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nmz-archiv
nmz 2007/07 | Seite 12
56. Jahrgang | Juli/Aug.
Nachschlag
Hey Joe
Wir werden es nie erfahren. Gemunkelt wird, es sei der 11. Juni
(das dürfte feststehen) 1929 oder 1930 oder … Offiziell
aber ist im Passvermerk 1927 angegeben – und da man im
jetzigen bürokratielastigen Deutschland einen Menschen mehr
nach seinen Daten als nach seinen Taten beurteilt, ist dies offiziell
Sanktionierte auch Anlass zur Gratulation zum virtuellen Achtzigsten.
Es geht um Josef Anton Riedl, geboren in München, Sohn einer
jüdischen Mutter, was die Verwirrung um das Geburtsjahr erklärt.
Denn sie musste vor den Nazis fliehen und brachte den Sohn in einer
Klosterschule unter, wofür er etwas älter sein musste.
Später dann mag das Datum wieder fatal geworden sein, denn
im Verzweiflungskampf um den Endsieg wurden gegen Ende des Krieges
auch Jugendliche und Kinder in den Krieg geschickt. Vielleicht
wurde man in diesem Umfeld wieder auf Riedl aufmerksam, kurz vor
Kriegsende jedenfalls wurde er von den Nationalsozialisten aufgegriffen.
Die Amerikaner aber retteten ihn, Riedl kam nach Frankreich und
nach Algerien und kehrte dann 1947 wieder nach Deutschland zurück.
Ein Satz von Georg Büchner hat Riedl immer beschäftigt.
Er könnte auch über seinem Leben stehen: „Vielleicht
ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so.“
In der Tat ist Josef Anton Riedl schwer zu fassen. Eines aber
steht fest: Er war immer ganz vorne mit dabei. Kaum wieder in München
(das war also vor 60 Jahren!) mischte er sich ungestüm in
die Auseinandersetzungen um eine radikal neue Musiksprache. Die
Klänge, so war allgemeiner Konsens unter den jungen Komponisten,
sollten von allen Schlacken des Gestrigen gereinigt sein. Keine
Espressivo-Dünste sollten in ihnen wabern, sie sollten für
sich stehen, nackt und klar und ohne Geste eines vom Menschen ok-troyierten
Ausdrucks. Hierbei wurde an mehren Strängen gezogen: die abstrakten
Formulierungen Weberns (die freilich nicht so abstrakt waren, wie
man es damals sah), die Schlagzeugmusik eines Varèse, die
Welt der elektronischen Klänge, schließlich das Denken
von John Cage, der die Klänge und Geräusche über
Zufallsmanipulationen vom menschlichen Zugriff befreite. All dies
hatte das Merkmal des Experimentellen, das für Riedl bis heute
bestimmend blieb. Schon bald (das Gymnasium musste noch abgeschlossen
werden, danach studierte er an der Münchner Musikhochschule)
umgab er sich mit dem Equipment eines elektronischen Studios und
begann, beeinflusst zunächst von der Musique Concrète
eines Pierre Schaeffer, dann von den Versuchen mit rein elektronisch
generierten Klängen,
selbst elektronische Werke zu komponieren.
Andere für ihn bedeutende Ansätze waren Rhythmusversuche
mit Schlagzeug, auch mit dem Klatschen der Hände oder auf
einfachen Materialien, dann die Auseinandersetzung mit Sprachklängen
auf abstrakter Basis. Zusammenarbeit mit Theater und Film (z.B.
mit Edgar Reitz) ließ schon in den 60er-Jahren Techniken
ahnen, die heute freilich als Multi-Media schon wieder die Schrammen
des Entertainments bekommen haben.
Jugend, das war für Riedl immer ein ausschlaggebender Begriff.
Schon 1950
gründete er zusammen mit Herbert Barth, Eckhart Rohlfs und
Reiner Bredemeyer die deutsche Sektion der Jeunesses Musicales
in der Überzeugung, dass Kultur immer aufbauen muss auf den
Umsturzideen der jungen Menschen (das Gefühl für Tradition
stellt sich dann von selbst ein). Und so begleitete Riedl schon
seit den späten 50er-Jahren die Münchner musica viva
durch eine Parallelreihe für experimentelle Musik: zunächst „Neue
Musik München“, später dann „Klangaktionen“.
Die gibt es heute noch und sie ist, das ist Eigendefinition des
Experiments, über fast ein halbes Jahrhundert lang jung geblieben.
Wie auch Riedl in seiner Unermüdlichkeit. Wer auf diese Art
jung bleibt, für den spielt das Geburtsjahr wohl keine Rolle.
Wir sagen Danke.