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nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 50
56. Jahrgang | Februar
Rezensionen - DVD
Der Geist von Nashville
Jonathan Demmes großartiger Neil-Young-Film auf DVD
Zu den Höhepunkten des vergangenen Kinojahres gehört
zweifellos „Heart of Gold“. Was auf den ersten Blick „nur“ ein
weiterer Konzertfilm mit Neil Young ist, entpuppt sich bei näherer
Betrachtung als pures Kino und klassische Americana. Schon der
Schauplatz ist ein mythischer Ort, den Robert Altman schon Mitte
der siebziger Jahre besungen hat: Nashville, das hass-geliebte
Country-Music-Mekka. Lange vor den oft zitierten „Short Cuts“ entwickelte
Altman zum amerikanischen Bicentennial in „Nashville“ für
zwei Dutzend Protagonisten ein hochkomplexes Erzählgeflecht,
das zum „Blueprint“ wurde für unzählige Filme
wie etwa „Magnolia“. Jonathan Demme, der Regisseur
von „Das Schweigen der Lämmer“, geht nun den anderen
Weg: In einer Person verdichtet er die Geschichte Amerikas seit
den Anfängen. Dabei ist es nicht ganz ohne Ironie, dass sein
Held Neil Young 1945 im kanadischen Toronto geboren wurde.
Schon in den ersten Minuten – noch vor dem eigentlichen Konzert
im Ryman Auditorium – beschwört Jonathan Demme den Geist
von Nashville: an einer Häuserfassade sehen wir das Konterfei
von Hank Williams. Irgendwann während des Konzerts wird Neil
Young Hanks „old guitar“ auspacken. Wie einen Fetisch
wird Neil Young dieses Instrument behandeln – und einen Moment
lang wird Hank wieder in die Grand Old Opry, die er in den frühen
Fifties zum ersten Mal betreten hatte, zurückkehren, ein halbes
Jahrhundert nach seinem Tod. Ohne Pathos, fast beiläufig ist
dieser magische Moment, der zwei „drifting cowboys“ miteinander
verbindet.
Die erste Hälfte des Konzerts gehört den Songs aus dem
damals gerade veröffentlichten „Prairie Wind“-Album.
Zusammen mit seinen alten Weggefährten aus „Harvest“-Zeiten
singt er inbrünstig die neuen Lieder, die man schon seit einer
Ewigkeit zu kennen glaubt. Aus einer anderen Zeit scheinen diese
zu stammen, aus der Prä-MTV-Ära, als die „Cuts“ noch
nicht den Rhythmus vorgaben. Unglaublich lässig, fast unsichtbar,
filmt Demme Neil Youngs Auftritt. Aus dem Bonusmaterial erfahren
wir, dass Demme tagelang proben ließ, damit sich die Musiker
an die acht Kameras gewöhnen konnten, die sie während
des Konzerts beobachten sollten. Für jeden Song hat Demme
bereits während der Proben eine Vision entworfen. Grandios
ist Demmes Entscheidung, das Publikum während des Konzerts
nicht zu zeigen und die einzelnen Songs durch Abblenden zu trennen.
Weil man auf dieser Doppel-DVD noch als Zuckerl einen Ausschnitt
aus der „Johnny Cash Show“ von 1971 hinzugefügt
hat, bietet sich ein Song zum optischen Vergleich an: „The
Needle And The Damage Done“ aus dem „Harvest“-Album.
Wie ein Junge, der am Lagerfeuer singt, wirkt bei Cash der langmähnige
Neil Young, der umringt wird von seinen Fans im CBS-Studio. Ein
Pop-Hippie für das Pantoffelkino. Demme inszeniert Young dagegen
am rechten Rand der abgedunkelten Bühne. Im Spotlight erscheint
Young, dessen Gesicht nicht zu erkennen ist, als pure Ikone. Der
ewige Sänger singt das alte Lied. Weit geht Demmes Inszenierung
hinaus über das, was Jim Jarmusch mit Neil Young in „Year
of the Horse“ machte. Selten sah man eine solch konzentrierte
Inszenierung eines Pop-Konzerts im Kino. Auf der Paramount-DVD
geht davon wegen des Formats (1.85:1) natürlich etwas verloren.
Die in diesem Fall so wichtigen Bildinformationen am Rande verschwinden
im Nirwana. Dafür werden wir mit einer Fülle von Bonusmaterial
entschädigt, darunter ausführliche Informationen zu den
Vorbereitungen für den Konzertfilm.
Fritz Göttler zählte „Heart of Gold“ in der „SZ“ zu
Recht zu den „magic moments“ des vergangenen Kinojahres: „Amerikanische
Geschichte und amerikanische Gegenwart, zusammengebracht im homespun
movie, im Country-and-Western-Kino. Manchmal erinnert die Truppe
auf der Bühne an die Götter des Olymp. Im letzten Song
ist Neil Young ganz bei sich, hat alle Zeit der Welt.“
Viktor Rotthaler
Neil Young – Heart of Gold (Regie: Jonathan Demme); Paramount
(1 DVD)