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nmz-archiv
nmz 2007/07 | Seite 7
56. Jahrgang | Juli/Aug.
www.beckmesser.de
Welch eine Wendung
Da sich seit drei Monaten offenbar niemand mehr über die Beckmesser-Kolumne
geärgert hat, sei das Folgende als Versuch gedacht, diesem
beunruhigenden Zustand etwas abzuhelfen. Willkommener Anlass ist
eine Repertoire-Inszenierung der „Arabella“ in Zürich,
die nun mit der umjubelten Renée Fleming in der Hauptrolle
wieder auf die Bühne kam. Die bejahrte Regie von Götz
Friedrich ist von solid-realistischem Zuschnitt und hat sich über
die Jahre hinweg überraschend gut gehalten.
Die psychologisch labilen Befindlichkeiten der zerfallenden Wiener
Gesellschaft um 1860, die Strauss und sein Librettist Hofmannsthal
in diesem Sittenbild schildern, hat Friedrich mit präzisem
Blick erfasst. Seine Regie denunziert die Figuren nicht, sondern
zeigt ihre gefährdete Gefühlswelt als letzten Ort, wo
reine Liebe und Menschlichkeit noch möglich sind. Sich gegenseitig
annehmen und aneinander glauben, verspricht sich das Liebespaar
Arabella/Mandryka am Schluss. Es ist der Rettungsanker für
ihre beinahe zerbrochene Beziehung, und nach den vorangegangenen
Turbulenzen kehrt wieder Hoffnung ein. Wir sind gerade noch einmal
davongekommen. Ein typischer Opernschluss? Gewiss, sagt da der
aufgeklärte intellektuelle Kleinbürger von heute mit
milder Ironie, aber darüber sind wir doch längst hinaus.
Was interessiert mich diese vorgestrige Story mit der Gefühlswelt
einer untergehenden Aristokratie? Und Militantere, falls sie in
die Oper gingen, würden sich über die Handlung vermutlich
schwarz ärgern. Widerspricht hier doch alles den Grundsätzen
der Gleichberechtigung der Geschlechter, wie sie heute verkündet,
eingeklagt und in Gesetze gegossen werden.
Einige Kostproben gefällig? Arabella für sich, in Vorahnung: „Aber
der Richtige – wenn’s einen gibt für mich auf
dieser Welt – der wird einmal dastehn ... und keine Zweifel
werden sein und keine Fragen, und selig werd’ ich sein und
gehorsam wie ein Kind.“ Mandryka über seine baldige
Verbindung mit Arabella: „Es handelt sich für mich um
etwas Heiliges.“ Arabella zu Mandryka: „Und du wirst
mein Gebieter sein, und ich dir untertan. Dein Haus wird mein Haus
sein, in deinem Grab will ich mit dir begraben sein – so
gebe ich mich dir auf Zeit und Ewigkeit.“
Aber nun reicht’s! Hier wird doch hemmungslos reaktionäres
Gedankengut gepredigt! Die Frau am Herd, und das im Zeitalter des
Krippenausbaus! Noch nie was gehört von mehrfach codierten
Beziehungen und Lebensabschnitts-partnern? Frauengehorsam und Ewigkeit!
Und dann die Uraufführung, Dresden 1933, schon nach der faschistischen
Machtergreifung: typisch für diesen Opportunisten! Strauss,
setzen, sechs! (Hofmannsthal muss nur zehn Kniebeugen machen, der
ist schon 1929 gestorben.)
Aus der Sicht heutiger EU-Normen mag das zutreffen. Nur kümmert
sich leider das Kunstwerk nicht darum. Die Musik hebt den psychologisch
raffiniert gebauten Text in eine Kunsthöhe, wo solche gesellschaftsbezogenen
Einwände nicht nur wirkungslos verpuffen, sondern wo auch
das, wogegen sie sich richten, wieder völlig überzeugend
daherkommt. Ein richtiger Akkord, eine melodische Wendung, und
alle mühsam verdrängten Empfindungen werden im Nu wieder
lebendig. Die Tabus schmelzen dahin, das Publikum erkennt in der
Musik seine eigenen heimlichen Sehnsüchte, und die Suggestion
der reinen Liebe, wie sie sich in der Figur der Arabella verkörpert,
lässt alle kritischen Theorien alt aussehen. So einfach ist
das manchmal. Da kann man mit Mutter Adelaide nur noch sagen: Oh
Theodor, welch eine Wendung!