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nmz-archiv
nmz 2007/04 | Seite 16
56. Jahrgang | April
Forum Musikpädagogik
Maurice Ravels Bolero in Bewegung, Bild und Raum
Die Bamberger Symphoniker luden zu einem musikalisch-visuellen
Gemeinschaftsprojekt ein
Auf Einladung der Bamberger Symphoniker und ihres Chefdirigenten
Jonathan Nott erarbeiteten etwa 75 Schülerinnen und Schüler
der Städtischen Musikschule Bamberg im Alter von zehn bis
zwölf Jahren ein musik- und tanzpädagogisches Projekt
zu Maurice Ravels Bolero.
Unter Anleitung von drei Dozenten des Studiengangs Elementare
Musikpädagogik
der Nürnberger Musikhochschule, Doris Hamann,
Michael Forster und Monika Utasi, trafen sich die Teilnehmer an
vier Workshop-Samstagen und präsentierten die Ergebnisse in
einem „open rehearsal“ in der Konzerthalle Bamberg
einem großen Publikum. „Was waren das für tolle
Töne, was waren das für farbenfrohe Bilder, die sich
dem Besucher am Samstagvormittag beim Eintritt ins Foyer der Konzerthalle
offenbarten! Die Melodie war bekannt, der ,Bolero‘ ließ grüßen.
Auf Podesten durch den Raum und auf die Ebenen verteilt, stimmten
hier die vier Streicher, dort ein Trompeter und oben auf der Zwischenempore
die Oboe die vertrauten Motive an.“ (Fränkischer Tag,
Bamberg).
Das Neue daran: Angeregt von dem spanischen Tanz hatten die Kinder
die musikalischen Elemente ins Bildnerische transportiert und zeichneten
nun, neben ihren im Workshop entstandenen „Kunstwerken“ in
einer Art Klanggalerie, den Pinsel in der Hand, einzelne Orchestermitglieder
zur Seite, in der Luft die Bewegungen nach, ein bisschen fast,
als dirigierten sie.
Im weiteren Verlauf der Workshop-Präsentation stellte zunächst
Chefdirigent Jonathan Nott den Bolero in kurzen Auszügen sehr
anschaulich vor. Zusammengetragen in einem „Kaleidoskop“ zeigten
dann die ganz in schwarz gekleideten, barfüßig das Orchester
umzingelnden Musikschüler verschiedene Formationen, Sprünge,
Bewegungen im Takt des Tanzes, Einblicke in das, was sie während
der Tage mit dem „Bolero“ erlebt hatten. Sie hatten
den „Bolero“ nicht nur gehört, sondern Grundstimmungen
und musikalische Elemente aus dem Stück in der Bewegung dargestellt
und auf die Leinwand gebracht, rhythmische Strukturen selbst musiziert
und gemeinsam eine Choreographie erarbeitet, die die große
Steigerung des Werkes sichtbar und erlebbar macht.
Hier tauchten auch erstmals die großen gelben Fächer
auf, die von den Kindern selbst gebaut worden waren und in der
Choreographie zum Einsatz kamen. Angeregt von verwendeten Materialien,
beispielsweise einfachen Holzleisten, oder durch Wortspielereien à la „Bobobolero“ ist
darüberhinaus aber auch eigene Musik entstanden.
Nicht zuletzt der so prägnante Grundrhythmus, der sich durch
das ganze Werk zieht, wurde von den Kindern beeindruckend zu Gehör
gebracht, mit Sticks auf den Metallgeländern
von den Galerien der Konzerthalle herab.
Im letzten Teil kam nun endlich der Bolero in seiner Gesamtlänge
zur Aufführung, gespielt von den Bamberger Symphonikern, von
den Kindern gestaltet als Tanz mit den Fächern. Der Aufbau
des Stückes, das „große Crescendo“ hatte
die Pädagogen dazu inspiriert, ein Spiel-Objekt zu suchen,
mit dem das große Finale beeindruckend ins Bild gesetzt werden
konnte. So entstand die Idee mit dem Fächer: Zum kaum hörbaren
Beginn zunächst in ruhigen Bewegungsmotiven schwebend, bot
er später Möglichkeit für verschiedenste Bewegungsmuster
und Raumwirkungen. „Zum großen klangmächtigen
Finale öffneten die Schüler vor dem Orchester und auch
vor der Orgel ihre weiten Fächer. Stürmischer Beifall,
gut fünf Minuten lang, Johlen und Pfeifen. Eine einmalige
Sache fürwahr, dieses Projekt „Buenos dias, Bolero“.
Hoffen wir, dass noch viele Encores folgen mögen.“ (Fränkischer
Tag, Bamberg).
Alle bekannten Arbeitsbereiche aus der Elementaren Musikpädagogik
sind hier zum Einsatz gekommen: Singen und Sprechen, Elementares
Instrumentalspiel, Bewegung und Tanz, Musikhören, Musiklehre
und Instrumenteninformation. Die Erarbeitungsschritte folgten der
methodischen Kette „Sensibilisierung – Exploration – Improvisation – Gestaltung“:
In der Sensibilisierung findet ein erster Kontakt statt mit den
vielfältigen Materialien, erste Erfahrungen mit den Bausteinen
der Musik oder den Raumwirkungen. Einige Beispiele: Gleich zu Beginn
wird der riesige Raum der Konzerthalle mit all seinen Treppen,
Galerien und Sitzreihen von den Kindern in verschiedenen freien
Bewegungs- und „Stop and go“-Spielen „erlaufen“ und
so in seiner ganzen Größe erlebt. Später werden
in einer Pinselmassage zunächst der Puls, dann Melodiebögen
der Musik auf dem eigenen Körper wahrgenommen, beziehungsweise
im Partnerspiel auf den Rücken des Partners gezeichnet.
In der Explorationphase werden alle Handlungsmöglichkeiten
erforscht, die ein Material liefern kann: Welche Klänge verstecken
sich in den Holzleisten, wie klingen sie gegeneinander geschlagen,
wie auf der Holzbühne des Konzertsaals? Welche Bewegungen
sind mit dem Fächer möglich? Wie sieht es aus, wenn ...?
In der Improvisationsphase werden zusätzliche Inputs verarbeitet,
Spielregeln ordnen die optischen Wirkungen, Spielanweisungen wie „Slow-motion“ oder „Nacheinander-Öffnen
der Fächer im Puls der Musik“ führen zu ersten
wirkungsvollen Bausteinen und Motiven, die in der Choreographie
verarbeitet werden.
In der Phase der Gestaltung kommt es zu einer Festlegung, zur
Bildung einer Reihenfolge, eines Ablaufs, der zwar wiederholbar
ist, aber
dennoch voller improvisatorischer Freiheiten bleiben kann. So wird
beispielsweise der gesamte erste Teil des Fächertanzes, in
dem die Kinder zunächst versunken hinter den aufgespannten
Fächern auf dem Boden knien, sich dann nach und nach aufrichten
und von der Bühne bewegen, bis zum Ende improvisiert nach
den beiden Spielregeln „Slow-motion“ und „ich
werde dein Schatten“ (bedeutet das Aufgreifen von Bewegungmotiven,
die man bei einem anderen Kind sieht). Diese Art zu arbeiten erfordert
von den Pädagogen ein hohes Maß an Flexibilität, an Bereitschaft,
sich auf den Prozess einzulassen, auch ein großes Repertoire
an weiterführenden Spielregeln und Inputs, die aus dem Entstandenen
weiter entwickelt werden. Es handelt sich eben nicht um das Erarbeiten
einer bereits festgelegten Choreographie oder musikalischen Gestaltung,
sondern um eine stetige Wechselwirkung von Inputs und Ergebnissen.
In intensiven Nachbereitungsphasen der einzelnen Workshoptage ist
so eine Konzeption gewachsen, die bis zur Aufführung in Bewegung
blieb.
Sehr beeindruckend war auch die Bereitschaft der Musiker, die
an der Klanggalerie beteiligt waren, sich auf diese bewegliche
Konzeption
einzulassen: Im Vorfeld hatten sie verschiedene Aufgaben bekommen,
mit dem Tonmaterial des Musikstücks improvisatorisch zu arbeiten.
Die Besucher sollten hier auf vielfältigste Art und Weise
angesprochen werden und eine gewisse Vorbereitung auf das Geschehen
auf der Bühne erleben. Dabei konnten sie Parallelen zwischen
dem Bild, den Pinselbewegungen des Kindes und den Motiven der Musik
erkennen. Durch die Verantwortung des Kindes, wann etwas zu hören
sein würde, wurde es mit dem Musiker zum Komponisten für
die im Raum entstehende Klangkomposition. Um es mit den Worten
des Orchestermanagers der Bamberger Symphoniker, Marcus Rudolf
Axt, zu sagen: „... was in diesen vier Probenwochenenden
passiert ist, ist wirklich erstaunlich!“