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Ausgabe 2007/04
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nmz 2007/04 | Seite 37-38
56. Jahrgang | April
Oper & Konzert

Schöne Grüße von Beethoven

Das Emerson String Quartet bei den Römerbad-Musiktagen

In Anton Tschechows Schauspiel „Der Kirschgarten“ hört man am Ende, wie draußen im Garten die stattlichen Kirschbäume gefällt werden. Die alte Herrschaft musste das schöne Anwesen verkaufen, und der neue Besitzer denkt an eine ertragreichere Nutzung von Grund und Boden. Keine Zeit mehr für stille Kirschblütenträumereien. Dass einem diese Schlussszene in Badenweiler in den Sinn kam, hat einen doppelten Grund. Einmal, weil Tschechow im Hotel Römerbad in Badenweiler als Gast weilte – wovon eine Tafel am Hoteleingang kündet, zum anderen, weil ein neuer Besitzer der renommierten Herberge auf die traditionsreichen Römerbad-Musiktage künftig zu verzichten gedenkt. Er möchte etwas Anderes, Eigenes erfinden, am Konzept wird angeblich gearbeitet. Vorerst beschränkt sich das Erkennbare auf eine neue Tafel an der Vorderseite des Hotels, auf der mitgeteilt wird, dass es sich hier um eine „Kultur-Residenz“ handele. Man wird sehen.

Die Bigseller werden immer seltener

Bild vergrößernWie einst in den Wiener Palais: das Emerson String Quartet mit Beethoven im Oktogon des Römerbadhotels. Foto: Charlotte Oswald

Für den Abgesang auf die ruhmreichen Römerbad-Musiktage aber ist es noch zu früh. Im September dieses Jahres kommen noch das Cuarteto Casals, das Kuss-Quartett und das Miró-Quartet, im November das Minguet-Quartett, das Vogler-Quartett, die Geigerin Carolin Widmann und der Komponist und Klarinettist Jörg Widmann nach Badenweiler, um den Musiktagen dann das melancholische Adieu zu sagen. Und kürzlich durften sich Klaus Lauer, der Initiator der Musiktage und vorherige Besitzer des Traditonshotels, die treuen Musikfreunde aus aller Welt und die ausübenden Künstler, das in diesem Jahr seit dreißig Jahren bestehende Emerson String Quartet, noch einmal, wie in den mehr als drei Jahrzehnten zuvor, musikalisch zu Hause fühlen. Die Emerson-Musiker, mit den beiden Violinisten Eugene Drucker und Philip Setzer, dem Bratscher Lawrence Dutton und dem Cellisten David Finckel, begaben sich noch einmal auf die Wanderung ins Hochgebirge der Streichquartett-Literatur: die 16 Werke Beethovens für diese Besetzung, zusätzlich der Großen Fuge op. 133, die die Emersons, wie heute gern üblich, an die ursprüngliche Stelle setzten, nämlich als Schlusssatz des Streichquartetts B-Dur op. 130, während der nachkomponierte 6. Satz für op. 130 den Schlussstein der insgesamt 6 Konzerte bildete.

Das Emerson String Quartet hat die kompletten Beethoven-Quartette schon 1991 und 1995 in Badenweiler gespielt. Die Kontinuität dieser interpretatorischen Beschäftigung ist insofern bemerkenswert, als zwischenzeitlich eine irgendwie seltsame Zurückhaltung vieler Musiker gegenüber dem Komponisten zu konstatieren war. War es die Scheu vor dem übergroßen Anspruch der Werke, war es Respekt vor den großen Interpreten der Vergangenheit?

Etliche Komponisten der Gegenwart aber reagierten auf die Herausforderung Beethoven spontaner und sensibler. Die späten Streichquartette vor allem, auch die späten Klavierwerke, traten umso stärker in den Blickpunkt, je mehr sich ein neues Verlangen nach affektiver Substanz des Komponierens einstellte. Karlheinz Stockhausen äußerte sich schon 1977 in einem Aufsatz über Beethovens späte Streichquartette in diesem Sinne. Luigi Nono zielte in seinem Streichquartett auf eine Verständigung zwischen formaler Disziplin und expressiver Kraft, und auch Helmut Lachenmann hat sich über das Verhältnis von „Nachdenken über die Mittel“ zeitgemäßen Komponierens und dessen Umsetzung in „inspirative Funken“ entscheidende Gedanken gemacht, wobei das Vorbild des Beethoven‘schen Spätwerks mehr oder weniger als Ideenlieferant diente. Die „Musik-der-Zeit“-Konzerte des Westdeutschen Rundfunks haben vor kurzem in einem Zyklus diese Fragen zwischen „Rausch und Ratio“ in der Neuen Musik eingehend untersucht, wobei das Spätwerk Beethovens direkt oder indirekt gleichsam den Basso continuo für die aufgeführten Kompositionen bildete. Komponisten wie Jorge E. Lopez oder Manuel Hidalgo adaptierten dabei eher direkt Beethoven-Vorlagen (Bagatellen op. 126/Introduktion und Fuge der Hammerklaviersonate op. 106), während der junge Wolfgang Rihm in seiner „Musik für drei Streicher“, auch in seinen frühen Streichquartetten und anderen Werken, mit einer sowohl spontan eingesetzten wie wohl auch kühl kalkulierten Expressivität die Hörer überwältigte, Ausdruck und Gefühl als Gestaltungsmittel bewusst einsetzte. Rihm bezog sich dabei immer wieder auf Beethovens Spätwerk, auf dessen lakonische Gestik und Zerrissenheit, die kontrastreichen Affekte, die Knappheit der Formulierung. Bei den Römerbad-Konzerten waren viele dieser Werke mit ihren Rückbezügen und Querverbindungen zu erleben. Wer die Programme der vielen Jahre zurückverfolgt, erkennt unschwer, dass hier eine beispielhafte Musik-Dramaturgie entwickelt worden ist.

Der Entschluss Klaus Lauers, zum Ende seines Wirkens noch einmal das Emerson String Quartet mit dem Beet-hoven-Zyklus einzuladen, hatte denn auch nichts mit einer irgendwie gearteten Klassik-Pflege gemein, sondern fasste quasi sein Engagement, sein „Credo“ für die Musik zusammen: Es gibt keine penibel unterteilte alte, klassische, romantische, neue Musik. Die abendländische Musikgeschichte stellt sich vielmehr als ein großes Kontinuum dar, in das auch die Moderne bis hin zu den jüngsten Hervorbringungen eingebettet ist. Klaus Lauers Römerbad-Konzerte, zunächst womöglich eher aus einer ernsten Liebhaberei entstanden, haben im Laufe der Zeit eine kultur-und musikpolitische Vorbildfunktion gewonnen: Wie man Musik, klassische und moderne, in selbstverständlichem Miteinander an ein interessiertes Publikum vermittelt. Eigentlich müssten Römerbad-Konzerte überall das ganze Jahr über im Umkreis von 50 Kilometern stattfinden.

Die sechs Konzerte jetzt bei den Römerbad-Musiktagen verrieten die langjährige, tiefe Erfahrung der Emerson-Musiker mit Beethovens Quartettschaffen. Gleichwohl gab es – angenehme – Überraschungen. Fiel bei früheren Darstellungen – auch in der Einspielung für die Deutsche Grammophon – eine gewisse, gern als amerikanisch apostrophierte Perfektion auf, die zwangsläufig zu Glätte, einer scheinbaren Leichtigkeit bei der Bewältigung Beethovenscher Widerborstigkeiten führte, so wirkten die meisten Interpretationen jetzt entschieden kraftvoller, kontrastreicher, farbiger und, wo angebracht, auch pointierter als vorher.

Die Emersons lenken jetzt eher von ihrem Können, ihrer Eleganz, ihrem vollen Ton, ihrer scheinbar mühelosen Geschmeidigkeit ab und führen den Zuhörer entschiedener auf Beethovens Sperrigkeiten, Zerrissenheit, auf die strukturellen kompositorischen Details hin. Der Ausdruckswille setzt sich oft überwältigend gegen ein Nur-schön-Spielen durch. Die Große Fuge op. 133, mit vollem Risiko gespielt, erhält so einen erregenden Aufriss, wird mit einer dramatischen Kraft vorgetragen, dass es einem den Atem nimmt. Im Gegensatz dazu können die Emerson-Musiker aber auch mit einer wunderbaren, inneren Ruhe aufwarten, wie in der Cavatina von op. 130 oder im Molto-Adagio-Satz des a-Moll Quartetts op. 132, dem „Dankgesang eines Genesenden“, mit einer Ruhe, die zugleich von einer feinen Innenspannung durchzogen ist.

Dass die Musiker die komplexen Strukturen des op. 131 nicht überspielen, sondern plastisch durchzeichnen, beeindruckte ebenso wie die sublime Entmaterialisierung des letzten Quartetts op. 135. Und das f-Moll Streichquartett op. 95 wurde in der Ausdrucksintensität und Dichte des Musizierens quasi zum geheimen Spätwerk. Die drei Rasumowsky-Quartette op. 59 verfehlten natürlich auch hier ihre Wirkung nicht. Der furiose Finalsatz von op. 59 Nr. 3 entfesselte einen Beifallssturm im Publikum, aber noch kostbarer war die Klangkunst des Emerson-Quartets im Adagio molto von op. 59 Nr. 1, eine der großen Trauermusiken überhaupt.

Übung macht den Meister: das Emerson String Quartet bei einer Probe in Badenweiler. Von links: Eugene Drucker, Philip Setzer, David Finckel und Lawrence Dutton. Foto: Charlotte Oswald

Bild vergrößernÜbung macht den Meister: das Emerson String Quartet bei einer Probe in Badenweiler. Von links: Eugene Drucker, Philip Setzer, David Finckel und Lawrence Dutton. Foto: Charlotte Oswald

In den sechs frühen Streichquartetten op. 18 präsentierte sich das Quartett in blendender Spiellaune. Die Charaktere der einzelnen Sätze wurden plastisch hervorgehoben, gestische Lebendigkeit und spielerische Leichtigkeit inklusive. Nach dem letzten Konzert lauter Jubel und stille Tränen. Für das Emerson String Quartet bedeutete Badenweiler immer so etwas wie eine zweite Heimat im Alten Europa.

Natürlich gab es in Badenweiler auch immer wieder private Diskussionen und Spekulationen über eine Fortsetzung der Römerbad-Musiktage, auch wenn diese nach dem Willen des neuen Hotelbetreibers nicht mehr im Römerbadhotel stattfinden würden. Klaus Lauer hielt sich im Gespräch diskret zurück. Er möchte keine Auseinandersetzungen mit seinem Nachfolger, obwohl er theoretisch und auch vertraglich noch bis 2008/2009 seine Musiktage im Hotel veranstalten könnte. Die Verträge mit den Künstlern für diese Zeit hat er bereits vorsorglich aufgelöst. Es wird nur noch die oben bereits erwähnten zwei Zyklen geben. Badenweilers Bürgermeister würde Lauers Konzerte gern im Ort fortgesetzt wissen. Im Kurhaus wäre ein geeigneter Saal vorhanden, natürlich nicht so schön und elegant wie das Oktogon im Hotel. Aber besser als gar nichts. Nur die Finanzierung würde sich schwieriger gestalten, für den einstigen Hoteleigner Lauer regulierten sich die Kosten zum Teil über eine Umwegfinanzierung mittels Hotelgästen.

Gerhard Rohde

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