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nmz-archiv
nmz 2007/04 | Seite 5-6
56. Jahrgang | April
Magazin
Der Blick der Radiomacherin
Neue Musik beim Mitteldeutschen Rundfunk: Meret Forster im Gespräch
Seit 2004 engagiert sich Meret Forster als Musikredakteurin beim
MDR mit dem Ressort Neue Musik für die Komponisten und ihre
Werke in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Kürzlich
initiierte sie eine Sendereihe mit Komponistengesprächen und
Musikbeispielen; jeweils ein Landesverband des DKV konnte sich
dabei in einer zweistündigen Sendung präsentieren. Meret
Forster hat Klavier, Musikwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur
und Komparatistik in München, Tübingen, Amsterdam und
Berlin studiert. Sie promovierte über Ernst Krenek und Karl
Kraus. Bevor sie zum MDR kam, war sie feste freie Mitarbeiterin
beim Bayerischen Rundfunk in München.
Chaya
Czernowin (li.) und Meret Forster in Dresden/Hellerau 2006.
Foto: Stefan Forster
neue
musikzeitung: Sie sind Musik-Redakteurin mit dem Ressort
Neue Musik beim Mitteldeutschen Rundfunk. Welches sind Ihre Aufgaben?
Wie wird im Sender „Neue Musik“ definiert?
Meret Forster: Meine Redaktion Neue Musik stützt sich auf
drei Säulen. Da gibt es die wöchentliche Sendung, Donnerstag
Abend, 20 bis 22 Uhr. In dieser Sendung haben Konzertmitschnitte
aus dem Sendegebiet – also Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – Platz,
ebenso Studioproduktionen. In der Sendung sind auch regelmäßig
Gäste im Studio: Persönlichkeiten aus der Neuen Musik-Szene,
also Komponisten, Interpreten oder auch Veranstalter. Und im Gespräch
mit dem Gast werden ausgewählte Musikzuspielungen thematisiert.
Dann gibt es das klassische Komponistenporträt oder auch Features
zu Themen der Neuen Musik.
Die zweite Säule meiner Arbeit sind die Konzertmitschnitte – von
Festivals und Veranstaltungen, die dann in der Sendung (…)
präsentiert werden.
Die dritte Säule ist der Bereich Produktion von Neuer Musik.
Im MDR-Studio finden auch Koproduktionen statt mit CD-Labels oder
mit anderen Rundfunkanstalten, Kammermusik allerdings, weil mein
Budget Grenzen setzt. Ich kann leider keine großen Orchesterwerke
produzieren.
Zur Frage nach der Definition: Mir geht es darum, das, was im
Sendegebiet passiert, widerzuspiegeln. Das ist ja schon eine große ästhetische
Palette von komponierter Neuer Musik über Klanginstallationen
bis zu Neuer Musik, die sich zwischen Filmkunst, Videokunst und
komponierter Musik abspielt. Im Prinzip hat alles Platz, was aktuell
produziert wird. Ich gucke nicht weiter zurück als bis etwa
1950. Aber das ist dann wirklich schon „historische“ Neue
Musik und selten der Fall. Mir geht es vor allem um den Blick auf
die Gegenwart.
nmz: Findet das, was Sie im Rahmen dieser drei Säulen auswählen,
alles in der Sendung am Donnerstag Abend statt oder gibt es weitere
Sendeplätze?
Forster: Nein, es gibt keine weiteren Sendeplätze. Es sei
denn, wir haben eine Themensendung, in der wir Neue Musik platzieren
können oder ein neues Werk findet sich innerhalb einer Konzertübertragung.
Die Neue Musik findet sonst nur an Beitragsplätzen in den
Journalen statt, wenn ich über Geschehnisse des zeitgenössischen
Musiklebens berichte. Das sind dann aber keine ganzen Werke, die
da abgebildet werden können.
nmz: Kommen in Ihrer Sendung ab und zu auch kulturpolitische
Themen vor? Wenn es zum Beispiel über die Gesetzesreform zum Urheberrecht
geht?
Forster: Das sind Themen, die immer mal wieder gestreift werden,
aber nicht im Zentrum stehen. Die kommen eher in den Journalen
vor. Ich lege (…) großen Wert darauf, dass die Neue
Musik, ihre gesellschaftliche Bedeutung und die Diskussion darüber
in den anderen Tagesstrecken thematisiert und nicht nur separat
auf meinen Donnerstag geparkt wird. Gerade zum Urheberrecht habe
ich einen Autor beauftragt, das in einem längeren Beitrag
(…) zu reflektieren und zu diskutieren.
nmz: Welche Bedeutung kommt denn der Neuen Musik innerhalb des
MDR zu? Welchen Stellenwert genießt sie im Sender? Müssen
Sie sich da eher verteidigen oder gibt es „offene Ohren“?
Forster: Innerhalb der Musikabteilung gibt es ein großes
Selbstverständnis. In der ARD können wir ja ziemlich
glücklich sein mit einem Sendeplatz um 20 Uhr. Das steht wirklich
gleichberechtigt neben einer Opernübertragung aus der Semperoper
in Dresden oder neben einem Konzertmitschnitt aus dem Gewandhaus
oder einem Hörspiel. Um die Thematisierung am Tag kämpfe
ich immer wieder, aber auch da finde ich offene Türen. Ich
würde mir die Neue Musik noch mehr im Konzertleben wünschen – auch
im Konzertleben der MDR-Klangkörper, also MDR Rundfunkchor
und MDR Sinfonieorchester. Aber das ist nicht mein Einflussbereich.
Es ist das A und O, die Neue Musik als ganz selbstverständlichen
Teil unseres Musik- und Kulturlebens zu kommunizieren, Neugierde
zu erwecken. Erst wenn man über das, was aktuell komponiert
wird, spricht und die Musik zum Erklingen bringt, kann die Neue
Musik aus der immer wieder angeklagten und inzwischen auch klischeebehafteten
Nische herauskommen. Ich denke, dass gerade der öffentlich-rechtliche
Rundfunk und das Kulturprogramm wie etwa MDR Figaro dazu aufgerufen
ist, Neue Musik zu integrieren, zu spielen, zu kommunizieren, Kontakte
und Netzwerke im Sendegebiet aufzubauen, zu nutzen, zu pflegen.
Das empfinde ich auch als einen ganz wichtigen gesellschaftlichen
Auftrag.
Der Rundfunk galt ja lange Zeit als das wichtigste Medium zum
Transport Neuer Musik. Andererseits fehlt dem Rundfunk ein vielleicht
wichtiges
Moment, nämlich das visuelle. Welche besonderen Möglichkeiten,
welche Methoden hat der Rundfunk, neue – auch schwierige – Musik
zu vermitteln, zu erklären?
Ich denke, dass ein rein innerästhetischer Diskurs über
Neue Musik nicht ausreicht. Wichtig ist das Reden über Produktionsbedingungen, über
Motivation zu einzelnen Stücken, zur Klang-erzeugung, aber
auch die Machart von Kompositionen oder Installationen. Die große
Chance des Radios ist: Man kann das Dilemma auf sich nehmen, über
Musik zu reden. Man kann sie aber auch zum Klingen bringen. Vor
kurzem habe ich eine wunderbare Bemerkung von einem Hörer
per E-Mail bekommen: Das Tolle am Radio sei (…), dass man
sich wirklich darauf einlassen und konzentrieren könne. Das
funktioniert, wenn man davon ausgeht, dass das Radio nicht nur
als Begleitmedium genutzt wird, sondern auch als Medium, das einen
zuhörend
packen kann. Die Konzentration auf das Akustische, auf das, was
eine Klangerzeugung motiviert, kann man in Radioform ohne die
visuelle Komponente tatsächlich sehr gut thematisieren und
widerspiegeln. Gerade mit Hilfe der technischen Neuerungen, also
5.1-, Mehrkanalausstrahlung kann man aus der Klangkunst oder
aus der live-elektronischen Musik wunderbar so etwas wie Raum
abbilden, vorausgesetzt natürlich, die Hörer haben
zu Hause so eine wunderbare Anlage. Das ist natürlich eine
Chance für die Neue Musik, die ja sehr viel mit solchen
technischen Errungenschaften arbeitet.
nmz: Es ist kein Geheimnis, dass die Neue Musik in den öffentlich-rechtlichen
Sendern zurückgeht. Das wird vielfach kritisiert und liegt
wohl daran, dass Intendanten sich verändern, dass das Quotendenken
eine andere Rolle spielt als früher. Das Bewusstsein für
die Notwendigkeit, eine Avantgarde-Kultur zu vermitteln, nimmt
ab. Würden Sie das bestätigen, ist das in allen Sendern
gleich und vor allem: Wie kann man gemeinsam dagegen vorgehen?
Forster: Es ist sicher von Sender zu Sender etwas unterschiedlich.
Als ich 2004 herkam, konnte ich glücklicherweise auf die engagierte
und gute Arbeit von Renate Richter aufbauen. Beim MDR steht die
Neue Musik bisher nicht in Frage oder unter Beschuss. Meine Sendestrecke
zumindest nicht, die Redaktion Neue Musik auch nicht. Auch bei
solchen Sendern wie dem SWR kann man beobachten, dass die Neue
Musik zu einem Vorzeigeprodukt werden kann oder geworden ist. Aber
es ist zu beobachten – und das ist nicht nur zu bedauern,
sondern auch anzuklagen – dass sich der öffentlich-rechtliche
Rundfunk aus einer Verantwortung zieht, indem Sendestrecken reduziert
(…) oder gar Neue Musik-Redaktionen abgeschafft werden. Ich
denke, ganz wichtig ist es, dass die Hörer mit Bürger-
oder Hörerinitiativen dies zu ihrem Thema machen und an die Öffentlichkeit
gehen. Da gibt es ja zum Beispiel beim NDR die Initiative „Das
Ganze Werk“. In Berlin machen sich Komponisten, aber auch
allgemein kulturinteressierte Hörer bemerkbar und wenden sich
an die Rundfunkanstalten und auch an die Öffentlichkeit. Das
ist ganz wichtig, denn die Rundfunkanstalten gucken durchaus darauf,
was da passiert. Ganz schlimm finde ich es, wenn Neue Musik zum öffentlich-rechtlichen
Alibi wird. Dass man sie eine oder eine halbe Stunde parkt und
denkt, damit ist die Neue Musik bedient und das Soll erfüllt. Öffentlich-rechtlicher
Rundfunk wird nie auf der Zielgerade „Quote“ funktionieren
und ein Kulturprogramm wird immer ein Nischenprogramm sein. Wir
müssen uns da in realistischen Quotendimensionen bewegen.
Quote ist nicht zuletzt auch immer etwas politisch Generiertes.
Das ist besonders bedauerlich in Bezug auf die Neue Musik.