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Ausgabe 2007/04
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nmz 2007/04 | Seite 15
56. Jahrgang | April
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Hauptsache vernetzt!

 

Hauptsache vernetzt? Das denken zumindest Studenten, denen man von Kindesbeinen an beigebracht hat, dass zuviel Wissen nur Ballast ist, dass einer allein ohnehin nie so viel wissen kann wie alle zusammmen, dass folglich die Kunst der Zukunft darin besteht, wie und wo man das Wissen der anderen findet und für sich nutzbar macht. In Vor-Web-Zeiten nannte man das „Know how“ oder, noch ein wenig verschämt, „das Lernen lernen“. Heutzutage ist es nicht so schlimm, wenn eine Studentin über all dem Alltags-Stress ihr Referat vergessen hat. Bei Wikipedia findet sich alles Wissenswerte kurz und knapp. Nur schade, dass man die rechte Intonation nicht mehr einstudieren konnte!

Hauptsache vernetzt! Das world wide web ist eine Art Mega-Brain, in dem die Massen der „just in time“-Wissensdurstigen schwimmen wie der spätestens seit Maos Tagen sprichwörtliche Fisch im Wasser. Und auch ein Führer steht bereit: Er hört auf den smarten Namen Google. Denken, forschen heißt heutzutage googeln. Und der selbstbewusste user aller Vorteile der Wissensgesellschaft sagt mit unverkennbarem Stolz: Das habe ich mir alles selbst ergoogelt! Und dass nicht alles auf dem eigenen Mist gewachsen ist, erscheint dem neuen Wissens-Kosmopolitismus als unschätzbarer Vorteil. Man ist Teil eines Netzwerks und hat sich mit seinen frechen Thesen immer schon vorsichtshalber einge„rankt“.

Was altmodische Medienwissenschaftler wie der Salzburger Stefan Weber noch für einen Skandal halten, dass nämlich dreißig Prozent der Magister- und Doktorarbeiten nach „old fashioned“ Kriterien schlicht Plagiate sind, erstellt aus Text-Bausteinen im Netz, das erscheint evaluierten Professoren-Kollegen längst nur noch als Hinweis, dass ihr Forschernachwuchs à la mode tickt: Die Arbeit, die seine Studentin erwiesenermaßen fast vollständig abgeschrieben (hätte man früher gesagt) hat, hält er, wenn ihn die „Süddeutsche“ vom 6. März korrekt zitiert, für „sehr gut und methodisch innovativ“.

„ Creative Industries“, diese neueste Hoffnung des untergehenden Westens, dem schaudert, wenn er daran denkt, dass die besten und preiswertesten Schiffe längst die Koreaner bauen und dass die coolsten T-Shirts und die schärfsten Knoblauch-Körbchen mittlerweile aus China kommen, diese Schmiede des kollektiven Einfallsreichtums produziert nach DIN Norm. Auch das Genie bedarf schließlich der Formatierung. Und wer wird schon so kleinlich sein, darauf zu bestehen, dass die „Webseite irgendeines Wuppertaler Heilpraktikers“ (ebenfalls SZ) in einer wissenschaftlichen Arbeit nichts verloren habe, wo doch nicht tadelnswerte subjektive Willkür, sondern kon-trolliertes Googeln den hoffnungsfrohen Nachwuchs auf seine Spur gesetzt hat.

Alles findet sich im Netz. Und noch dazu unterschiedslos. Das beklagt ein Artikel im Feuilleton derselben SZ-Ausgabe. Kann man, fragt der besorgte Autor, noch von einer „Community“ sprechen, wenn ihr 150 Millionen angehören, die alles, aber auch wirklich alles für vernetzbar halten? Kann und muss man das alles sehen und hören und kommentieren? Versäumt man etwas, wenn man „offline“ ist?

Mit Produkten der „creative industries“, diesem Geistes-Taylorismus des Formats 2.0 verhält es sich wie mit Tomaten aus Holland. Sie sind sehr wässrig, geschmackliche Überraschungen muss man weder erwarten noch befürchten. Wer einen Aufsatz über James Joyces „Ulysses“ auf der Basis von Google-Suchbegriffen verfasst, bekommt „Erkenntnisse“ über James Joyces „Ulysses“ auf der Basis von Google-Suchbegriffen. Niemand sollte sich da wundern oder beschweren. Aber vielleicht liegt die Zukunft des gebeutelten alten Europas nicht in „creative industries“, sondern in feinen Produkten aus biologischem Anbau, nicht vernetzt, nicht formatiert, sondern in raren ökologischen Nischen entstanden.

Wie reagierte schon der unvergleichliche Gauß, wenn man Daniel Kehlmanns Bestseller-Evergreen „Die Vermessung der Welt“ trauen darf (und warum sollte man nicht?!), als ihn Alexander von Humboldt aufforderte, mit der Zeit zu gehen und Mitglied von Akademien und Dauerbesucher von Kongressen zu werden, um, wie man heute sagen würde, „vernetzt“ denken zu können? Wissenschaft, sagte Gauß sinngemäß, sei ein Mann allein an seinem Schreibtisch. Alles andere ist nur heiße Luft beziehungsweise der tückische Feinstaub, den der Hochleistungsdrucker bei seinen Beutezügen im world wide web hinterlässt.

Helmut Hein

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