[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/04 | Seite 28
56. Jahrgang | April
Jeunesses Musicales Deutschland
Aus Klängen werden Bilder werden Klänge
Berliner Philharmoniker erhielten den „junge ohren preis
2006“
George Benjamins Orchesterkomposition „Ringed by the Flat
Horizon“: Ein Werk, das angeregt wurde durch ein Gedicht
und eine Fotografie. Eine hochkomplexe, zeitgenössische Komposition,
deren ästhetische Grundlage das Prinzip der Transformation
ist: Zwischen den einzelnen Kunstformen, zwischen unterschiedlichen
Graden von Spannung.
Nichts für Kinder? – Aber sicher doch: Beim Education-Projekt „MusicART – Blitzlichter“ der
Berliner Philharmoniker wurde „Ringed by the Flat Horizon“ für
insgesamt 72 Schüler aus drei Berliner Schulen zum Ausgangspunkt
für eigene künstlerische Transformationsprozesse. Die
Kinder ließen sich von Benjamins Musik inspirieren – und
fanden dabei im Verlauf einer insgesamt sechswöchigen Arbeitsphase
eigene Bilder und Klänge, immer in Beziehung zum Werk George
Benjamins. Bis hin zur Genese einer eigenen, multimedialen Komposition,
die am 5. Mai 2006 im Otto-Braun-Saal der Berliner Staatsbibliothek
uraufgeführt wurde – unmittelbar vor einem Konzert der
Berliner Philharmoniker, in dem auch „Ringed by the Flat
Horizon“ auf dem Programm stand.
Den Entstehungsprozess eines Wer-kes schöpferisch nachzuvollziehen
ohne dabei ins Imitieren der berühmten Vorbilder zu verfallen – dieser
Grundsatz prägt generell die Musikvermittlungsarbeit von Zukunft@BPhil,
der Education-Abteilung der Berliner Philharmoniker. Das Projekt
MusicART – Blitzlichter wurde nun mit dem „junge ohren
preis 2006“ ausgezeichnet. Im Rahmen der Preisverleihung
am 22. Februar 2007 im Foyer der Berliner Philharmonie durch den
Generalsekretär der Jeunesses Musicales, Dr. Ulrich Wüster,
und den Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung,
Gerald Mertens, hatten die Gäste die Gelegenheit, den Entstehungsprozess
des Projekts und das abschließende Konzert in einer Filmdokumentation
nachzuerleben:
Begonnen hatte alles in der Bernd-Ryke-Grundschule mit meterlangen
Papierbahnen an den Wänden und auf dem Fußboden, mit
unzähligen Farbflaschen, mit Plexiglas-Tafeln. Mit George
Benjamins Musik von CD. Wieder und wieder erfüllen die Klänge
den Raum. Unter der Anleitung der Bühnen- und Kostümbildnerin
Adriane Westerbarkey lassen sich 42 Spandauer Grundschüler
immer tiefer auf die Farben, die Bewegungsintensitäten und
Helligkeitskontraste der Komposition ein. Auch aufeinander lassen
sich die Schüler ein: Nicht nur, weil immer mehrere Kinder
gemeinsam nach den Klängen malen und sich auf diese Weise
ihre Assoziationen überlagern und ergänzen. Sondern auch,
weil hier zum ersten mal die eine Schülergruppe ein gemeinsames
Projekt mit ihren Nachbarn erlebt, mit zwanzig Schülern, die
ein sonderpädagogisches Förderzentrum mit dem Schwerpunkt „Geistige
Entwicklung“ besuchen.
Die Filmemacherin Anna Henckel-Donnersmarck dokumentiert die
Entstehungsprozesse von insgesamt 18 Bildern auf Plexiglas. Dieses
Kunst-Video bildet
die Inspirationsquelle für den zweiten Teil des Projektes:
30 Siebtklässler des Sophie-Charlotte-Gymnasiums stehen jetzt
vor der Aufgabe, eigene Klänge und Formverläufe zu entwickeln,
angeregt durch die Farb- und Formkomposition auf dem Videoband.
Unter der künstlerischen Leitung von Catherine Milliken, der
Leiterin von Zukunft@BPhil, und unterstützt von den Berliner
Philharmonikern Franz Schindlbeck, Ludwig Quandt und Stan-ley Dodds
entsteht ein neues Musikstück.
Bei der Aufführung von MusicART – Blitzlichter vereinigen
sich dann beide Kunstformen: Im Hintergrund läuft die Großprojektion
des Films, davor musizieren die Schüler gemeinsam mit ihren „großen
Kollegen“ von den Berliner Philharmonikern.
Ein anspruchsvolles Projekt mit einem künstlerisch hochwertigen
Resultat: „George Benjamin besuchte die Generalprobe des
Projekts und war tief beeindruckt von der Hingabe der Schüler
als ausführende junge Musiker und Komponisten“ erinnert
sich Catherine Milliken. Vielleicht ist der hohe ästhetische
Anspruch ja das Geheimnis des pädagogischen Erfolgs: Die Schüler
fühlen sich ernstgenommen – und auch die Berliner Philharmoniker
erleben jedes Projekt als Bereicherung. Wie etwa Stanley Dodds: „Komposition
ist natürlich etwas, was mich sehr interessiert, aber ich
mache das sonst nicht. Und hier sind wir die Wege gegangen, die
ein Komponist auch gehen würde, wenn er eine solche Aufgabe
bekommen würde!“