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nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 48
56. Jahrgang | Februar
Bücher
Die Kaiser, Franz Kafka, Rabbi Löw und der Jazz in Prag
Ein Autorenteam nähert sich dem vorwiegend in Prag gespielten
tschechischen Jazz
Alexander J. Schneller, Ada Schneller, Christian Gerber, Danilo
Silvestri: That Jazz of Praha, Vitalis Verlag Prag 2005, 216 Seiten,
24x28 cm, Fadenheftung, gebunden, Schutzumschlag, Lesebändchen.
ISBN 3-89919-097-1
Wie faszinierend und wie prägend war doch für uns „Ost-ler“ früher
der tschechische Jazz und die Jazzszene in der damaligen CSSR!
Klar – auch des Mangels wegen, denn nur ganz wenige kamen
an „West“-Platten mit den großen Namen des internationalen
Jazz ran. Aber auch, weil die Musikanten unseres südlichen
Nachbarstaates einen Jazz von ganz eigener, bei uns so kaum vorfindbarer
Spezifik entwickelten.
In Prag gibt es eine ansehnliche Zahl von Jazzklubs beziehungsweise
-kneipen, die allabendlich sieben Tage in der Woche ein Live-Programm
anbieten. Sie beschäftigen vorwiegend tschechische Musiker,
darunter junge Nachwuchsspieler ebenso wie die gestandenen Größen
des tschechischen Jazz. Längst sind sehr viele von ihnen auch
dem Dresdner Publikum bekannt – nicht nur jenen Jazzfreunden,
die mal auf eine Sprung nach Prag in Jazzclubs wie „Reduta“, „elezna“ oder „Agharta“ fahren,
sondern auch den Besuchern des Dresdner Jazzclubs (Neue) Tonne.
Schon früher, ganz besonders auch in der jüngeren Zeit
traten und treten tschechische Jazzer regelmäßig, teils
sogar im Rahmen einer extra Reihe „JazzCZ“, in der „Tonne“ auf.
Erstmals nun versucht ein Autorenteam, sich dem Phänomen des
vor allem in Prag gespielten tschechischen Jazz auf zweierlei Art
zu nähern. Da sind einmal ausführliche Gespräche,
die mit den Musikern geführt wurden. Und zum anderen sind
die Fotografien – viele im klassischen Sinne Porträts – der
Versuch, die Persönlichkeit der Betreffenden einzufangen und
zum Ausdruck zu bringen. Dabei entstanden die meisten Aufnahmen
unmittelbar vor, während und nach den Gesprächen oder
Konzerten. Das Buch will also Einblicke und Augenblicke schaffen:
Einblicke in unterschiedliche Musikerleben und in die Prager Jazzszene
durch Gespräche vermitteln, Augenblicke im wahrsten Sinn des
Worts durch die Fotografien ermöglichen. Porträtiert
wurden František Uhlír (Bass), Milan Svoboda (Piano),
Jana Koubková (Gesang), Jirí Stivín (Flöten,
Saxofone), Michal Gera (Trompete), Emil Viklický (Piano),
Laco Tropp (Schlagzeug), Michal Hejna (Schlagzeug), Jaroslav Šindler
(Gitarre), František Kop (Saxofone), Robert Balzar (Bass),
Karel Ruicka senior (Piano), Jan Knop/alias Najponk (Piano),
Yvonne Sanchez (Gesang).
Als Porträts von sensiblen Musikern überzeugen die Fotos
rundweg. Sie schaffen eine familiäre Atmosphäre und sagen
Einiges über die Mentalitäten der porträtierten
Jazzer.
Andere Aspekte des Buches sind dagegen weniger zufriedenstellend.
Vor allem, weil das umfassende Thema „Der Jazz von Prag“ etwas
verspricht, was der schmale Inhalt nicht halten kann. Textlich
geboten werden lediglich biografisch orientierte Stoffsammlungen,
die den strukturierten Gesprächen mit den Musikern entstammen
und die weder journalistisch durchgearbeitet noch gedanklich verdichtet
wurden.
Vielleicht hätte man einen Buchtitel finden sollen, der
dem Konzept der Arbeit entspricht.
Zum Thema „Jazz in Prag“ gehört jedenfalls weit
mehr. Welche Rolle spielt die große Menge von Touristen für
den Jazz in Prag? Die Frage ist keineswegs weit hergeholt. Die
Tatsache, dass fast ausschließlich Touristen, die eigentlich
wegen Veits-Dom, Kafka und Rabbi Löw nach Prag kommen, die
dortigen Jazzkneipen bevölkern, ist doch eine Spezifik, die
woanders nicht zu finden ist... Warum haben Free Jazz und freie
Improvisationsmusik in Prag und in ganz Tschechien – anders
als in vielen weiteren europäischen Szenen – kaum Fuß gefasst?
Wie funktioniert der Jazz in Prag wirtschaftlich, welche Rolle
spielt er im öffentlichen Leben? All diese Fragen tauchen
zwar als Gedankenfetzen hie und da in den Gesprächsnotizen
bei den Musikern auf – wären sie es aber nicht wert,
gerade in einem Buch mit diesem Titel richtig durchdacht und ausführlich,
weil ja sehr Prag-spezifisch, dargestellt zu werden?
Doch auch an Sachinformationen mangelt es. Adressen, Telefonnummern
und Internetseiten von Klubs und von Festivals sucht man vergeblich.
Eine Adress-Liste der wichtigsten CD-Läden mit gutem Jazz-Angebot
fehlt genauso (immerhin soll das Buch auch von Touristen gekauft
werden) wie Angaben zu CD-Labels.
Dass das Buch dann auch noch editorisch seine Schwächen hat,
rundet das negative Bild leider ab. Rechtschreibfehler (der Korrektor
hatte wohl seine Probleme mit dem Wechsel zur neuen deutschen Rechtschreibung
und steht mit dem Thema „ss/ß“ auf Kriegsfuß)
und ein schlechtes Layout (viel zu lange Zeilen und extrem schmale
Seitenränder erschweren die Lesbarkeit).
Schade, trotz der guten Fotos eine vergebene Gelegenheit ...