[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/04 | Seite 1
56. Jahrgang | April
Leitartikel
Die schönste Oper ist die Intendantensuche
Einige Anmerkungen zur Gattung und ihrem Betrieb · Von Gerhard
Rohde
Seit ihrer Erfindung verspürt die Oper das Bedürfnis,
außer dem musikalisch begleiteten Erzählen von dramatischen
Handlungen und Menschenschicksalen auch über sich selbst nachzudenken.
Das begann schon mit ihrer Geburt, als einige Florentiner Musiker überlegten,
wie man die antike Tragödie in Stil und Tonfall reaktivieren
könnte. Das Ergebnis war: eben eine Oper – Peris „Daphne“ oder
danach Monteverdis „Orfeo“, nur als Beispiele. Später
hat dann Gluck mit seinen Reformopern intensiv über das Verhältnis
von Wort und Ton nachgedacht, und Wagner schuf mit seinen Visionen
das Gesamtkunstwerk Oper, das er als Musikdrama klassifizierte.
Liebenswerte, intelligente Nachspiele zum Thema lieferte dann noch
Richard Strauss mit den Autoren Hugo von Hofmannsthal und Clemens
Krauss: „Ariadne auf Naxos“ und „Capriccio“ personifizierten
die Diskussion über Wort, Ton, Theater und Musik mit wunderbar
erfundenen Figuren, die das ästhetische Quidproquo virtuos
in Gesang, Deklamation, Tanz und Bewegung übersetzten.
In unseren heutigen Zeiten wird zwar oft ebenso heftig über „die
Oper“ debattiert, dabei dreht es sich aber kaum noch um ästhetische
Fragen, vielmehr recht profan um den „Opern-Betrieb“.
Ist er zu teuer? Kommt noch genug Publikum? Wie hoch sind die Kasseneinnahmen?
Wann erhöht der Staat (die Kommune) endlich die Subventionen?
Gibt es Sponsoren? Wie wird der nächste Intendant heißen?
Wie der Musikchef? Auf welchen medienwirksamen Star darf man sich
freuen? Und – ganz wichtig: Zeichnet das Fernsehen etwas
auf? Wird es eine DVD geben?
Auf diese Fragen gibt es derzeit einige signifikante Antworten.
Das anschaulichste Bild bietet natürlich wieder einmal die
Opernstadt Wien. Ein neuer Direktor für die Staatsoper muss
gefunden werden. Der „alte“ (Ioan Holender) hat, nicht
ohne Ingrimm, erklärt, dass er nach Ablauf seines bereits
mehrfach verlängerten Vertrages nicht mehr zur Verfügung
stünde. Die Gerüchteküche dampft deshalb mächtig,
das Karussell der Namen und Personen läuft auf Hochtouren.
Der neue Bundeskanzler hat, obwohl zu der Zeit noch gar nicht
gewählt,
einem Tenor Avancen auf den Direktorensessel gemacht. Immerhin
soll er auch mit dem deutschen Dirigenten Christian Thielemann
gesprochen haben, mit dem die Wiener Philharmoniker gerade eine
umjubelte Tournee absolvierten, die sie auch nach Paris führte.
Dort traf man auch den Direktor des Champs-Élysées-Theaters,
Dominique Meyer, den man sich als Direktionspartner von Thielemann
vorstellen könnte. Thielemann und die „Wiener“ schwärmen
gegenseitig vom jeweils anderen in höchsten Tönen. Im übrigen
denken die Philharmoniker wieder einmal über einen Ausstieg
aus ihrem Staatsopernvertrag nach, weil die angemessene Honorierung
ihrer Arbeit zu wünschen übrig und auf sich warten lässt.
Parallel dazu möchte die neue Kulturministerin am liebsten
eine Frau auf den Direktorenthron setzen. Man sieht, es geht rund,
und aus unserer Sicht möchte man zu allem nur sagen, dass
Thielemann sich früher schon in Nürnberg und dann an
der Berliner Deutschen Oper als Generalmusikdirektor nicht gerade
mit Ruhm bedeckt hat. Zur alltäglichen Kärrnerarbeit
an einem Opernhaus, die sich im Fall Wien vor allem auf die Wiederherstellung
des inzwischen arg nivellierten musikalischen Niveaus im Repertoirebetrieb
zu konzentrierten hätte, dürfte der Dirigent kaum große
Neigung verspüren. Immerhin wäre ein Operndirektor Thielemann
noch vorstellbarer als die absurde Tenor-Besetzung des österreichischen
Bundeskanzlers.
Für die Beziehungen zwischen Oper und Fernsehen liefert New
Yorks Metropolitan Opera die bereits konkret gewordene Utopie:
Der neue Met-Chef Peter Gelb lässt seine Opernpremieren in
Dutzende amerikanischer Kinos übertragen, gegen Eintrittsgeld
natürlich. Dabei kommt ein hübsches Sümmchen zusammen.
Soeben hat sich auch München dieser neuen Marketingstrategie
angeschlossen: In einem Kino war die Premiere von Rossinis „Barbier
von Sevilla“ zu erleben, live sogar und abends, denn die
Leute in New York waren so generös, ihre Vorstellung schon
am frühen Nachmittag beginnen zu lassen. Da muss man wohl
dankbar sein.
Dass solche Vermarktung und Vermassung von Opernaufführungen ästhetische
Experimente, sei es mit dem Werk selbst, sei es mit einer unkonventionellen
Inszenierung, wohl weitgehend ausschließt, liegt nahe. Nun
ist ja die Met bekanntlich bei guten musikalischen Standards kein
risikofreudiges Haus: Was szenisch geschieht ist eher bieder, was
wiederum dem Kunstverständnis von Fernseh- und Kino-Kunstverwertern
entgegenkommt, die vorwiegend an Einschaltquoten denken. Von den
szenisch und musikalisch wegweisenden Aufführungen der legendären
Frankfurter Gielen-Ära existiert angeblich und durchaus verständlich
keine Aufzeichnung durch mediale Partner. Für intellektuelle
Höhenflüge besteht in den Anstalten in der Regel wenig
Bedarf, zumindest nicht bei Opern.Um nicht missverstanden zu werden:
Ein Opernhaus muss heute mehr denn je auch an seine ökonomische
Basis denken, an die Vermittlung seiner Aufführungen an ein
neues, an ein junges Publikum. Das geschieht ja auch oft beispielhaft.
Aber das darf nicht bedeuten, dass man seine ästhetischen
und inhaltlichen Positionen aufgibt. Die Stuttgarter Oper unter
Klaus Zehelein hat fünfzehn Jahre demonstriert, was das heißt:
den komplexen und höchst differenzierten Gegenstand „Oper“ mit
hohem Bewusstsein, Intelligenz und zugleich theatralisch-sinnlich
einem neugierigen Publikum zu vermitteln, zu zeigen, wie viel so
verstandene Operndarstellung mit unserer gegenwärtigen Existenz
zu tun hat.
Von diesem Anspruch, den die Oper immer noch und immer wieder
zu stellen vermag, ist man allerdings in Wien und auch auf manch
anderen
größeren Opern-Dampfern weit entfernt. Ein Tenor wird
das kaum ändern. Ein Nachwort zu Wien: Als seinerzeit in Frankfurt
die glanzvolle Dohnànyi-Ära endete, war innerhalb von
vierzehn Tagen der Vertrag mit Michael Gielen geschlossen. Kulturdezernent
Hilmar Hoffmann hatte sich kurz mit einigen Fachleuten besprochen
und sich dann schnell entschieden. So und nur so funktioniert eine
adäquate Besetzung wichtiger Posten in der Kultur. Man muss
natürlich etwas Sachverstand und politische Entschlusskraft
besitzen.