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nmz-archiv
nmz 2007/07 | Seite 4
56. Jahrgang | Juli/Aug.
Magazin
Pop in Kirche und Politik
Ein Kampf zwischen Profil und Plattitüde
In den letzten Jahren wurde es immer deutlicher. An der Popmusik
kommt man nicht mehr vorbei, wenn man Politisches oder Religiöses
bewegen möchte. Keine Veranstaltung ohne musikalisches Rahmenprogramm.
Zuletzt am Evangelischen Kirchentag, bei den Live8-Konzerten oder
beim G8-Gipfel in Heiligendamm. Wie sehr Popmusik und ihre Veranstaltungen
da immer ins Bild passen, scheint kaum noch zu interessieren. Denn
letztendlich stehen die Open-Air-Konzerte stets am Ende einer langen
Logik- und Argumentationskette. Aber müsste man nicht schon
viel früher ansetzen, um Menschen, Bürger und Jugendliche
zu sensibilisieren? Sollte nicht bereits in Schulen Vorarbeit geleistet
werden, um Jugendlichen langfristige Entwicklungen aufzuzeigen,
so dass am Ende nicht nur ein platter Schlachtruf, den sie absorbieren
müssen, ertönt, ähnlich Herbert Grönemeyers
missratenen Grußworten zur Eröffnung des „Deine
Stimme gegen Armut“-Konzertes: „Die Politiker werden
sich mächtig ärgern.“ Warum eigentlich, werden
sich viele gefragt haben.
Wise
Guys auf dem Evangelischen Kirchentag in Köln. Foto:
www.kirchentag.net
An diesem Punkt scheint Popmusik ihre Grenzen erreicht zu haben.
Aufklärend kann sie nicht wirken, weil sie dafür nicht
erfunden wurde und argumentativ kommen die Konzerte „für
und gegen etwas“ langsam in Schieflage. Denn man verzahnt
die Musik eines Künstlers nicht selten mit dessen Werten und
Einstellungen. Ist man dann gegen Globalisierung, weil es auch
die Sportfreunde Stiller sind oder ist man für Jesus, weil
Bläck Fööss am Evangelischen Kirchentag auftreten?
Und wie sehr trennen die Künstler ihr Engagement vom durchaus
gerechtfertigten Gedanken, dass sie sich selbst trotzdem als Produkt
verkaufen?
Vom Mittel zum Zweck
Popmusik wurde Mittel zum Zweck. Freilich entbehrt es jeder Grundlage,
den Sportfreunden Stiller zu unterstellen, der Auftritt in Heiligendamm
wäre eine getarnte Promotion für das demnächst erscheinende
Album gewesen. Oder die Fantastischen Vier würden mit ihrem
Heiligendamm-Auftritt noch einmal an das kürzlich veröffentlichte
Album samt Tourneedaten erinnern wollen. Aber so ganz deutlich
wird die Trennlinie eben nie bleiben. Weil es schlicht auch an
Nachhaltigkeit fehlt. Plötzlich tauchen dann Künstler
auf, die man Jahre vorher nie mit der Globalisierungsthematik in
Verbindung gebracht hätte. Diese punktuellen Argumentationen
der Künstler reiben sich mit einer konsequenten Haltung oder
Politik. Niemand weiß ja, wie lange sich die Künstler
mit der Materie beschäftigt haben. Steht deren Meinung auf
festem Fundament, haben sie sich lange damit auseinandergesetzt
oder gar nur eine Studie gelesen, ohne vielleicht die immer wichtige
andere Seite auch einmal in Betracht zu ziehen? Klar, Herbert Grönemeyer
sagt immer wieder mal ein paar Sätze zur politischen Situation
in Deutschland, hat aber seinen Lebensmittelpunkt in den letzten
zehn Jahren nach London verlegt. Und so sieht man sich in allen
Alterslagen mit Parolen von Künstlern konfrontiert, die man
eben so übernimmt, weil man frei davon ausgeht, dass die sich
schon was gedacht haben, wenn sie das in der Öffentlichkeit
verkünden und mit ihrem Namen dafür einstehen. Hinterfragt
wird das längst nicht mehr. Egal ob nun zum G8-Gipfel musiziert
wird oder zur Kinderkrippenplatzsituation in der eigenen Gemeinde.
Die Ziele mögen da stehen als vorgefertigte Formulierung.
Nur der Weg dorthin bleibt verborgen. Und so muss man sich nicht
wundern, wenn Jugendliche in Heiligendamm eher aufs Konzert gehen,
um die Fantastischen Vier für 2,50 Euro live zu erleben und
am Konzertmotto kaum interessiert sind. Denn letztendlich scheint
jede dieser Veranstaltungen mit musikalischem Familienfoto und
dem Song „All you need is Love“ zu enden.
Der ideelle Wert der Musik
Eine entscheidende Frage ist an dieser Stelle, was Popmusik ideell
noch leisten kann? Den immer wieder zitierten Woodstock-Geist wird
man nicht mehr beleben können, selbst wenn Bono laut welt.de
erklärt: „Ich habe Woodstock verpasst, Rostock werde
ich nicht verpassen!“ Das schmeckt natürlich schon nach
Durchhalteparole. Auch weil man weiß, dass die Musik viel
zur Globalisierung beigetragen hat und die Globalisierung der Musik
via Internet neue Türen und Verdienstmöglichkeiten beschert
hat. Es ist ein bizarrer Ritt, den Künstler für ideelle
Ziele in Kauf nehmen. Pendelnd zwischen Glaubwürdigkeit und
Profit-Marionette. In diesem Sumpf hehre Ziele zu pflanzen scheint
mehr als schwierig zu sein. Vor allem weil Popmusik nicht mehr
ein Nebenweiher der Kultur ist, sondern sich verselbstständigt
hat, während sonstige kulturelle Beiwerke wie Kunst noch in
der übrig gebliebenen Suppe schwimmen. Das Profil hat sich
allerdings nicht geschärft, zumindest was die Popmusik betrifft.
Zwar glaubt Bono, dass es „nur drei Bands auf dieser Erde
gibt, die mit ihrer Magie und ihrem Talent die Welt verändern
können“ (Radiohead, R.E.M. und Pearl Jam, Anm. d. Red.),
aber was zu ändern ist und wie, das bleibt weiter verborgen.
Und so werden aus vermeintlich ideellen Zielen ziemlich schnell
konkrete Ziele, die man eben so einsammelt in der Welt der Popmusik.
Man ist gegen Armut, Arbeitslosigkeit oder für Schuldenabbau
und Solidarität. Aber leider eben immer nur am Ende. Nie ohne
kontinuierliche Wegbeschreibung, oder einen Fahrplan, der Jüngeren
deutlich macht, was eigentlich passiert und wie man das ändern
kann. Vielleicht verei-nen sich die ideellen Ambitionen der Künstler
hier mit den Ursachen ihres Erfolges. Dem knallharte, wirtschaftliche
Kalkulationen vorausgingen, oft gepaart mit erzwungenem Glück.
Einfacher gestaltet sich das freilich auf dem Evangelischen Kirchentag.
Wenn Popmusik eher beschaulich präsentiert wird. Mit dem Ziel
gemeinsam glücklich zu sein, als Schlussfolgerungs-Konzert.
Da bekommt man es mit den kleinen Popkünstlern zu tun. Den
A-Cappella-Knaben Wise Guys oder den Bläck Fööss.
Oder der Schauspielerin Katja Riemann, die zusammen mit einer Ethno-Band
auftritt. Die Verbindung zur Kirche und deren ideellen Zielen bleibt
zunächst einmal verborgen. Weil eventuell auch nicht existent.
Man hat den Eindruck, hier werde zuerst argumentiert oder veranschaulicht,
um was es gehen soll. Hat man das dann an Jugendliche, Frauen und
Männer gebracht, geht es ab zum gemeinsamen Feiern. Gerne
auch im Glanz der Popstars, die aber mindestens eine Nummer kleiner
ausfallen als bei der Politik. Die aber wie der Künstler Patrik
Nuo auf Nachfrage dann plötzlich auch etwas zum Thema Kirche
beizutragen haben und zum Thema Sex immerhin vermerken können,
entschieden bis nach der Hochzeit zu warten.
Überhaupt scheint
die Evangelische Kirche popkulturell gewiefter zu sein. Mit der
Band Allee der Kosmonauten propagierten sie 2005 den Slogan „Mit
christlicher Popmusik in die Charts“, allein die Botschaft
wollte beim jugendlichen Konsumenten nicht ankommen. Zwar versucht
es die Kirche nicht so brachial wie die Politik, vielleicht auch
weil man in der Popmusik immer noch eine Verarmung der Kultur und
eine Gefährdung für Jugendliche sieht. Aber wie sind
dann die Musikkonzerte am Evangelischen Kirchentag zu werten? Reines
und teures Beiwerk? Haben die Künstler etwas zur Sache zu
sagen? Fungieren die Künstler als Transmitter für wie
auch immer geartete Botschaften? Man erfährt es nicht. Denn
irgendwann werden die Argumente ausgehen und der Musiker wird als
letzter Strohhalm herangezogen, ganz nach dem Motto „selbst
der Künstler XY unterstützte unsere letzten Vorhaben
und Botschaften mit seiner Anwesenheit am Kirchentag“. Ob
das der Künstler wusste?
Mehr Profil in der Zukunft
Popmusik braucht wieder ein schärferes Profil. Das lässt
sich jedoch nicht erreichen, indem Musik und ihre Künstler
immer nur am Ende der Argumentationskette stehen. Poppolitisches
Engagement ist richtig und wichtig. Aber konzertiert muss es sein.
Denn politisches Engagement bedeutet nicht ausschließlich,
bei großen Events sichtbar zu sein, auch dazwischen muss
Bewusstsein vermittelt werden und auf langfristige Weise zu den
großen Problemen hingeführt werden. Man wünschte
sich von Popmusiker, dass sie ihr Engagement überschaubarer
gestalten. Dass sie aufzeigen, inwieweit und inwiefern sie sich
mit den Thematiken auseinandergesetzt haben. Dass sie klar trennen
zwischen Selbstzweck, der ihnen ohne Zweifel gestattet sein soll,
und Fremdzweck. Und dass man nie die Basis aus den Augen verliert.
Denn es sind die Kinder und Jugendlichen, die in den nächsten
Jahren hinterfragen müssen, wie alles kam. Doch so richtig
mit einbezogen werden Kinder und Jugendliche, die cash-cows der
Popbranche, schon lange nicht mehr. Mit den Eltern geht es eben
zum Kirchentag oder nach Heiligendamm. Warum, wird nie oder erst
in zehn Jahren geklärt. Auch weil es an entsprechender Information
in Schulen fehlt. Die obligatorische Hüpfburg wird als Legitimation
ein weiteres Mal herhalten müssen. Doch noch besteht die Chance,
das Protestprofil der Popmusik zu schärfen und insbesondere
zu verbreitern. Nur so können alle zur selben Zeit am gleichen
Ort abgeholt werden.