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nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 45
56. Jahrgang | Februar
Rezensionen-CD
Ausbaufähige Kommentare
Die gut ausgewählte SZ-Sammlung „Jahrhundert Geiger“
Nach dem Klavier-Kaiser nun also der Geigen-Eggebrecht. Und im
Grunde könnte man das meiste, was Reinhard Schulz anlässlich
der ersten Klassik-CD-Box der Süddeutschen Zeitung kommentiert
hat (nmz 2/05), auf diese neue Zusammenstellung übertragen:
Die Frage nach der Auswahl, bei der jeder einen anderen Namen vermissen
wird, die Problematik der plastischen Etikettierung von facettenreichen
Musikerpersönlichkeiten und der Verweis auf wahrscheinliche Überschneidungen
mit der bereits vorhandenen privaten Plattensammlung.
Auch was die Berücksichtigung neuerer Musik betrifft, ist
gegenüber Kaiser nur eine kleine Verschiebung zu konstatieren.
Immerhin haben aber Werke von Schnittke (4. Violinkonzert), Rochberg
(Paganini-Variationen), beide von Gidon Kremer gespielt, und Dutilleux’ „Sur
le même accord“ in Anne-Sophie Mutters Einspielung
den Weg in den Geigen-Olymp geschafft. Zudem erweitert sich mit
Yehudi Menuhins Ausflügen in den Jazz und in die indische
Musik sowie mit Itzhak Perlmans Joplin-Ragtimes der Horizont in
musikalische Bezirke jenseits der Klassik. Erfreulich auch, dass
mit Andrew Manze ein herausragender Vertreter der historischen
Aufführungspraxis berücksichtigt wurde (mit Tartini,
Biber, Vivaldi, Händel und Corelli).
Attraktiv wird die Box überdies durch einige Live-Raritäten
aus den Rundfunkarchiven: Neben der Rochberg-Aufnahme begeistert
vor allem Julia Fischer mit einer fantastischen Deutung des Sibelius-Konzerts
und einem überzeugenden Plädoyer für Hindemiths
Solosonate op. 11/6. Wertvoll auch Frank Peter Zimmermanns souveräne
Bewältigung des Berg-Konzerts, die – begleitet vom Concertgebouw
Orchester unter Riccardo Chailly – leider mit Beginn der
Choralbearbeitung ein wenig an Konzentration nachlässt.
Mit Hilary Hahn (Barber, Bach, Vaughan Williams) und Vadim Repin
(Tschaikowsky-Konzert u.a.) bekennt Harald Eggebrecht sich erfreulicherweise
zu weiteren Virtuosen der jüngeren Generation und weiß seine
Wahl kenntnisreich zu begründen.
Hinzu kommen legendäre Interpretationen, deren Rang außer
Zweifel steht (Oistrach mit der Franck-Sonate und – live
unter Mitropoulos – dem ersten Schostakowitsch-Konzert, Huberman
mit Beethovens Konzert und der Kreutzer-Sonate, und Referenzaufnahmen
von weniger gängigem Repertoire (die Konzerte von Walton,
Goldmark, Korngold und Britten mit Heifetz, Milstein, Mutter und
Haendel).
So überzeugend die Auslese ist, so enttäuschend fällt
unterm Strich die Kommentierung aus. Das liegt keineswegs an Eggebrecht
selbst, dessen pointierte, Neugier weckende Charakterisierungen
man mit Gewinn liest, sondern an der akustischen Präsentationsform:
In einer Spanne von knapp drei bis zehn Minuten bietet sie nicht
mehr als eine (kaum erweiterte) Lesung der Klappentexte. Die Veranschaulichung
durch Klangbeispiele ist zwar begrüßenswert, aber entbehrlich,
weil meist leicht auffindbare Passagen angespielt werden. Ergiebiger
wäre ein CD-ROM-Teil mit klangtechnisch komprimierten, dafür
aber detaillierteren Kommentaren gewesen, möglicherweise auf
der Basis von Eggebrechts früherer NDR-Sendereihe „Große
Geiger“. Schade, dass diese Chance der Vermittlung großer
Interpretationskunst auf mehreren medialen Ebenen nicht konsequenter
genutzt wurde.
Juan Martin Koch
Jahrhundert Geiger. 16 Violinvirtuosen auf 20 CDs. Ausgewählt
und kommentiert von Harald Eggebrecht. Verlag Süddeutsche
Zeitung, ISBN 978-3-86615-3799-0, 99 Euro