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nmz-archiv
nmz 2007/07 | Seite 9
56. Jahrgang | Juli/Aug.
Magazin
Meine Heimat ist meine Musik – sie war immer bei mir
Späte Rückkehr nach Berlin: ein Porträt der Komponistin
Ursula Mamlok · Von Isabel Herzfeld
Gleich mehrere „terrae incognitae“ gilt es hier zu
beackern: Als Jüdin, die vor den Nazis fliehen musste, gehört
Ursula Mamlok zu der ins Unübersehbare wachsenden Zahl vergessener
und verdrängter, neu zu entdeckender Komponisten, denen die
Musikgeschichtsschreibung Rehabilitation schuldet. Seit ihrem 17.
Lebensjahr in New York lebend, Schülerin von Roger Session
und Stefan Wolpe, die ihre persönliche Sprache in den Sechziger
Jahren fand, ist sie als integraler Bestandteil der hierzulande
immer noch wenig erschlossenen US-Musikszene wahrzunehmen. Als
komponierende Frau ist die 1923 Geborene zumindest als Pionierin
und vielleicht immer noch als exotische Pflanze im männlich überwucherten
Komponistendschungel anzusehen. Schließlich erweckt noch
der Umstand Interesse, dass Ursula Mamlok vor etwa einem Jahr in
ihre Geburtsstadt Berlin zurückgekehrt ist, um von dort aus
die Verbreitung ihrer Werke zu betreiben – und unermüdlich
weiterzukomponieren.
Zurück
in Berlin, der Stadt ihrer Kindheit: Ursula Mamlok. Foto:
Martina Brand
Doch das Besondere der Komponistin Ursula Mamlok ist damit nicht
zu fassen: Es zeigt sich in der pragmatisch-leidenschaftlichen
Durchsetzung des Ziels, sich ausschließlich der Musik zu
widmen, was gerade angesichts eines vom Naziterror überschatteten
Lebenswegs erstaunt. Wie ein unsichtbarer Schutzmantel scheint
die Musik sie umhüllt und von allen Gefahren abgeschirmt zu
haben. Schon die Vierjährige spielte ihre Kinderlieder auf
dem Klavier, nachdem sie ihren Schlager spielenden Onkel beobachtet
hatte – und zwar mit allen zugehörigen Begleitakkorden.
Zum Schlüsselerlebnis wurde eine Grammophonaufnahme mit Mozarts „Kleiner
Nachtmusik“ – „ich wusste sofort, das war ‚meine‘ Musik“.
Da war es ein Unglück, dass ein Arzt das Kind als „zu
nervös“ für den Klavierunterricht befand. Als Ursula
ihn sich endlich bei einem qualifizierten Lehrer erkämpft
hatte, war es für eine Pianistenlaufbahn zu spät; umso
wichtiger wurde die Komposition. Die kleinen Stücke, die sie
erfand, ohne Noten lesen zu können, hatte ihre erste Klavierlehrerin
Emily Weißgerber für sie aufgezeichnet.
Von den zunehmenden Beeinträchtigungen des Alltagslebens ließ sich
das junge Mädchen nicht beirren: „Als jüdischen
Kindern der Schulbesuch verboten wurde, habe ich mich sehr gefreut,
denn jetzt hatte ich mehr Zeit zum Klavierüben.“ Auch
die Berufsschule, in der sie „Bettenmachen und andere uninteressante
Dinge“ erlernen sollte, musste sie bald wieder verlassen.
Von da an besuchte sie keine Schule mehr, stürzte sich ausschließlich
auf den Musikunterricht und in das Berliner Konzertleben. Öffentliche
Konzertbesuche waren für Juden bereits verboten. Waghalsig
auch das Unterfangen, mit einer Freundin Bücher und Noten
aus Wohnungen zu holen, die jüdische Nachbarn Hals über
Kopf verlassen mussten. Mamlok hat sie heute noch, ebenso wie ihre
Sammlung von Konzertprogrammen und -karten, für die sich bereits
die Berliner Akademie der Künste interessiert, und natürlich
ihr Tagebuch. „Ich hätte da sehr interessante Sachen
reinschreiben können, aber ich war mir schon als Kind bewusst,
wie vorsichtig man sein musste in dieser Zeit. Trotzdem konnte
ich einiges festhalten.“
Die Geschehnisse der Reichspogromnacht zum Beispiel, nach der
die Familie endlich zur Ausreise bereit war. Die „Wahl“ fiel
auf Ecuador, denn von dort hatte sich wie zufällig ein Vetter
gemeldet, der Papiere und Geld für die Überfahrt zu beschaffen
half. Mamlok schiffte sich mit Noten und Klavier ein; mit ihrem
Lehrer Gustav Ernest führte sie die Unterrichtsstunden per „Schiffskorrespondenz“ – was
jeweils sechswöchige Wartezeiten bedeutet – bis zu dessen
Emigration nach Holland weiter. Im sumpfigen, feuchtheißen
Guayaquil arbeitete sie unter unvorstellbaren Bedingungen, am von
Kakerlaken und Moskitos umschwirrten Klavier. Es war zuvor mit
speziellen Chemikalien „tropenfest“ gemacht worden,
um nicht sofort den Insekten zum Fraße zu fallen. Sie litt
unter der kunstfernen Atmosphäre und bewarb sich um Aufnahme
an der Mannes School of Music in New York. Da sie nicht zu einer
Prüfung erscheinen konnte, musste sie ihre Kompositionen einschicken – ein
riskantes Unterfangen, denn sie besaß nur die mit Bleistift
geschriebenen Originale.
Lehrjahre in New York
Mamlok setzte es durch, mit 17 Jahren allein nach New York fahren
zu dürfen. Dort ging der Kampf weiter, um den richtigen Lehrer,
die persönliche Musiksprache. Mit dem Dirigenten George Szell
verlief der Weg zunächst weiter konservativ. Wie in Berlin
schrieb sie tonale Werke, Sonaten und Streichquartette, Stilkopien
von Meisterwerken eben, in denen Quintparallelen oder ein verdoppelter
Leitton eine Katastrophe waren. Erst in einem Sommerkurs des legendären
Black Mountain College machte sie die Erfahrung, dass Musik auch
ganz anders klingen konnte. Bisher hatte sie eher neoklassisch,
in Richtung Hindemith oder Bartók, komponiert. Jetzt erlebte
sie Schönbergs Zwölftonrevolution; und Roger Sessions
ermutigte sie, alles zu vergessen, was sie über Harmonielehre
und Kontrapunkt wusste, zu komponieren, was sie „im Ohr“ habe.
Als erste zwölftönige Komposition entstanden 1961 die „Variations“ für
Flöte solo, ein im neuen Idiom erstaunlich sicheres Werk – als
hätte Mamlok nie anders geschrieben –, das den archaisch-pastoralen
Charakter des Instruments wirkungsvoll in gespanntere, rhythmisch
erregtere Bereiche überführt und die ganze Ernsthaftigkeit
mit einigen vorwitzigen Schleifern und schrillen Spitzentönen
garniert. Die rhythmische Freiheit und Reichhaltigkeit, die der
Komponistin erklärtermaßen so sehr am Herzen liegen,
entwickelte sie jedoch in vollem Ausmaß erst bei Stefan Wolpe – obwohl
der querköpfige Schönberg-Schüler ihr gar nicht
lag und sie den Unterricht bei ihm nach kurzer Zeit wieder aufgeben
musste. Der Meister tobte: Noch nie war es vorgekommen, dass ein
Schüler ihn verlassen hatte. Der Wolpe-Schüler Ralph
Shapey war dann endlich der Lehrer, bei dem Mamloks Temperament
und architektonische Zielstrebigkeit, ihr unbestechlicher Sinn
für Klangfarbe und Proportion zur vollen Eigenständigkeit
ausreifen konnten.
Filigrane Schreibweisen
Mamloks Werkverzeichnis weist etwa 75 Opera auf, überwiegend
Kammermusik, die im Auftrag diverser New Yorker Ensembles entstand.
Die Aufführung war ihr auch als Newcomerin sicher, und sie
sind auf CDs gut dokumentiert. Dass öfter verschiedene Instrumentalfassungen
existieren, zeugt vom selbstkritischen Sinn der Verfasserin, die
Komponieren „immer schwerer“ findet, „je länger
man es macht“.
Der Anspruch, immer wieder etwas Neues erfinden zu müssen,
belastet sie auch emotionell. Zur Zeit schreibt sie einen neuen
langsamen Satz für ihr „Concert Piece For Four“ (auch
ihre Stückbezeichnungen erinnern zuweilen an Wolpe), weil
ihr der alte „plötzlich nicht mehr gefiel“. Insgesamt
legte sie einen langen Weg von expressiver, weit ausgreifender
Melodik – deren zwölftöniger Gestus immer frei
war – zu immer stärkerer Reduktion des Materials und
Konzen-tration auf seine rhythmischen Variationsmöglichkeiten
zurück. Dabei bildete sich ein besonderer Typ des Schnell-Langsam-Kontrastes
heraus, in dem hektische, splittrige Bewegung zu fast unbewegten,
nur noch die Farbe rhythmisch wechselnden Klangflächen gerinnt.
Das Streichquartett Nr. 2 von 1998 ist dafür ein eindrucksvolles
Beispiel; eigenartig, wie durch die abstrakte Materialbehandlung
die Aura der Gattung immer noch ausdruckshaft durchschimmert – eine
Frage der Interpretation? Fili-gran ist ihre Schreibweise auch
in den wenigen Orchesterwerken: „Constellations“ für
großes Orchester (1993) kann sich trotz vitaler Klangballungen
nicht genug tun an feinen, kleinen „Concertino“-Einsprengseln,
beredten Kadenzen gleich, für erlesene Bläser-Schlagwerk-Kombinationen.
Das vokale Werk
Besonders eindringlich zeigt sich Mamloks Kunst des sparsam-intensiven
Ausdrucks in den Vokalwerken „Stray Birds“ (1963) und „Der
Andreas Garten“ (1987). Beide Stücke sprechen von Bedrohung
unter der Oberfläche intakter Natur, „flüchtige
Schönheit gegen Wolken“, wie dies im Gedicht des Ehemanns
Gerard Mamlok ausgedrückt ist. Die Komponistin handhabt dies äußerst
diskret, deutet die zweite Schicht der Texte nur zart an. Denn
vordergründig ist ihre Musik eher „dekorativ“ und
elegant, handwerklich äußerst versiert, geistreich im
selbstzweckhaften Spiel geschliffener Formen und Figuren, wie auch
die Komponistin jede außermusikalische Beeinflussung abstreitet.
Sie beruft sich ganz auf die klassische Tradition, die bei Schönberg
und den Serialisten ihre Zuspitzung erhielt. So bezieht sie auch
Inspirationen aus zweckfreiem Spiel auf ihrem „Graph Paper“,
gleichmäßige Einteilungen auf Millimeterpapier und ihre
Irritationen oder auch aus der Improvisation mit ausgewählten
Tonhöhen, sehr visuell geprägt. Das erinnert wieder an
das Kind Ursula, das Klavier spielte, „wie andere mit Puppen
spielten“. „Zufallsmusik“ oder variable Notation
würde Mamlok aber nie schreiben; eher erinnert das Verfahren
an gewisse Formen des malerischen „informel“, (die
sich in den USA als „Action Painting“ zeigten), des
gelenkten und gestalteten Zufalls. Nicht von ungefähr bewundert
sie Ligeti. „Mein Leben besteht aus Zufällen“,
meint die Komponistin denn auch. Sie benutzt hier allerdings das
englische Wort „chance“, die Gestaltungsmöglichkeit
dessen, was sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort ereignete.
Die Rückkehr nach Berlin war auch so eine schnelle, am Schopf
ergriffene Gelegenheit, „vor der mich alle gewarnt hatten“.
Ursprünglich wollte auch sie das Land, aus dem sie „rausgeschmissen“ wurde,
nicht mehr betreten. Aber die anfängliche Skepsis auf Geschäftsreisen
ihres Mannes wich der für Mamlok typischen Aufgeschlossenheit
und Vorurteilslosigkeit. Doch auch wenn sie die Stadt ihrer Kindheit
stellenweise wieder erkennt – ein Gefühl von „Heimat“ will
sich noch lange nicht einstellen. „Meine Heimat ist meine
Musik. Sie war immer bei mir.“
Isabel Herzfeld
Diskographie
Music Of Ursula Mamlok
„Constellations” für Orchester (1993)
„Polarities” für Flöte, Violine, Cello und Klavier
(1995)
„Der Andreas Garten“ für Sopran, Flöte und Harfe
(1987)
„Girasol“ für Flöte, Klarinette, Violine, Viola,
Cello und Klavier (1990)
„String Quartet“ Nr. 2 (1998)
CRI CD 806
American Masters – Ursula Mamlok
„Panta Rhei“ für Violine, Cello und Klavier (1981)
„Variations For Solo Flute” (1961)
„When Summer Sang” für Flöte, Klarinette, Violine,
Violoncello und Klavier (1980)
„Stray Birds“ für Sopran, Flöte und Cello (1963)
„Sextet” für Flöte. Klarinette, Bassklarinette,
Violine, Kontrabass und Klavier
CRI CD 891
„American Women Composers“
„From My Garden” für Violine solo (1983)
„Designs für Violine und Klavier (1962)
„Sonata“ für Violine und Klavier (1988)
Gasparo GSCD – 300
„Cantata Based On The First Psalm“ für Sopran,
Alt, Tenor, Bass Chorsolisten, Klavier oder Orgel (1956)
Naxos 8.559445