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nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 49
56. Jahrgang | Februar
Bücher
Fundgrube
Über die Yamaha-Pädagogik
Marc Mönig: Die Pädagogik der Yamaha-Musikschulen. Darstellung,
Hintergründe und Kritik, Wißner, Augsburg 2005, 203
S., Abb., Notenbeispiele, ISBN 978-3-89639-456-9
Allein in Deutschland unterhält der Weltkonzern Yamaha etwa
200 Musikschulen. In Theorie und Praxis bietet er ein ausgeklügeltes
modulares Musik-Angebot, das schon im Säuglings-
alter erste Wurzeln schlagen soll (S. 11ff.). So verwundert das
geringe wissenschaftliche Interesse an der Yamaha-Pädagogik,
das sich vor allem in nur wenigen, zum Teil überholten Fachartikeln
widerspiegelt. Hier setzt Marc Mönig an und bietet erstmalig
im deutschsprachigen Raum einen ebenso umfassenden wie wissenschaftlich
und journalistisch fundierten und professionellen Einblick. Aufgrund
der spärlichen wissenschaftlichen Literatur recherchierte
der Autor vor Ort, an der Quelle, und bekam so mannigfaltige Informationen
aus erster Hand des Yamaha General Managements. Namhafte Professoren
der Folkwang-Hochschule in Essen sowie der Hochschule der Künste
in Berlin leisteten zudem wertvolle Hilfe. Knapp die Hälfte
seines Buches (Kapitel II) verwendet Mönig, um die für
viele überraschend vielschichtige Yamaha-Pädagogik deskriptiv
zu erläutern: deren wirtschaftliche Einbindung in den Gesamtkonzern,
die Organisation in Deutschland, deren Inhalte, Medien, Ziele und
Methoden. Schon hier besticht Mönigs selbst auferlegte (S. 18/19), äußerst
sachliche, objektive und tendenzfreie Vorgehensweise, die auch
in wissenschaftlichen Kreisen durchaus nicht selbstverständlich
ist.
Kapitel III behandelt die theoretischen Grundlagen des Lehrens
und Lernens in der Yamaha-Pädagogik. Im Mittelpunkt von Kapitel IV
steht das Verhältnis „Mensch – Musik“ sowie
ein Vergleich der Yamaha-Pädagogik mit verwandten Konzeptionen.
Frühkindliche Förderung und modularer Baukasten – In
der gebotenen Kürze ist es nicht möglich, Mönigs
vielschichtige, vernetzende und fein differenzierende Arbeitsweise
angemessen zu würdigen. Daher hier nur zwei Beispiele – exemplarisch
für die Ambivalenz, Dialektik und partiellen Widersprüchlichkeit
der Yamaha-Pädagogik: „Frühkindliche Förderung“ und „Modularer
Baukasten“. Yamaha hat die besondere Bedeutung einer ganzheitlichen,
frühkindlichen Förderung klar erkannt und umgesetzt.
(Hirn- und Wachstumsforschung unterstreichen vehement einen solchen
Ansatz.) So bietet man für 4 bis 18 Monate alte Kinder ein
vielseitiges, spielerisches und stark emotional gefärbtes
Musikalisierungsprogramm, das auch nicht-musikbezogene Sinnerfahrungen
(zum Beispiel Geruchssinn) impliziert (S. 55ff.).
Doch dahinter steht ein Begabungsverständnis, wonach jeder
Mensch musikalisch (S. 39) und mit Hilfe von Yamaha musikalisch „zu
begaben“ sei (S. 40). Damit stellt Yamaha die übliche
Interpretation von „Begabung“ auf den Kopf und schiebt
die genetische Dispostion unzulässig in den Hintergrund. Mit „einem
Höchstmaß an Vorausplanung ... und Determination des
Lernprozesses“ bekommt das Ganze auffallend prädeterministische
und behaviouristische Züge (S. 144 ff.). Daraus resultiert
eine weitgehend auf Imitation und Konditionierung fixierte „lern-
und bildungstheoretische Vereinnahmung des Schülers durch
die Yamaha-Pädagogik“. (S. 179) Für Lehrer
und Schüler präsentiert Yamaha diverse gestufte und abprüfbare
Baukasten-Systeme, die unterschiedliche Module aus der Musiktheorie
und -praxis miteinander verknüpfen: Allgemeine Musiklehre,
Gehörbildung, Literaturspiel, Improvisation, Gesang und anderes.
Vieles erinnert an das englische „Associated Board of the
Royal Schools of Music“ (abrsm). Eine in Deutschland leider
so verbreitete rein instrumentale Ausbildung scheint damit ausgeschlossen.
Doch bei näherer Betrachtung offenbaren sich deutliche Defizite
und tendenziöse Meinungsmache – allen voran eine extreme
stilistische Reduktion auf sinnlich leicht zu erfassende Kompositionen
der Frühklassik. Seit dem Jahre 2000 kommt Pop-Musik als Wahlmöglichkeit
hinzu. Eine solche Kanalisierung und Funktionalisierung unterstreicht
die eingeengte Firmen-Philosophie von Musik als Kommunikationsmittel,
als Träger einer „mehrheitsfähigen Massenpopularisierung“ (S. 174).
Andere Epochen finden darin kaum einen Platz; atonale, elektronische
oder experimentelle Musik werden strikt abgelehnt (S. 173ff.).
Ungeachtet durchaus schärferer Kritik (besonders in Kapitel
IV und V) bleibt Mönig auch hier seiner ausgewogenen, wissenschaftlich
sauberen Linie treu. Im Gegensatz zu Yamaha selbst versucht er
nirgends, Komplexität zu simplifizieren, den Leser in eine
bestimmte Richtung zu ziehen, Stimmung zu machen für oder
gegen eine bestimmte Haltung beziehungsweise Position. In einem
resümierenden Schlusskapitel bringt Mönig die Vor- und
Nachteile Yamaha’scher Musikerziehung noch einmal auf den
Punkt: „Der Yamaha-Pädagogik kommt ... auf der einen
Seite das Verdienst zu, eine systematisch ausgearbeitete ... in
weiten Teilen durchaus in sich schlüssige Konzeption vorgelegt
zu haben.“ (S. 193) Auf der anderen Seite „wird
die reale musikalische Wirklichkeit mit allen ihren Erscheinungsformen
verkürzt und in eine systemimmanente, stilistisch verengte
Wirklichkeit überführt“ mit der Gefahr, „Wirklichkeit
zu ‚machen’, anstatt sie einzufangen, auf sie vorzubereiten.“ (ebd. – Christoph
Richter.) Fazit: Ein sehr anspruchsvolles Buch auf hohem wissenschaftlichem
Niveau! Eine Fundgrube für aufnahmebereite und -fähige
Musiklehrer/-innen. Ein Vorbild für Forschende und Lehrende,
die selbst publizieren.