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nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 48
56. Jahrgang | Februar
Bücher
Nachruf auf einen Lebenden
Hans Otte überlebt seinen Nachruhm mit Ingo Ahmels „Klang
der Klänge“
Ingo Ahmels: Hans Otte – Klang der Klänge / Sound
of Sounds (edition neue zeitschrift für musik), Schott,
Mainz 2006, 172 S., zweisprachig mit DVD/CD, € 29,90, ISBN 978-3-7957-0586-2
Doppel-CD Sonderedition von ERP Musikverlag, :da capo: und Radio
Bremen zum 80. Geburtstag von Hans Otte, Celestial Harmonies 12069-1
und -2, celestial@harmonies.com
Hans Otte: Stundenbuch (1991–1998), 48 Stücke für
Klavier zu 2 Händen in 4 Heften, Faksimile-Reproduktion
der Handschrift des Komponisten, M-700252-17-5, E.R.P. Musikverlag
Eckart Rahn, Berlin 2006
celestial@harmonies.com
„Wir kennen ihn als stillen Beweger. Die laute Welt vergisst
Leute seines Schlages leicht...“ beginnt Lutz Lesle in der „Welt” vom
29.11.2006 seinen Text zur Hans-Otte-Aufführung in der Hamburger
Freien Akademie. Das veröffentlichte Musikleben mag ungerecht,
undankbar und sehr vergesslich sein. Es muss beim Künstler
jedoch auch eine Persönlichkeitsstruktur existieren, die auf
sich selbst aufmerksam machen will, Narzissmus, Selbstbespiegelung
und Geltungsbedürfnis müssen eine Rolle spielen. Oder
ein Künstler hat hingabevolle Helfer wie Verleger oder Biographen;
im Falle Hans Ottes ist das im besonderen der Autor des soeben
erschienenen Buches „Klang der Klänge/Sound of Sounds“,
der Musiker und Musikologe Ingo Ahmels aus Bremen.
Wer nicht glaubt, dazu gehören zu müssen, selbstgenügsam,
mit dem Segen eines inneren spirituellen Weges “ichfrei” zu
wirken vermag und absichtslos handeln kann, der mag nach außen
hin in Vergessenheit geraten. Und eine Hoffnung auf späte
Genugtuung in Form der Wiederentdeckung zu Lebzeiten impliziert
eine vorhergegangene Demütigung oder vermeintliche Zurücksetzung.
Wer wie John Cage den (buddhistischen) Spruch verinnerlicht: „Don‘t
look for the fruits of your karma“, den mag später Ruhm
eher amüsieren, wenn dieser noch erlebt wird, wie von Feldman
und Scelsi oder jetzt vom 80-jährigen Hans Otte, bei dem stets
alles „seinen guten Gang“ ging.
Die Doppel-CD mit Hans Otte als eigenem Interpreten seiner Klaviermusik,
welche von Celestial Harmonies neben der Faksimileausgabe des Otteschen
Stundenbuches Ende 2006 veröffentlicht wurde, enthält
einen kundigen booklet-Text von Ingo Ahmels, der sich als profunder
Kenner des Otteschen Werkes erweist. Am Ende ist da folgendes zu
lesen: „Vom Autor des Textes liegt bei Schott Music International
eine umfängliche Darstellung zu Leben und Werk Hans Ottes
vor. Die zweisprachige Publikation, der eine Audio-CD und eine
DVD beigefügt sind, trägt den Titel ‚Hans Otte – Klang
der Klänge/Sound of Sounds‘. Neben Studien zu Ottes
Klaviermusik und seiner Klangpoetik enthält die Veröffentlichung
eine Fülle audiovisueller Informationen, die der Öffentlichkeit
großenteils erstmals zugänglich gemacht werden“.
In der Tat zeichnet „Klang der Klänge“ eine imponierende
Vollständigkeit aus – ist selbst ein Lebenswerk mithin – und
die Fülle des Materials ist anschaulich geordnet, als Promotionsarbeit
dennoch spannend lesbar und hervorragend zu verwenden im Theorie-
und Analysebereich jeder Musikhochschule. Darüber hinaus wird
der Klangkünstler und Radiomacher beschrieben, der in Europa
immer noch unterschätzt und vom „anglo-amerikanischen
Kulturraum gerade erst“ wahrgenommen wird.
„
Die auch deshalb zweisprachig gefasste Studie zur Biografie und
zum künstlerischen Schaffen des unaufdringlich Kreativen beleuchtet
dessen weltanschauliche und ästhetische Orientierung und stellt
die Grundlagen für eine angemessene Rezeption bereit“ (Covertext).
Alleine die lebendige DVD mit einem faszinierenden Video-Monolog
Ottes zu „seinem“ 20. Jahrhundert und dem bewegenden
Gespräch mit dem Pianisten Herbert Henck über Otte als
Cage-Vermittler macht die ganze Veröffentlichung besonders
wertvoll!
Ingo Ahmels („infolge jahrelanger unbezahlter Otteforschung
fast pleite“) zieht in einer Synopse innerhalb der „Summa“ seiner
großartigen Arbeit Bilanz, indem er Ottes Ansatz der ästhetischen
Sensibilisierung als poetischen Reflex gegen die „als totalitär
vereinnahmter Jugendlicher erlittene Verrohung“ deutet, der,
von seinen aufbauenden Erfahrungen im demokratischen Nachkriegs-Amerika
beseelt, zeitlebens in profunder und leidenschaftlicher Weise „einstand
für den kulturellen Aufbruch der deutschen Bundesrepublik“,
um den „Horizont von monokausalen Dogmatismen zum offenen
System des ästhetischen Pluralismus zu weiten.“
Der ,Piano Man‘ Otte ertastete unbeirrt auf abendländisch-induktive
Weise seinen persönlichen Weg zum ganz eigenen Klang der Klänge.
Zwei große Klavierzyklen gerieten ihm so zu Meisterwerken,
in letzterem näherte er sich seinem Freund John Cage, jedoch
nicht aus orientalischem, sondern aus okzidentalem Geist der fernöstlichen
Zen-Metapher und machte sich deren Perspektive auf das Sosein der
Dinge mit gebotener Langsamkeit künstlerisch und persönlich
zunutze.
Wünschenswert wäre insbesondere die genauere Aufarbeitung
der Rundfunkarbeit Hans Ottes. Damit ließe sich dazu beitragen,
der Musikarbeit im Rundfunk ein historisch fundiertes Selbstverständnis
zurückzugeben.“ (Ahmels, S. 130f.)
Die vorliegende Studie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit
dem Otte-Werkeverzeichnis und dem digitalen Materialpool Grund
für
weitere Projekte zur Erforschung des komplexen Schaffens und Wirkens
Hans Ottes zu legen. Diese Aufgabe ist hier bestens und zukunftsweisend
gelöst.