Monatelang hatte ich Angst. Ich konnte förmlich spüren,
wie sie ihre Kontingente vor dem G8-Gipfel zusammenzogen, diese
Pop-Moralisten. Was die sich immer in die Politik einmischen! George
W. Bush fuhrwerkt doch auch nicht an 50 Cents neuem Album rum.
Okay, Gerhard Schröder produzierte die letzten Alben der Scorpions,
aber sonst? Und doch waren sie wieder da, die Pop-Generäle
und die „Gegen Alles“-Veteranen, gestützt von
den Sozialstaat-Krücken, getragen von der sich jährlich
erneuernden Idee: Gehortet am Alternativmusikgipfel „Deine
Stimme gegen Armut“ für zwei Euro fünfzig Eintritt.
Eingepfercht an der Speaker’s Corner der ehemaligen SBZ,
Hyde-Bad Heiligendamm.
Vorneweg Bob Geldorf, allmählich Petrus beim letzten Abendmahl ähnelnd,
und Bono Vox, der Erlöser und U2-Sänger auf 400 Euro
Basis. Im Schlepptau eine Pilgerschar, in der alle das Gleiche
wollen aber verschieden murmeln. Und sich unter Polizeischutz bei
McDonalds anstellen statt das Schwein um die Ecke biogerecht zu
zerlegen und abzuhängen.
Dabei auch Grönemeyer (beim Konzert), der Hobby-Psychologe,
der was ändern, „aber nicht mit Politikern reden möchte,
weil die sich nur mit einem schmücken wollen“. Dann
doch lieber Werfen als Reden? Hinter Herbie dürfen gnädigerweise
Sportfreunde Stiller, die Toten Hosen oder die Fantastischen Vier
dagegen sein. Weil man annimmt, dass die schon immer gegen alles
waren. Letztes Jahr waren sie alle noch für das globalisierte
Deutschland, aber das war ja ein Sommermärchen.
Doch vor lauter politischen Ideen schien
den Musikzaren Geldorf und Bono die Attitüde abhanden zu kommen.
Geldorf etwa, der für einen Tag den Chefredakteur der BILD
mimte. Hinter der ein
an der Globalisierung uninteressierter Konzern steht, der mit Profitmaximierung
nichts am Hut hat. Andererseits: Drücken Sie Geldorf mal eine
Gitarre in die Hand. Eher verstört wird er fragen, wo er unterschreiben
soll. Ähnlich Bono, der sich an „Stone-Coal“ Angie
die gefletschten Zähne abbaggerte. Knallhart ließ sie
ihn abblitzen. Richtig
so. Uns Deutsche braucht die Welt doch nur, wenn’s ums Zahlen
geht. Dann sind wir Partner, dann soll die Solidaritätsbörse
geöffnet werden. Deprimiert hat sich Bono aus dem Seebad getrollt
und wird leise fluchend das Attribut der „German Nazis“ neu
geschnitzt haben. Man könnte es Bono auch schreiend beibringen: „Deutschland
ist bettelarm,
wir werfen also den ersten Stein“! Dass Bono im Februar 2007
Mitbegründer einer amerikanischen Beteiligungsgesellschaft
wurde, die den vom Biologen Müntefering entdeckten Heuschrecken-Funds ähnelt,
wurde von seinem Musikkabinett wohl als diplomatische Immunität
gewertet.
Und dass die Veranstaltung aus Lütten-Klein (1992 warfen in
der Nähe zu Lichtenberg Jugendliche Brandsätze in Wohnheime,
in denen Afrikaner und Asiaten lebten) per Internetstream durch
die Welt gejagt wurde, und so den Familienbetrieben AOL oder Microsoft
ein paar Kröten mehr aufs Benefizkonto spülte, störte
am Ende keinen mehr. Was mich aber störte: Nicht eine ehemalige
DDR-Band durfte auf die Bühne. So selbstverliebt und radikal
sind die Westdeutschen. Globalisierung findet nicht in Deutschland
statt. Unsere Globalisierung endet an der Mauer.