In Berlin sollen die Vermittlungsfäden zusammenlaufen
Gerald Mertens über Aufgaben und Ziele des neu gegründeten „netzwerk
junge ohren“
Nach der Gründung eines Vereins im Mai 2007 nimmt das „netzwerk
junge ohren“ (njo) im Sommer seine Arbeit auf. Gerald Mertens,
Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV)
und Vorsitzender des Vereins, sprach mit Barbara Stiller über
die Grundidee des Netzwerks und deren Umsetzung.
neue musikzeitung: Die Idee des
njo besteht schon seit geraumer Zeit. Wie ist es Ihnen gelungen
und welche Schritte waren erforderlich,
um das Vorhaben jetzt in die Tat umzusetzen? Gerald Mertens: Ausgangspunkt war der Kooperationsvertrag
der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) und der Deutschen Orchestervereinigung
vom 29. April 2004: Neben der Initiierung von Orchesterpatenschaften
zwischen Berufs- und Jugendorchestern in der sehr erfolgreichen
Aktion „tutti pro“, neben der Ausschreibung und Vergabe
des „Junge-Ohren“-Preises für hervorragende Musikvermittlungsprojekte
hatten beide Verbände auch die Schaffung eines „Kontaktbüros
Netzwerk Musikvermittlung“ vereinbart. Die Idee wurde unter
anderem von der Bundespolitik begrüßt, Geld wollte man
aber nicht bereitstellen. Nach einer erfolglosen Odyssee durch
verschiedene Förderantragsverfahren haben die DOV und die
Jeunesses entschieden, eine private Finanzierung auf die Beine
zu stellen und hierfür weitere Verbände als Partner zu
gewinnen. Die Deutsche Phonoakademie mit ihrem Vorsitzenden Michael
Haentjes war sofort zur Mitarbeit bereit. Auch der Deutsche Musikverlegerverband
(DMV) und der Verband deutscher Musikschulen (VdM) konnten für
das Projekt begeistert werden. Die Anregungen aus Österreich
und der Schweiz, doch auch diese Länder einzubeziehen, haben
wir gerne aufgegriffen und mit dem Schweizerischen Musikerverband
(SMV) und der österreichischen Kulturgewerkschaft zwei internationale
Partner eingebunden. Gründungsmitglied ist schließlich
auch die Landesmusikakademie Berlin. Besonders dankbar bin ich
dem Beirat der GVL, der uns im Februar 2007 eine namhafte Anschubfinanzierung
für
die Grundausstattung und den Aufbau der Netzwerkstruktur gewährt
hat. Diese Hilfestellung war mit eine wesentliche Voraussetzung
für unsere Vereinsgründung am 7. Mai 2007 in Berlin.
Gerald
Mertens Foto: Deutsche Orchestervereinigung
nmz: Wer trägt und leitet die in Berlin ansässige Geschäftsstelle
und was muss die Person mitbringen, die sich für diese Aufgabe
interessiert? Für wann ist die Eröffnung der Geschäftsstelle
geplant? Mertens: Die Geschäftsstelle des Netzwerkes
wird in der Landesmu-
sikakademie Berlin eingerichtet werden. Wir mieten dort geeignete
Räume. Die Landesmusikakademie ist ja selbst schon seit mehreren
Jahren in der Musikvermittlung aktiv, bereits bestehende Strukturen
können vom Netzwerk mitgenutzt werden. Das Bü-
ro soll ab August 2007 eingerichtet werden. Die Bewerbungsfrist
für die Geschäftsführung beziehungsweise Projektleitung
endet am 31. Juli. Wir suchen hierfür eine Persönlichkeit
mit erster Berufserfahrung in der Projektleitung und Vereinsgeschäftsführung.
In Betracht kommen vor allem Menschen aus dem Kulturmanagement,
die Bezug zur Konzertpädagogik und zur Musikvermittlung haben.
Ich hoffe, dass wir ab Herbst 2007 voll arbeitsfähig sein
werden.
nmz: Welche Serviceleistungen bietet
das njo und welche konkreten Angebote erhält ein njo-Mitglied? Mertens: Wir unterscheiden zwischen Mitgliedern
und Teilnehmern. Mitglieder können nur Verbände und Institutionen werden,
die das Netzwerk inhaltlich und finanziell tragen. Bei den Teilnehmern,
also den Nutzern, unterscheiden wir zwischen Einzelpersonen, einzelnen
Konzertpädagogen, Musiklehrern und so weiter und korporativen
Teilnehmern, Opern- und Konzerthäusern, Musikverlagen, Musikschulen,
Tonträgerherstellern, Veranstaltern et cetera. Alle Teilnehmer
sollen sich innerhalb ihrer Sparte, aber eben auch spartenübergreifend
zusammenfinden. Das heißt, dass das Netzwerkbüro zunächst
von sich aus aktiv bestehende Angebote einzelner Orchester, Verlage
oder Musikschulen erfasst, bündelt und dokumentiert und dann
zielgerichtet allen weiteren Teilnehmern passgerecht für deren
Bedürfnisse zur Verfügung stellt. Dies wird über
Datenbanken und Newsletter, aber auch über regelmäßige
Workshops, Weiterbildungen und Kongresse erfolgen. Der echte Mehrwert
für alle Beteiligten soll darin bestehen, dass zum Beispiel
bei einem ganz konkreten Musikvermittlungsprojekt eines Konzerthauses
der örtliche Konzertpädagoge mit einem Musikverlag und
einem Tonträgerhersteller zusammenarbeiten, vermittelt durch
das Netzwerkbüro. Das Büro soll vor allem als zentrale
Beratungs- und Koordinierungsstelle fungieren.
nmz: Wie steht es um die Finanzierung?
Sollen die Mitgliedsbeiträge
auf langfristige Sicht das gesamte njo tragen? Mertens: Die Sicherung einer nachhaltigen und
dauerhaften Finanzierung ist und war neben Satzungsfragen die wichtigste
Aufgabe in der
Vorbereitungsphase. Neben der Anschubfinanzierung durch die GVL
werden die Mitgliedsverbände
jährlich einen Grundbeitrag von 1.000 Euro und nach Maßgabe
ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit freiwillige Ergänzungsbeiträge
leisten. Wenn es uns gelingt, weitere Mitgliedsverbände, vor
allem aus Österreich und der Schweiz zu gewinnen, wird es
für alle erschwinglicher. Der Jahresbeitrag für ein korporatives
Mitglied beträgt 240 Euro, für ein Einzelmitglied erschwingliche
60 Euro, jeweils steuerlich absetzbar, sobald das Netzwerk vom
Finanzamt als gemeinnützig anerkannt ist.
nmz: Konzertpädagogische Arbeit für junge „Ohren“ ist
ein weites Feld, das nach einem enorm breiten Know-how in vielen
Bereichen der Musikvermittlung verlangt. Wer sind die Menschen,
die in erster Linie vom njo profitieren können? Mertens: Gerade zu Beginn des Netzwerkaufbaus
werden wir besonders darauf achten, dass alle Verbände, aber auch interessierte
Teilnehmer ihre Ideen und Vorstellungen einbringen können.
Es wird also kein „von oben herab“ geben, sondern ein
prozessstrukturiertes Entwickeln von Inhalten und Vernetzen von
Teilnehmern. Ein Beispiel: Ein Orchester will ein bestimmtes Kinderkonzertprojekt
gemeinsam mit einer Musikschule durchführen. Beide sind Teilnehmer
des Netzwerkes und können nun über das Netzwerkbüro
die vorhandenen Angebote verschiedener Musikverlage oder von anderen
Orchestern
oder Musikschulen durchgeführte Projekte und bereits ausgearbeitete
Materialien, vielleicht sogar Videodokumentationen abfragen und
anfordern.
nmz: Sollen rund um das Thema „Konzerte für Kinder“ auch
künstlerisch-praktische Begleitveranstaltungen stattfinden? Mertens: Ganz richtig. Ohne den Überlegungen
von Fachbeirat, Mitgliederversammlung und Vorstand vorgreifen zu
wollen, müssen wir voraussichtlich im Frühjahr 2008
eine erste größere Veranstaltung durchführen, um
möglichst viele potenzielle Netzwerkteilnehmer der verschiedenen
Sparten direkt anzusprechen. Danach kann man zur Workshop- und
Projekt-
arbeit übergehen. Der Netzwerkgedanke geht aber weit über „Konzerte
für Kinder“ hinaus; denken Sie an das Projekt „School
Tours“ der Deutschen Phonoakademie, das in das Netzwerk eingebracht
werden könnte, oder an bereits bestehende Projekte aus dem
Musikschulbereich. Hier kann und soll das Netzwerk ganz unterschiedliche
Partner zusammenbringen, die dann aus ihrer Kooperation bestehende
Musikvermittlungsprojekte ausbauen und neue entwickeln.
nmz: Sie haben bereits im vergangenen
Jahr in Kooperation mit JMD und der „Initiative Hören“ den „Junge-Ohren“-Preis
ausgelobt. Werden Sie diesen Preis auch im Rahmen des njo weiter
ausloben und wie gedenken Sie das Bewerbungs- und Ausschreibungsverfahren
dafür zu gestalten? Mertens: Die aktuelle Ausschreibung für Projekte aus der Spielzeit
2006/2007 läuft ja noch nach den alten Bedingungen. Zukünftig
soll der Preis aber vom Netzwerk direkt ausgeschrieben werden.
Ich denke, dass dabei der Fachbeirat zukünftig auch die Aufgabe
der Jury übernehmen könnte. Aber das wird demnächst
mit den Partnern abgestimmt und entschieden werden müssen.
Das Bewerbungsverfahren, also Einreichen ei-nes Projektberichtes
mit Begleitmaterialien und einer Videodokumentation, wird sich
wohl nicht wesentlich ändern. Ich hoffe, dass zukünftig
noch mehr Orchester, Konzerthäuser und einzelne Musikvermittler
ihre Produktionen einreichen werden.
nmz: Aus Ihrer Sicht als DOV-Geschäftsführer: Möchten
Sie die Orchester zwangsverpflichten, Mitglied im njo zu werden? Mertens: Es geht nicht um Zwangsverpflichtung,
es geht um die innere Überzeugung
von der Notwendigkeit von mehr Musikvermittlung. Und diese Erkenntnis
wächst. Wie anders ist es zu erklären, dass die musikpädagogischen
Angebote allein von deutschen Orchestern innerhalb von nur 2 Spielzeiten
um 75 Prozent gestiegen sind? Die Zahl von Workshops und Instrumentenpräsentation
in Schulen hat sogar um 128 Prozent zugenommen.
nmz: Es herrscht nach wie vor einhelliger Konsens
darüber,
dass es vielerorts an dem nötigen Qualitätsbewusstsein
mangelt. Welche Instrumente zur Qualitätssicherung haben Sie
angedacht? Mertens: Der „Junge-Ohren“-Preis ist ja bereits ein
Schritt in die Richtung einer Entwicklung qualitativer Maßstäbe.
Ich weiß aber aus eigener Anschauung und vielen Konzertbesuchen
mit meinen eigenen Kindern, welche guten und teilweise auch unbrauchbar
schlechten Versuche es beim Bemühen um das junge Konzert-
und Opernpublikum gibt. Das Netzwerk kann und wird hier nicht den
Oberlehrer spielen. Aber in Tagungen und Workshops wird zwangsläufig
zunehmend auch die Qualitätsdiskussion eine wichtige Rolle
spielen. Ziel wird sein, das Bewusstsein für gute und weniger
gute Projektarbeit zu entwickeln. Man muss ja auch bedenken, dass
sehr viele Musikvermittlungsprojekte vor Ort zunächst einmal
aus gutem Willen, aber mit wenig pädagogischem und handwerklichem
Know-how geschaffen werden. Da dann über Selbstreflexion und
-erkenntnis der Ausführenden eine Verbesserung herbeizuführen,
könnte eine weitere der herausragenden Funktionen des Netzwerkes
sein.
nmz: Das njo ist in erster Linie für Praktiker und potenzielle „Macher“ gedacht.
Welchen Rolle spielt bei Ihnen die Wissenschaftlichkeit, ohne die
eine wünschenswerte Basis gesicherter Erkenntnis im Bereich
der Konzertpädagogik wohl nicht wird wachsen können? Mertens: Die wissenschaftliche Seite werden wir nicht vernachlässigen
dürfen, wenn wir dauerhaft glaubwürdig sein wollen. Hier
wird aber viel von den Kooperationsmöglichkeiten seitens der
Universitäten und Hochschulen abhängen. Das Netzwerk
alleine wird die Aufgabe wissenschaftlicher Begleitung nicht stemmen
können. Wenn sich aber Hochschulpartner für Projekte
und Studien anbieten, wird man hierfür gewiss auch Wege finden.
nmz: Es war schon von Datenbanken die Rede: Was sollen diese
konkret beinhalten? Mertens: Als Musikvermittlungsnetzwerk sind die Aufgaben breit
angelegt. Für das Thema Datenbanken bedeutet das: Recherchemöglichkeiten
nach bestimmten Musikstücken, Partituren, Noten- und Begleitmaterial,
aber auch nach Verlagen, Kontaktadressen, Ansprechpartnern. Die
größte inhaltlich-technische Herausforderung wird sein,
neben der Schaffung einer eigenen Infrastruktur, bereits bestehende
Datenbanken und -sammlungen zu verknüpfen.