nmz 2007/04 | Seite 24
56. Jahrgang | April
Musikbildung
Meisterkurse in einzigartiger Atmosphäre
25 Jahre Internationale Musikbegegnungsstätte Haus Marteau
In einer Villa in Lichtenberg, im obersten Norden Bayerns an
der Grenze zu Thüringen gelegen, bietet der Bezirk Oberfranken
seit 1982 der hochbegabten musikalischen Jugend aus aller Welt
Meisterkurse in einer einzigartigen Atmosphäre. Was anfangs
von verschiedener Seite mit Skepsis gesehen wurde, erweist sich
im Rückblick als Erfolgsgeschichte.
Glauben Sie wirklich, dass da jemand hinkommt?“, wurde Prof.
Günther Weiß, seinerzeit Vizepräsident der Hochschule
für Musik und Theater München und Ideengeber für
Haus Marteau, bei der Eröffnung im Oktober 1982 vom damaligen
bayerischen Kultusminister Prof. Hans Maier zweifelnd, wenngleich
mit erkennbarer Sympathie für das Projekt, gefragt.
In der Tat schienen Bedenken mit Blick auf die Ausgangssituation
durchaus angebracht: Da hatte mit dem Bezirk Oberfranken eine kommunale
Gebietskörperschaft eine ansehnliche Künstlervilla, errichtet
1911 bis 1913, mit einem Großteil des ursprünglichen
Inventars von den Erben übernommen und wollte damit die Jeunesses
musicale zu hochrangigen Meisterkursen in einen versteckten Winkel
Frankens, noch dazu direkt an den verminten Eisernen Vorhang, locken,
obendrein angesichts einer recht schlechten Verkehrsanbindung.
Doch Weiß, von seinen Visionen überzeugt und von einem
kaum zu trübenden Optimismus beseelt, ließ sich zu keiner
Zeit entmutigen und stellte sein erstes Programm mit Hilfe ihm
gut bekannter Kollegen zusammen. Einige davon kamen wohl mehr aus
Sympathie zu einem lieben Kollegen, den man bei einem ehrgeizigen
Projekt unterstützen wollte, als aus innerer Überzeugung
(Prof. Weiß verstarb, als dieser Beitrag schon in der Redaktion
war, am 12. März 2007 nach schwerer Krankheit; Würdigung
folgt in einem eigenen Beitrag).
Für die meisten wurde aber die Begegnung mit dem Haus zur
Liebe auf den ersten Blick. Den anfangs überwiegend Münchner
und Würzburger Professorinnen und Professoren wurde schnell
offenbar, dass die für den neuen Zweck zwischen 1980 und 1982
zurückhaltend umgebaute Villa im Heimatstil mit ihrem hochwertigen
Interieur und ihrer familiären Atmosphäre ein geradezu
ideales Umfeld für hochkonzentriertes, ungestörtes Arbeiten
bietet. In der deutschen, später in der europäischen
Musikszene sprach sich dies rasch herum, so dass Günther Weiß bald
keine Probleme mehr hatte, ein vielseitiges Kursangebot mit einer
zunehmend internationalen, stets hochkarätigen Dozentenschaft
zusammenzustellen. Der Künstlerische Leiter hatte jedoch von
Beginn an ein Augenmerk darauf, dass auch die Region von dieser
besonderen Bildungseinrichtung profitieren solle. So beherbergt
das Haus neben den Meisterkursen auch musikalische Fortbildungskurse
für Lehrer sowie geschlossene Intensivwochenenden oberfränkischer
Musikschulklassen. Weiterhin gründete Weiß 1984 das
Jugendsymphonieorchester Oberfranken, das gegenwärtig von
GMD Raoul Grüneis, Regensburg, geleitet wird.
Den Kern jedoch bilden die Meisterkurse. Weiß führte
damit im Grunde das fort, was der Erbauer und Namensgeber des Hauses,
der Geigenvirtuose Henri Marteau (1874–1934), vor gut neun
Jahrzehnten begründet hat. Marteau, damals als Nachfolger
des großen Joseph Joachim Professor an der Berliner Musikhochschule,
ließ sich das Lichtenberger Haus als Sommersitz für
sich und seine Familie bauen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es
allerdings Hauptwohnsitz. Als französischer Staatsbürger
und Reserveoffizier wurde Marteau nämlich mit Ausbruch des
Ersten Weltkrieges interniert, seines Lehrstuhls enthoben und konnte
erst nach eineinhalbjähriger Odyssee durch verschiedene Gefangenenlager
in sein Haus nach Lichtenberg zurückkehren, wo er unter Hausarrest
stand. Die Villa aus der Zeit, als Marteau weltweit gefeierter
Künstler war, blieb auch nach 1918 Lebensmittelpunkt und Basisstation
seines Wirkens. Gebrochen von seinem Schicksal in den Kriegsjahren,
konnte er in den folgenden knapp zwei Lebensjahrzehnten jedoch
nicht mehr an seine künstlerischen Erfolge anknüpfen.
Als Pädagoge genoss er freilich weiterhin einen exzellenten
Ruf. Seine begabtesten Schülerinnen und Schüler lud er
fortan zu Sommerakademien in sein Landhaus nach Lichtenberg ein.
Unterkunft fanden sie in Privathaushalten, so dass der Klang übender
Musikstudenten im Sommer in den Gassen des kleinen Städtchens
zu hören war. Als Dank für die Gastfreundschaft der Lichtenberger
Familien veranstaltete Marteau zum Abschluss seiner Sommerkurse
jeweils ein öffentliches Konzert in seinem Haus.
Diese Grundstruktur übernahm Günther Weiß für
sein bis heute gültiges Konzept. Seit Herbst 1982 finden in
Haus Marteau pro Kursjahr etwa 40 Meisterkurse statt, die meist
fünf Tage dauern. Dabei logieren die jungen Musikerinnen und
Musiker überwiegend in Privatpensionen und erfreuen die Umgebung
zum Abschluss der Kurse wie früher mit öffentlichen Konzerten
im Haus. Mittlerweile waren junge Menschen aus allen Kontinenten
der Erde zu Kursen in Lichtenberg.
Neben der Pflege und Weiterentwicklung des pädagogischen Erbes
von Henri Marteau bemüht sich der Bezirk Oberfranken, den
kulturhistorischen Hintergrund von Haus Marteau aufzuarbeiten und
der interessierten Öffentlichkeit zu vermitteln. In der Musik-
abteilung der Bayerischen Staatsbibliothek befindet sich der Hauptteil
des Nachlasses von Henri Marteau, im Wesentlichen seine Kompositionen
und kaum überschaubare Korrespondenz mit den Größen
seiner Zeit aus Kultur und Politik. Einzelne seiner Kompositionen
wurden inzwischen teilweise mehrfach auf Tonträger eingespielt
und zählen zum Repertoire einiger namhafter Künstler.
Marteaus aufregende und von Brüchen gezeichnete Lebensgeschichte
hat Günther Weiß 2002 in einer Monographie nachgezeichnet.
Eine Edition des Briefwechsels zwischen Marteau und Max Reger wird
demnächst eindrucksvoll dokumentieren, wie wichtig der weltberühmte
Interpret zwischen 1904 und 1910 für die Akzeptanz des um
Anerkennung ringenden Komponisten Max Reger war. Marteau war der
erste Geiger von Weltrang, der das Reger’sche Werk fest in
sein Repertoire aufnahm und mit dem hervorragenden Pianisten Reger
zahlreiche Konzerte bestritt.
In umfassender Weise pflegt also der Bezirk Oberfranken, finanziell
unterstützt von der Oberfrankenstiftung und vom Freistaat
Bayern, das Erbe eines bedeutenden Künstlers und Pädagogen,
der ein Stück europäischer Musikgeschichte mitgeschrieben
hat.
Die großartige Resonanz, die das Kursangebot von Haus Marteau
gegenwärtig erfährt, stimmt zuversichtlich, mit dieser
Grundidee den Betrieb des Hauses auch in den nächsten Jahren
erfolgreich gestalten zu können. So werden in diesem stimmungsvollen
Kleinod an der Nahtstelle zwischen Frankenwald und Thüringer
Wald noch viele hochbegabte Musikerinnen und Musiker aus aller
Welt wichtige Impulse für eine erfolgreiche Karriere bekommen.
Kontakt
Bezirk Oberfranken
Verwaltung der Internationalen Musikbegegnungsstätte Haus
Marteau
Ludwigstr. 20, 95444 Bayreuth
Tel. 0921/604 16 08, Fax 0921/604 16 06
E-Mail: info@haus-marteau.de
Kursprogramm und weitere Infos
unter: www.haus-marteau.de