[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/02 | Seite 29
56. Jahrgang | Februar
Verbandspolitik
„Unterrichten bedeutet für mich forschendes Lehren“
Interview mit Jürgen Terhag, Bundesvorsitzender des Arbeitskreises
für Schulmusik (AfS)
„Sperriges lebendig unterrichten“ lautet das Motto des AfS-Bundeskongresses
für Musikpädagogik (Arbeitskreis für Schulmusik),
der im September 2007 in Kassel stattfinden wird. Es könnte
auch Jürgen Terhags Lebensmotto sein. Der Bundesvorsitzende
des AfS und Professor für Musikpädagogik an der Musikhochschule
in Köln vernetzt meisterhaft Institutionen, Musik-Genres und
Personen und ist ein überzeugender Vermittler der gestaltenden
Kraft von Kreativität. Susanne Fließ sprach mit Professor
Dr. Jürgen Terhag.
neue musikzeitung: Herr Terhag,
wie ist Ihr musikalischer Werdegang?
Jürgen Terhag: Mit sieben Jahren erhielt
ich den ersten Klavierunterricht. Als ich meinem Lehrer begeistert
das vorspielte, was ich mir schon
nach Gehör zusammenkomponiert hatte, quittierte er dies mit
den Worten: „Bei mir lernst du ab jetzt ‚richtige’ Musik
zu spielen“. Es gab damals bereits einen eigenartigen Zwiespalt,
dessen Überwindung mein pädagogisches Handeln bis heute
bestimmt.
nmz: Ein Leben als Musiker war für Sie nicht vorstellbar?
Künstler
als Musikpädagoge: Jürgen Terhag. Foto: AfS
Terhag: Ich wollte Musiklehrer
werden! Nach dem Abitur studierte ich in Köln Musikpädagogik mit den Fächern
Klavier und klassische Gitarre.
Meine erste Stelle trat ich an einer Gesamtschule in Leverkusen
in einem Arbeiterbezirk an. An dieser Schule spielte so gut wie
kein Schüler ein Instrument. Innerhalb von vier Jahren hatte
ich über hundert Schülerinnen und Schüler motiviert,
in diversen Schülerbands und -ensembles zu spielen. Dann erhielt
ich einen Ruf als Lehrer im Hochschuldienst an die Universität
Lüneburg. Anschließend übernahm ich die Leitung
des Fachbereichs Musik an der Bundesakademie für kulturelle
Jugendbildung in Remscheid. Dort hatte ich es mit einer bunten
Mischung aus Musikschullehrern, Schulmusikern und freien Musiklehrern
zu tun. Auch hier habe ich unglaublich viel gelernt, denn Unterrichten
bedeutet für mich immer forschendes Lehren.
nmz: Seit 1997 sind Sie Professor
für Musikpädagogik
an der Musikhochschule in Köln. Können Sie hier Ihre
vielfältigen Erfahrungen umsetzen?
Terhag: Ich genieße es sehr, dass ich an der Musikhochschule
ein Arbeitsfeld habe, in dem ich sowohl künstlerisch als auch
pädagogisch und wissenschaftlich arbeiten und unterschiedliche
Schwerpunkte setzen kann. So forsche ich auch intensiv zu Populärer
Musik aus pädagogischer Perspektive.
nmz: Sie sind seit 2001 Dekan
des Fachbereichs.
Terhag: In dieser Funktion ist
neben Verwaltungsarbeit auch viel konzeptionelles Denken und
Handeln gefragt. Inzwischen ist fast
der gesamte Fachbereich neu besetzt und – entgegen dem allgemeinen
Trend – deutlich vergrößert worden.
nmz: Der Fachbereich umfasst
Musikpädagogik und Musikwissenschaft,
die Sie einmal, sofern es sich um die abendländisch geprägte
handelt, als problematische Partnerin der Musikpädagogik bezeichnet
hatten. Bedeutet das Amt des Dekans an dieser Stelle einen inhaltlichen
Spagat?
Terhag: Keineswegs. Die Musikwissenschaft
an Musikhochschulen wird aus meiner Sicht zunehmend offener für kulturwissenschaftliche
oder musikethnologische Zusammenhänge. Generell ist sie immer
dann für Musikpädagogen schwierig, wenn sie sich ausschließlich
als Sachwalterin der Musik versteht und sich freiwillig in einem
forschenden Elfenbeinturm verbarrikadiert, denn dort erfährt
man nicht nur zu wenig Anerkennung, man verliert auch an gesellschaftlichem
Einfluss. Hier sehe ich die Musikwissenschaft zurzeit durchaus
als eine gefährdete Disziplin.
nmz: Könnte denn die Musikpädagogik die Musikkultur verändern
oder ist sie womöglich für „Musikantenstadel“ und „Pop
Stars“ mitverantwortlich?
Terhag: In gewisser Weise trägt sie hier eine Mitverantwortung.
Man hat im gesamten 20. Jahrhundert mit extrem unterschiedlichen
Konzepten und Methoden versucht, einen Einfluss auf die Musikkultur
zu nehmen, meist jedoch mit einer mehr oder weniger normativen
und kulturpessimistischen Grundhaltung. Was sich beispielsweise
in jugendkulturellen Kontexten der Populären Musik an Qualität
entwickelt hat, nahm man nicht zur Kenntnis, und konnte daher in
Forschung und Lehre auch nicht differenziert damit umgehen. Wir
jammern in Deutschland ständig über schlechte Popmusik,
anstatt sie durch Nachwuchsförderung, Wettbewerbe und auch
durch eine professionelle Ausbildung zu verbessern. Wenn unsere
Musikhochschulen sich der Populären Musik mehr annehmen würden,
käme das vielleicht der Musik und ganz bestimmt den Musikhochschulen
zugute! Aber wir sind da auf einem guten Weg!
nmz: Im Oktober 2000 wurden Sie
zum Bundesvorsitzenden des Arbeitskreises für Schulmusik (AfS) gewählt. Womit beschäftigt
sich der Arbeitskreis?
Terhag: Der AfS wurde 1953 gegründet und hat sich seit den
1970er Jahren als eine Art bundesweite „Selbsthilfeorganisation“ vor
allem für jene Musiklehrer etabliert, die ihre eigene musikpädagogische
Ausbildung im täglichen Unterricht rückblickend immer
wieder als defizitär erleben. Untereinander findet ein reger
Austausch statt, Unterrichtsmethoden werden entwickelt, vorgestellt
und im Internet oder auf unseren Kongressen als best- practice-Beispiele
den Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung gestellt, wodurch
sich inzwischen auch die musikpädagogische Lehre und Forschung
deutlich verändert hat, was letztlich wieder einer wirklich
berufsqualifizierenden und praxisnahen Ausbildung zugute kommt.
Und hier schließt sich dann der Kreis ...
nmz: Der AfS ist Teil eines großen Netzwerkes, ebenso wie
sein Bundesvorsitzender in vielen Gremien, Ausschüssen und
Verbänden mitwirkt. Es wird viel diskutiert in diesen Gremien,
wie viel Raum bleibt da für die Praxis?
Terhag: Die steht im Zentrum
unserer Verbandsarbeit! Alle Funktionsträger
sind ausgewiesene Fachleute auf musikpädagogischem Gebiet,
und es ist sicherlich kein Zufall, dass die AfS-Bundesvorsitzenden
traditionell aus der Praxis der Fortbildung kommen.
nmz: Der AfS hat erstmals einen
Bundeswettbewerb für Klassenmusizieren
ausgeschrieben. Das Thema lautet „A-f-S“.
Terhag: Ein Vorbild für unseren Wettbewerb
ist der Bundeswettbewerb „Schulpraktisches
Klavierspiel“ an der Musikhochschule Weimar. Dort stellt
der Kandidat auf dem Klavier praktische Arbeit im Musikunterricht
vor, nämlich Liedbegleitung, Improvisation oder Verklanglichung
von Bildern. Dies ist einer der ersten Wettbewerbe an Musikhochschulen,
der künstlerische ebenso wie pädagogische Fähigkeiten
fördert. Unser fachpolitisches Ziel ist es, auf lange Sicht
Professuren für schulisches Ensemblespiel zu installieren,
so wie es durch den SchuPra-Wettbewerb inzwischen an vielen
Hochschulen Professuren für schulpraktisches Klavierspiel
gibt.
nmz: Vor kurzem ist bei ConBrio die Replik
auf die Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Musikunterricht
erschienen. Das Buch „Bildungsoffensive
Musikunterricht?“ hat der AfS maßgeblich mitfinanziert.
Hat sich bereits etwas bewegt in deutschen Klassenzimmern?
Terhag: Die Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung
erschien 2004 und wir freuen uns zwar einerseits, dass die Politik
sich hier überhaupt
einmal auf breiter Basis des Themas „Musikalische Bildung“ annimmt,
wir hätten uns aber gewünscht, dass an der Veröffentlichung
mehr Fachleute beteiligt gewesen wären. Die Autoren haben
sich in unserer Replik kritisch mit der Studie auseinandergesetzt.
Das Buch ist in einer hohen Auflage erschienen und an viele wichtige
Multiplikatoren und Repräsentanten in Politik, Kultur und
Wirtschaft gegangen. Dort ist es offenbar sehr gründlich gelesen
worden, denn noch immer erhalte ich zahlreiche Zuschriften.Der
Aufwand und all die Podiumsdiskussionen rund um das Buch haben
sich tatsächlich bereits gelohnt, denn die Herausgeber der
Studie haben uns den Wunsch signalisiert, künftig mehr
musikpädagogische Fachleute bei derartigen Publikationen einzubeziehen.