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nmz-archiv
nmz 2007/07 | Seite 1
56. Jahrgang | Juli/Aug.
Leitartikel
Aussterbende Magier, gestrenge Sachwalter
Das Bild des Dirigenten wandelt sich mit der Musik unserer Gegenwart · Von
Gerhard Rohde
Über den – oder die – Dirigenten wird gern etwas geschrieben.
Oft sogar dicke Bücher, in denen dann meist nur zu lesen ist,
was man ohnehin schon weiß. Der Dirigent, von dem dabei die
Rede ist, entstammt in der Regel dem neunzehnten Jahrhundert, dem
späten vor allem. Die Großsinfonik verlangte nach einer
Person, die in den Orchesterfluten den Überblick behielt.
Mit den Strudeln stieg auch die Person nach oben: sie wurde zum
Magier. Irgendwann wurde dieser Magier dann zur Hauptsache. Der
Komponist diente ihm lediglich zur eigenen Erhebung.
Michael
Gielen probt mit dem SWR Sinfonieorchester in Freiburg.
Lesen Sie die Würdigung zu seinem 80. Geburtstag auf Seite 35.
Foto: Charlotte Oswald
Die Reihe der großen Dirigentenpersönlichkeiten ist
lang: Im
vorletzten Jahrhundert verbanden sich viele Namen mit dem Werk
Richard Wagners. Dann kamen die Furtwängler, Walter, Knappertsbusch,
um nur einige zu nennen. Die traditionelle Dirigentenaura bewahrten
noch, wieder
nur als Beispiele, ein Karajan, Bernstein, Solti knapp bis zur
Jahrtausendwende. Dann begann das große Klagen: Wo sind die
neuen „großen Dirigenten“, die faszinierenden
Persönlichkeiten, die Orchester wie Publikum zu bannen vermögen?
Sollte man noch Altmeister wie Kurt Masur (siehe nächste Seite)
oder Herbert Blomstedt, die beide jetzt im Juli ihren achtzigsten
Geburtstag feiern, zu den Magiern zählen? Am 20. Juli 2007
wird auch Michael Gielen achtzig – dazu die Würdigung
seines Schaffens auf Seite 35 dieser Ausgabe. Gielen ein Magier?
Womöglich auch Pierre Boulez? Der Begriff des Magiers hat
ausgedient. Dirigenten wie Gielen oder Boulez inszenieren sich
nicht als Hohepriester. Sie entfalten die Magie des Werkes aus
diesem selbst: mit höchstmöglicher Genauigkeit der Interpretation.
Ausdruck, Spannung, Klangfarben ergeben sich aus der exakten Realisierung
der Partitur. Um die in ihr notierten Gesten und Bewegungen in
lebendigen Klang umzusetzen, bedarf es keiner pathetisch-selbstverliebt
auftrumpfenden Gebärde, wie sie vielleicht noch das Publikum
liebt, sondern klare Zeichen für die Musiker, damit diese
in erster Linie die Absichten des Komponisten möglichst vollständig
und beredt wiedergeben.
Dieses Ablenken von der eigenen Person und das Hinlenken der
Aufmerksamkeit auf das jeweilige Werk beherrschen Dirigenten wie
Gielen oder Boulez
perfekt. Der interpretatorische Ansatz folgt aus der intensiven
geistigen Durchdringung der kompositorischen Strukturen. Dass diese
Durchdringung immer auch eine hohe emotionale Innenspannung bewirkt,
dafür haben besonders diese beiden Dirigenten, die zugleich
auch renommierte Komponisten sind, im Laufe ihres Musikerlebens überwältigende
Beispiele geliefert.
Das Aussterben der Pultmagier– das vielleicht letzte Exemplar: ChristianThielemann – hängt
natürlich auch mit dem Entstehen der Neuen Musik zusammen.
Die Partituren der modernen Komponisten bieten oft eigenwillige
Notationen, die erst einmal genau gelesen sein wollen, um sie entsprechend
in „Klang“ verwandeln zu können. Es kennzeichnet
das künstlerische Format eines Gielen, eines Boulez, auch
eines Hans Zender, dass sie ihre Lese-Fähigkeiten nicht nur
der Neuen Musik zukommen lassen, sondern auch zum Vorteil der Partituren
von Klassik und Romantik einsetzen. Gielens Auseinandersetzung
mit Beethovens Sinfonik gehört zum Aufregendsten in der Interpretationsgeschichte
dieses Komponisten. Dass eine solche Doppel-Kompetenz nicht unbedingt
die Doppelbegabung Komponist/Dirigent voraussetzt, dafür stehen
Dirigenten wie Lothar Zagrosek, Sylvain Cambreling oder Ingo Metzmacher.
Wer Cambrelings Messiaen-Interpretationen mit dem SWR-Sinfonieorchester
gehört hat, weiß, wovon die Rede ist. Da hecheln die
ach so gerühmten Starorchester nur noch hinterher. Cambreling
aber hat auch einen großartigen „Ring des Nibelungen“ dirigiert
(in Brüssel und Frankfurt), Verdis „Simon Boccanegra“ und
jetzt in Paris „La Traviata“. Das nur als Beispiele.
Ein neuer Dirigententyp hat sich mit der Gründung und wachsenden
Bedeutung der Spezialensembles für Neue Musik herausgebildet:
Ensemble Intercontemporain, Ensemble Modern, Klangforum Wien, Schönberg-Ensemble
Amsterdam – auch dies nur Beispiele. Sie haben in der Regel
keinen festen Dirigenten, aber sie arbeiten mit hochqualifizierten
Musikern zusammen. Einige Namen: Peter Rundel, Johannes Kalitzke
(der auch komponiert), Stefan Asbury, Arturo Tamayo. Ein hervorragender
Sachwalter als Avantgarde-Dirigent ist auch der Komponist Beat
Furrer.
Alle diese Dirigenten vereint bei allen Unterschieden des Temperaments
die Enthaltsamkeit von Pultstar und Magier. Sie agieren mit ihren
Musikern als Primus inter pares, führen sich nicht als machtgierige
Egozentriker auf, sondern wollen nur dem jeweiligen Werk die größtmögliche
perfekte Realisierung zukommmen lassen. Es ist eine schon fast
alte Weisheit, dass die Akzeptanz Neuer Musik entscheidend von
der Qualität der Interpretation abhängt. Routinierte
Pultstars, die mit ihren Renommierorchestern gelegentlich etwas
Neues eher hinschmieren als durchgestalten, schaden der Neuen Musik
nur.
Außer den aussterbenden Magiern und den uneitlen Sachwaltern
gibt es noch eine Gruppe von Dirigenten, die vor allem an ihrer
Machtentfaltung bosseln. Ein besonders griffiges Exempel dafür
ist derzeit in Leipzig zu studieren. Dort hat man dem Opernintendanten
kurzfristig den Stuhl vor die Tür gesetzt, angeblich, und
alles spricht dafür, weil der amtierende Generalmusikdirektor
die Stadt Leizpig vor die Wahl stellte: Er oder ich. Natürlich
entschieden sich in Kulturdingen meist ungebildete Politiker für
den „weltberühmten“ Dirigenten Riccardo Chailly
und gegen den die Leipziger Oper mühsam wieder stabilisierenden
Franzosen Henri Maier, dem es nach dem Exodus des Publikums in
der sicher höchst spannenden Zimmermann-Ära (viele Uraufführungen
und viel Modernes) gelang, die Leipziger Opernfreunde wieder stärker
ins Theater zu locken. Von Maier zu verlangen, überregionale
Aufmerksamkeit zu erregen und seitens der Stadt gleichzeitig die
Oper finanziell auszutrocknen, beweist einmal mehr, wie schwachsinnig
Kulturpolitik sein kann. Fast empfindet man Schadenfreude darüber,
dass Leipzig nun dem Opernintendanten noch bis 2011 das Gehalt
weiter zahlen muss, weil man ihm seinen Vertrag noch 2006 um fünf
Jahre verlängerte. Und Riccardo Chailly?
In der Oper hat er erst einmal mit mäßigem Erfolg eine
Premiere (Verdis „Maskenball“) geleitet. Die Aufspielerei
ist einfach unerträglich, und den Leipzigern wäre es
zu gönnen, dass der Dirigent irgendwann demnächst nach
Mailand übersiedelt, wo Mutis Scala-Lücke zu füllen
ist.
Leider hatte Chailly ja etwas vorschnell in Leipzig abgeschlossen.
So sind sie eben manchmal auch: Die Dirigenten.