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nmz-archiv
nmz 2007/04 | Seite 47
56. Jahrgang | April
Bücher
Das Klavier im Bann von vier Händen
Ein Kompendium zur Geschichte der vierhändigen Klaviermusik
Klaus Börner: Handbuch der Klavierliteratur zu vier Händen, Atlantis Musikbuch-Verlag, Zürich/Mainz 2005, 535 S., € 39,95,
ISBN 3-254-00265-2
Der Atlantis Musikbuch-Verlag präsentiert ein neues Buch
zum Thema Klavierliteratur. Nach dem sehr verdienstvollen, in mehreren
Auflagen erschienenen Handbuch der Klavierliteratur zu zwei Händen
von Klaus Wolters, überrascht nun Klaus Börner mit der
längst überfälligen, hoch willkommenen Geschichte
der Literatur für vier Hände an einem Klavier. Er öffnet
einem Augen und Sinn für den Umfang und die Vielfalt dieses
Genres, das einst Teil der Hausmusik war und sich mittlerweile
zu einer vollwertigen, wenn auch schwierigen Konzertdisziplin entwickelt
hat und auch auf CD zunehmend zur Geltung kommt.
Bisher informierten vor allem die vom Umfang her begrenzten,
mehr oder minder respektablen Darstellungen in verschiedenen Konzertführern
und Lexika. Ganzer/Kusche, Vierhändig (1937) machte den Anfang,
Georgii, Klaviermusik (1965), der Reclam Klaviermusik Führer
(1967, zuletzt1996, 2003) und der beachtliche Harenberg Klaviermusikführer
(1998) folgten. Lexikalische Bestandsaufnahmen bieten Hollfelders
erfolgreiches Buch, Die Klaviermusik (1989, 1999) und im englischen
Sprachraum Ferguson, Keyboard Duets (1995) sowie McGraw, Piano
Duet Repertoire (1981). Börner stützt sich auf die bibliographisch
nahezu kompletten Angaben von McGraw, begrenzt den riesigen Stoff
jedoch auf alles, was – vom heutigen Standpunkt her gesehen – vertretbar
ist, und was er einsehen und einbeziehen konnte: aktuelle und vergriffene
Verlagspublikationen, Materialien in Archiven und Bibliotheken,
die von dort möglicherweise beschafft werden konnten.
Die Werke von über 500 Komponisten aus etwa 30 Ländern
und vier Jahrhunderten werden vorgestellt, von den englischen Virginalisten
der Renaissancezeit bis zu zeitgenössischen Komponisten Ende
des 20. Jahrhunderts. Der Bogen spannt sich von den Hauptvertretern
der vierhändigen Literatur: Mozart, J. Chr. Bach, Diabelli,
Czerny, Schubert, Schumann, Brahms, Dvorak und Reger bis hin zu
Debussy, Strawinsky, Hindemith, Poulenc, Françaix und Krenek.
Dazu gesellt sich die erstaunlich große Schar der Komponisten,
die nur wenig für Klavier vierhändig schrieben oder schlichtwegs
unbekannt sind. Eine musikalische Lanze bricht Börner oft
für die unterschätzten Parallelmeister, darunter Johann
Wilhelm Wilms, ein Zeitgenosse Beethovens.
Von neueren deutschen Komponisten und ihren Werken aus dem letzten
Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts seien erwähnt – um die
Spannweite und die Aktualität des Angebots punktuell zu beleuchten – Klaus
Börner selbst, Hans-Jürgen von Bose, Otfried Büsing,
Dieter Büwen, Reinhard Febel, Michael Hagemann, Giselher Klebe,
Norbert Laufer, Martin Christoph Redel und Stefan Tuschewitzki.
Klaus Börners Erfahrungen als Konzertpianist, Hochschullehrer,
Komponist und Juror kommen seinen Darstellungen der Spielliteratur
bestens zugute. Die Sprache ist klar und elegant. Komplexe Zusammenhänge
erschließen sich mühelos.
Börner bietet gut nachvollziehbare Analysen zum Werk, treffende
Wertungen, Notenbeispiele, Hinweise zur Spieltechnik, Angaben zum
Schwierigkeitsgrad mit Berücksichtigung von Primo- und Secundo
Part. Hilfreich natürlich erweisen sich die bibliographischen
Daten, wie Lebenszeiten, Opus- und Werkverzeichniszahlen, Bezugsquellen
oder Standorthinweise aller Art. Auf die Angabe von Spielzeiten,
sicherlich ein heikles Unterfangen, mochte er sich jedoch nicht
einlassen.
Einzelne kulturhistorische Exkurse verdeutlichen den Entwicklungsprozess
der vierhändigen Klaviermusik, vor allem die unterschiedliche
Akzeptanz in den jeweiligen Epochen.
Der Anhang bringt, mit besagten Angaben versehen, die immens
wichtige Unterrichtsliteratur, Kinder-, Volks- und Weihnachtslieder,
praktische
Sammelbände mit originaler und nicht originaler Literatur,
außerdem Werke aus dem Bereich Rock, Pop, Jazz, die immer
mehr Eingang finden in die Vorspielpraxis, zum Beispiel bei „Jugend
musiziert“. Der große Bereich der Transkriptionen und
Bearbeitungen, der ebenfalls zunehmend den Weg ins Repertoire gefunden
hat, erfährt lediglich eine tabellarische, jedoch umfangreiche
Würdigung. Eine komplette, ausführliche Darstellung bliebe
wohl einer gesonderten Veröffentlichung vorbehalten. Selbstverständlich
gibt es eine kurze Bibliographie und ein Personenregister.
Börners Kompendium darf als Pflichtlektüre für Pianisten,
Pädagogen und Musikliebhaber empfohlen werden. Es wird sicherlich
helfen die Disziplin Klaviermusik zu vier Händen an einem
Klavier noch besser erfassen und erfahren zu können, als es
bisher der Fall war.