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nmz-archiv
nmz 2007/07 | Seite 5
56. Jahrgang | Juli/Aug.
Magazin
Das wichtigste Album der Pop-Geschichte
Auch nach 40 Jahren streitet man noch über „Sergeant
Pepper“ und spielt die Songs nach
Die „Swinging sixties“ waren ein rasches Jahrzehnt.
In kürzester Zeit veränderte sich fast alles. Es kam
zwar nicht zur großen Revolution, von der manche ein wenig
leichtsinnig träumten, aber Lebensformen, Alltagskultur, Kunst
machten eine so heftige Metamorphose durch, dass, wer 1965 für
einen langen Schlaf die Augen schloss, 1968 das meiste nicht wiedererkannt
hätte.
Das gilt auch und gerade für die Pop-Musik und vor allem für
die wichtigste Band des Jahrzehnts, die Beatles. Es ist ein weiter
Weg von den eingängigen Melodien und der Handmade-Fröhlichkeit
der „love me do“-Ära bis zu den Sound-Finessen
von „Sergeant Pepper“, diesem, wie es meist heißt,
ersten Konzept-Album. Wobei das „Konzept“ bei diesem
Album für die Beatles so etwas ist wie der „Roman“ für
Goethe bei „Wilhelm Meisters Wanderjahren“. Man hat
eine Reihe famoser Einzelstücke (Erzählungen, Maximen
und Reflexionen, Zeitkommentare), was fehlt ist der rote Faden
beziehungsweise der Rahmen; den bastelt man sich notdürftig
zurecht und liefert ihn nach. Im Fall der Beatles funktionierte
das hervorragend: Als der „Rolling Stone“ 2003 nach
den besten Alben der Pop-Geschichte suchte, landete „Sergeant
Pepper“ wie selbstverständlich auf Platz eins. Der Veröffentlichungstermin
(offiziell der 1. Juni ’67) musste vorgezogen werden, weil
einzelne Radio-Stationen schon Wochen vorher die Songs rauf und
runter spielten und die ersten Schwarzpressungen bereits den Markt
verstopften. Im Kontext der wilden 60er-Jahre mit ihrer eher laschen
Haltung in Fragen des (geistigen) Eigentums war solcher „Diebstahl“ das
größte Kompliment. Vielleicht genauso wichtig: die Neugier,
der Respekt der Kollegen. Schon im Jahr des Erscheinens begannen
die Großen der Szene die „Pepper“-Songs ... nein,
nicht nachzuspielen, sondern regelrecht zu analysieren, auseinanderzunehmen
und neu zu interpretieren. Die Beach Boys, psychedelische Surfer
und wie die Beatles beides: gnadenlose Populisten und experimentiersüchtige
Avantgardies, zelebrierten ihre kalifornische Version von „With
a little help from my friends“; das Lied, mit dem Joe Cocker
im Jahr darauf beim Woodstock-Festival zum Welt-Star wurde.
Ein guter Song ist wie ein Mythos: Er verlangt danach, immer
wieder gesungen zu werden; er passt zu vielen neuen Lagen. 1975
etwa,
da gab es die Beatles schon ein halbes Jahrzehnt nicht mehr und
die Hippie-Euphorie des „summer of love“ war dem Mehltau
der Ernüchterung, ja Depression gewichen („no future“),
wurde die Elton-John-Version von „Lucy in the Sky with Diamonds“ zur
Nummer 1. Was ist da passiert? Mutierte da ein angebliches Kinderlied – John
Lennon beschrieb gern, wie er von einer Zeichnung des kleinen Julian
angeregt wurde –, hinter dem aber die meisten immer schon
ein leicht entzifferbares Drogen-Kryptogramm („LSD“)
vermuteten, zur für Hetero-Bedürfnisse leicht maskierten
Hymne der neu-selbstbewussten Schwulen-Community? Bis heute gibt
es zahlreiche „Pepper“-Cover-Versionen, von fast schon
mainstreamig-beatlesnahen bis zu sehr schrägen, undergroundigen,
die im gewollten Abseits das ultimative Potential der Songs ergründen.
Michelle Shocked hat sich an den Beatles versucht, die einstigen
Indie-Heroen Triffids, die Noise-Popper von Sonic Youth und am
wunderbarsten vielleicht der rüde „Fall“-Prophet
Mark E. Smith, den John & Paul wunderlicherweise zu einem Singen
jenseits der üblichen enragierten Nölerei veranlassen.
Rechtzeitig zum vierzigjährigen „Pepper“-Jubiläum
gibt es jetzt auch eins der üblichen „Tribute“-Alben.
Was aber war nun, im Rückblick, das Revolutionäre und
Einzigartige an „Sergeant Pepper“? Das honig-bunte,
aufklappbare, von einem Pop-Artisten gestaltete Cover, auf dem,
John Lennon war wohl die treibende Kraft, die Heroen der Band,
von den üblichen Verdächtigen (Einstein & Co.) bis
zu dem „brave new world“-Romancier und „doors
of perception“-Drogenexperten Aldous Huxley zu sehen waren.
Die amoralische Wahl galt auch Hitler und Jesus, die erst späten
zensierenden Bedenken zum Opfer fielen. War drogenumnebelt und
gurubefeuert alles Pop? Jedenfalls war George Harrison im Winter ’66,
unmittelbar vor den Aufnahme-Sessions aus Indien zurückgekehrt
und steuerte ein wunderbar eingängiges und doch torkelnd-transzendentes,
von Sitar und indischen Klang- und Kompositionswelten zeugendes „Within
You, Without You“ bei. Und Lennon/McCartney legten, in der
Dylan-Nachfolge, jetzt so viel wert auf ihre surreal verfremdeten
Alltags-Lyrics, dass die Songtexte bei „Sergeant Pepper“ erstmals
vollständig auf der Hülle abgedruckt wurden. Ansonsten
war das Album natürlich die überbietende Antwort auf
die experimentelle Phase der Beach Boys („Pet Sounds“)
erfüllt von den Klang-Basteleien des Produzenten George Martin,
die dieser (hauptsächlich, nicht ausschließlich) mithilfe
der Vier-Spur-Geräte in den EMI-Studios in der legendären
Abbey Road schuf. Kein Wunder, dass es auch Stockhausen aufs Cover
schaffte; denn es wurde heftig collagiert und montiert, O-Töne
und 40-köpfige Orchester kamen ins Spiel, Tiere gaben Laut
und Bänder liefen auf schwindelnde Weise rückwärts: „Sergeant
Pepper“, ein großer Sprung für die popverrückte
Menschheit und doch vor allem eine Kollektion herrlicher Songs,
die auch nach 40 Jahren völlig frisch, „staubfrei“ wirken.