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nmz-archiv
nmz 2007/04 | Seite 38-39
56. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Nicht provinziell und kein Lärm
Ein neues Musikfestival in Eckernförde
Eckernförde? Wer südlich von Hamburg weiß schon,
wo das liegt! Ein Städtchen von etwa 27.000 Einwohnern, 30
Kilometer nördlich der Landeshauptstadt Kiel, an der Ostsee
gelegen, gewesene Kreisstadt, gewesener großer Fischereihafen.
Und durch die Gegenwart weht die Vergangenheit: eine Altstadt mit
kleinen Bürgerhäusern und den einstigen Winterresidenzen
des mittelholsteinischen Landadels, die den Modernisierungs-Kahlschlag
der 60er-Jahre ziemlich unbeschadet überstanden hat.
Gerald
Eckert. Foto: Charlotte Oswald
Und doch weht der Zeitgeist durch die Idylle. Zum einen durch
Norbert Weber mit seiner Galerie NEMO, der der „Ars Baltica“ des
früheren Ministerpräsidenten Björn Engholm mit auf
die Beine geholfen hat und heute der geistige und materielle Hauptumschlagsplatz
für skandinavische und baltische Kunst in Norddeutschland
ist. Zum anderen durch Gerald Eckert, der, mit dem Darmstädter
Kranichstein-Preis 2006 und soeben auch mit dem Stuttgarter Kompositionspreis
ausgezeichnet, viele europäische Stipendien, Preise und Kompositionsaufträge
eingesammelt hat und in der avancierten Szene der Neuen Musik inzwischen
als einer der ersten Namen gilt. Dass sich der gebürtige Franke,
der zeitweilig auch in Paris und Venedig lebte, in Eckernförde
angesiedelt hat, gereicht dem kleinen Ort zum Segen. Mit seinem „ensemble
reflexion K“ zieht er hier eine alljährliche Konzertreihe
durch, die sich im Programm vor jeder postmodernen Beliebigkeit
hütet, erste Komponisten präsentiert und ein hohes Interpretationsniveau
garantiert.
Daraus ist ein in den äußeren Abmessungen bescheidenes,
aber im Anspruch ehrgeiziges kleines Festival entstanden, dem Eckert
ironisch den Namen „ProvinzLärm“ gegeben hat,
Titel eines Romans des Lyrikers Wilhelm Lehmann, der als Studienrat
in Eckernförde die schlimmen Zeitläufte überstanden
hat und hier 1968 auch verstorben ist.
„ProvinzLärm“ soll alle zwei Jahre gemacht werden und
zum Teil immer einem nordisch-baltischen Land gewidmet sein. 2009
wird – auch in Verbindung mit bildender Kunst – Lettland
im Focus stehen, und für dieses erste Mal hat sich Eckert
in dem abgelegenen Island umgesehen. Neben einem Abend mit „Nono
und seinen Schülern“ (Lachenmann, Eckert und Nicolaus
A. Huber) erfuhr man in einem informativen Vortrag von Steingrimur
Rohloff, einem deutsch-isländischen Komponisten, Überraschendes über
die musikalische Szene in Reykjavik. Etwa 300.000 Einwohner zählt
das Land heute. 1930 nahm hier das Radio seinen Betrieb auf, und
im gleichen Jahr wurde die Musikhochschule gegründet. Ein
eigenes Orchester gibt es seit 1950, und 30 Jahre später versuchte
das Reykjavik Festival, sich in den Reihen der europäischen
Musikfestspiele einzubetten. Seit 1987 gibt es ein Ensemble für
Neue Musik, dessen Konzerte, wie Rohloff stolz sagen konnte, die
höchsten pro-Kopf-Besucherzahlen in Europa haben.
Die Konzerte in Eckernförde, die Gerald Eckert als Organisator,
Komponist und Cellist trägt, finden in der akustisch gut prädestinierten
Nikolaikirche statt, dem gedrungenen spätgotischen Backsteinbau
mit den berühmtesten Kunstwerken der Stadt, den barocken Holzschnitzereien
von Vater und Sohn Gudewerdt für Altar und Kanzel – ein
selbstbewusster Hintergrund, der kontrastreich wunderbar harmoniert
mit den neuen Klängen aus fernen nordischen Welten. Eckert
kann naturgemäß nur kleine Ensembles zusammenstellen,
aber sie führen dem begrenzten, doch an Zahl nicht kläglichen
Besucherkreis immer wieder wahrhaft unerhörte Begegnungen
zu, für diesmal unter anderem mit Stücken, in denen sich
Akkordeon (Eva Zöllner) und Kontrabass (Kristján Orri
Sigurleifsson)
zusammenfinden.
Dieses Duo „The Slide Show Secret“ präsentierte
mit Werken isländischer und anderer skandinavischer Komponisten,
großenteils für das Ensemble geschrieben, eine breite
Palette instrumentaler und klanglicher Möglichkeiten dieser
so unterschiedlichen Charaktere, die teils ins Wechselspiel scharfer
Kontraste, teils zu totaler Fusion geführt werden, teils auf
einem ausgeprägten rhythmischen Duktus basieren, teils die
Klangwelten obertonreich ausmessen und clusterartig ballen.
Verschiedene Handschriften wurden da nebeneinandergestellt – alle
durchaus eigenständig und eigenwillig, oft getragen von einem
melancholisch traurigen Grundton, gelegentlich ins Tänzerische
sich verlierend: Randständiges im Kosmos der Neuen Musik,
doch niemals Rückständiges.
„
ProvinzLärm“ war nicht im mindesten provinziell, und
lärmend war es ebenso wenig, denn stille Konzentration auf
Struktur und Klang bestimmte diesen geglückten Versuch Gerald
Eckerts, in einer kleinen Stadt ein kleines Festival bei höchstem
Anspruch auf die Beine zu stellen. Für die Fortsetzung verdient
er alle Unterstützung.