende Antworten auf
Fragen der Chorleitung, Band 1, ConBrio, Regensburg 2006, 120 S.,
€ 22,00,
ISBN 978-3-932581-78-1
Welchen Chor will ich? Wie erreiche ich die Menschen? Wodurch
macht Stimmbildung Spaß? Auf diese und weitere so genannte
W-Fragen will der CHORLEITFADEN motivierende Antworten bieten.
Nach seiner ersten – sehr beachtenswerten – Publikation
(Robert Göstl: Singen mit Kindern, Regensburg 1996) legt der
Autor nun ein Werk vor, das die differenzierte Auffächerung
der wichtigsten Fragen einer vielfältigen Chorleitungspraxis
verspricht. Es handelt sich um ein Verbundwerk in zwei Bänden
mit einer umfangreichen DVD, von dem der erste Band jetzt erschienen
ist. Göstl stellt zu Beginn die wichtige Frage nach den Zielen,
die ich als Chorleiter/-in habe und denen, die diejenigen haben,
die in Chören singen, denn diese sind nicht immer leicht zusammenzubringen.
Seine drei großen Themenfelder sind die Dimensionen von Chorarbeit
und Organisationsformen von Chören, die chorische Stimmbildung
und die Probenmethodik ungefähr je zu einem Drittel. Ein ausgewähltes
Glossar von „a cappella“ über „Brummer“ und „Mutationsdreieck“ bis „Zwerchfell“ verweist
sowohl auf entsprechende Kapitel des Buches, als auch auf ein überschaubares
kommentiertes Literatur- und Medienverzeichnis. Eine solche Auswahl
ist immer subjektiv und wird nie vollständig sein. Sie beleuchtet
allerdings recht griffig Worte wie beispielsweise „Forcieren“, „indifferent“ „Kopfstimme“ oder „Phrase“,
die in der Praxis oft unscharf angewandt werden. Andere wie „Kammerton“, „Motette“ und „Oratorium“ benötigt
wohl nur, wer wirklich ganz am Anfang steht. Der zweite Band, der
für das Frühjahr 2007 angekündigt ist, wird sich
unter anderem mit Chorliteratur, dem Umgang mit Partituren, dem
Dirigieren und einer weiteren Vertiefung über das Sozialgefüge
Chor beschäftigen. Das didaktische Konzept lässt sich
also dahingehend interpretieren, dass Grundlagen der Schlagtechnik
vorhanden sein sollten beziehungsweise auch nicht alleine aus Büchern
gelernt werden können. Wenn diese Grundlagen verbunden mit
einer musikalischen Vorstellung vorhanden sind, entstehen erst
einmal viele andere Fragen (siehe oben).
Wenn auch viele einzelne
Themenbereiche wie Stimmbildung, Dirigiertechnik, Rechtsfragen
und so weiter ständig in aktualisierter Form auf den Markt
geworfen werden, so fehlte ein solches Handbuch in Form eines Kompendiums
bisher. Die Sprache ist durchweg fachlich qualifiziert, dabei aber
doch sehr persönlich. Göstl ist stark von der Kirchenmusik
geprägt. Es gelingt ihm jedoch, praxisrelevante Erfahrungen
nicht nur zu berichten, sondern durch seine Reflektiertheit diese
auch zu systematisieren und damit eine nachhaltige Übertragbarkeit
zu ermöglichen. Er stellt oft polarisiert die Bandbreite von
Möglichkeiten dar und überlässt es den Leser/-innen,
ihre Position zu finden. Dabei tut der Autor seinen persönlichen
Standpunkt zu Traditionen durchaus kund, zum Beispiel wenn es um
Musik im kirchlichen Raum geht (S. 18/19).
Die notwendige Erwähnung differenzierter Phänomene – etwa
bei der Beschreibung soziologischer Zusammenhänge von Erziehung
und Werten („Tugenden“) – verbleibt zuweilen
durch die notwendige Verkürzung in Allgemeinplätzen (zum
Beispiel S. 13). Das ist – wie so oft bei schlanken Publikationen – der
Preis für die Fülle der angerissenen Themen. Gleichwohl
gewinnt der Autor dadurch die Möglichkeit, künstlerische,
soziologische, ästhetische und pragmatische Fragen zu vernetzen.
Oftmals bringt er aber auch ganz wesentliche Dinge in beeindruckender
Kürze auf den Punkt, wie bei der Beschreibung der Grundzüge
funktionaler und intentionaler Stimmbildung (S. 56/57). Besonders
beliebt werden die grauen Kästchen im Text sein, die eine
Fülle von Tipps nach dem Motto „aus der Praxis für
die Praxis“ im jeweils thematischen Kontext anbieten. „Niemand
darf sich mit dem hier Gebotenen zufrieden geben...“ fordert
der Autor im Vorwort. Dies erscheint mir unter folgendem Gesichtspunkt
sehr wichtig: Die ansprechende Aufmachung, die übersichtliche
Zusammenstellung und der direkt wahrnehmbare reflektierte Praxisbezug
mag – besonders Anfänger/innen – dazu verleiten,
alles eins zu eins übertragen zu wollen. So muss zum Beispiel
der Umgang mit Checklisten gelernt sein, selbst wenn sie wie hier
hilfreich strukturiert sind. Checklisten sind besonders nützlich
für wiederkehrende Aufgaben als Standardisierung, die Arbeit
spart. Bei Checklisten, die Selbsteinschätzung und Selbstorganisation
behandeln, beginnt die eigentliche Arbeit nämlich nach dem
ehrlichen Ausfüllen. Da sind Fragen wie diese zu beantworten:
Warum ist die Situation so, wie ich sie gerade aufgeschrieben oder
angekreuzt habe? Welche Standards mache ich zu meinen? Wo liegen
meine besonderen Stärken und was folgere ich aus all dem?
Gut beraten ist, wer das angebotene Material dahingehend auf
seine Situation hin durchdenkt und ergänzt. Ein gewisses Grundhandwerk
und Praxiserfahrung in der Chorleitung vorausgesetzt, kann jede/-r
von diesem Werk profitieren. Allen, die sich in der Ausbildung
bzw. Weiterbildung befinden oder gerade damit beginnen, kann dieses
Werk eine hilfreiche Begleitung sein. Erfahrene Chorleiter/-innen
können besonders anhand der Checklisten ihre eingefahrenen
Gewohnheiten überprüfen und überdenken. Manche Erfahrungen
mit Fehlern müssen immer wieder selbst gemacht werden, so
gut sie auch in einem Buch beschrieben sein mögen. Dieses
Buch kann aber helfen, unnötige „Fallen“ im Vorfeld
zu vermeiden. Möge dieser Leitfaden sich weit verbreiten und
ehrlich durchgearbeitet werden. Das kann für unsere Chorszene
nur von Nutzen sein. Er hat Appetit gemacht auf den zweiten Band,
den man nun mit Spannung erwarten kann.