nmz 2007/07 | Seite 24
56. Jahrgang | Juli/Aug.
Musikbildung
Wenn die ganze Klasse musiziert
Zweites Symposium zum Thema Klassenmusizieren in Deutschland
in Staufen
Klassenmusizieren ist in Schulen und Musikvereinen auf dem Vormarsch.
Die Experten sind sich jedoch uneinig über die pädagogische
Substanz des Konzepts. Handelt es sich um vorsintflutliche Massenabfertigung
oder um ein innovatives und zeitgemäßes päda-gogisches
Konzept, wenn die „Klasse musiziert“? Wichtige Fragestellungen
für das gleichnamige Symposium der BDB-Musikakademie in Staufen
im Oktober 2007.
Erfolgsmodell Klassenmusizieren. Wie vielerorts in Deutschland
hat sich das pädagogische Konzept auch im Stundenplan der
Grundschule der badischen Kurstadt Bad Krozingen etabliert. „Unsere
Bläserklasse findet in guter Zusammenarbeit mit der Jugendmusikschule
statt und ist heute nicht mehr wegzudenken“, erklärt
die Musiklehrerin Bärbel Thielking. Klassenmusizieren finde
in ihrer Schule seit einigen Jahren großen Zuspruch und habe
sich mittlerweile sogar fast zum Selbstläufer entwickelt,
so Thielking. „Der Zuspruch unter den Jugendlichen und in
der Bevölkerung wird immer größer.“
Experten auf dem Gebiet der Musikpädagogik sehen diese Entwicklung
nicht ganz so euphorisch. Was die einen als innovatives, zeitgemäßes
Konzept mit ganz neuen Möglichkeiten der Instrumentalpädagogik
bejubeln, ist für Kritiker ein Rückschritt in die vorsintflutliche
Massenabfertigung ohne musikpädagogischen Anspruch. Doch was
ist wirklich dran, an der mittlerweile seit über 20 Jahren
erprobten Praxis des Musizierens in der Klasse?
„
Das Klassenmusizieren stellt, wenn es die Prinzipen der Pädagogik
einhält, ein sehr gutes und zukunftsweisendes Modell dar,
breiteren Jugendschichten den aktiven Erfahrungsraum Musik zu ermöglichen“,
erklärt Michael Stecher, Musikpädagoge und Buchautor.
Allerdings werde das sehr gute musikpädagogische Konzept in
der Praxis oft falsch verstanden und durchgeführt, bedauert
Stecher. „Wir geben uns oft dem bequemen Trugschluss hin,
dass sich eine grundlegende musikalische Kompetenz einstellen wird,
wenn die Schüler nur genügend üben und lange genug
Unterricht haben“, erläutert der Experte für Musikpädagogik.
Gleichzeitig würde zu wenig hinterfragt, ob das eigene musikpädagogische
Wirken den Schüler wirklich in die uneingeschränkte Selbständigkeit
führe. „Wir sollten den musisch mündigen Menschen
bilden. Nicht was wir lernen sondern wie wir lernen ist ausschlaggebend
dafür, was und wie wir hörend erkennen“, postuliert
Michael Stecher. Seine Erkenntnisse: Klassenmusizieren verfolgt
andere Ziele und ist nicht vergleichbar mit herkömmlichem
Einzelunterricht.
Dementsprechend wichtig ist eine professionelle Schulung der verantwortlichen
Personen. „Die zuständigen Lehrkräfte sollten alle
Schüler in der Großgruppe gut beobachten und einschätzen
können“, rät Stecher. Deshalb sei es auch sinnvoll
oder gar unverzichtbar, in einem Team mit mehreren Lehrern zu unterrichten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Klassenmusizieren sollte immer von
Einzel- oder Partnerunterricht durch professionelle Instrumentalausbilder
begleitet werden.
„In der Praxis existiert eine Vielzahl an Modellen des
Klassenmusizierens, mit einer breiten Auswahl an Methoden“, weiß Franz
Schulte-Huermann. Der Leiter der Musikschule im nordrhein-westfälischen
Lüdenscheid leitet seit 20 Jahren selbst Bläserklassen
und verfügt nicht zuletzt deshalb über einen breiten
Erfahrungsschatz. Gemeinsam mit Michael Stecher will er im Oktober
nicht nur verschiedene Kombinationen dieser Methoden vorstellen.
Im Rahmen des Symposiums „Klasse musiziert“ an der
BDB-Musikakademie in Staufen wollen die beiden Experten die verschiedenen
existierenden Modelle gegenüberstellen.
Durch die Integration von Kindern und Jugendlichen bestehender
Bläserklassen werden die Modelle in der BDB-Musikakademie
praxisnah vorgestellt und wichtige Aspekte erarbeitet. Die Teilnehmer
sollen jedoch auch zur kritischen Auseinandersetzung mit diesem
Thema angeregt werden. „Das Symposium stellt eine offene
Plattform dar, auf der man sich umfangreich informieren, austauschen,
diskutieren und seine Erfahrungen mit einbringen kann,“ erläutert
Christoph Karle die Inhalte der Fortbildungsveranstaltung, die
bereits zum zweiten Mal in Staufen stattfindet.
„Wir werden dieses Symposium jährlich mit aktuellen Themen
und zusätzlichen Dozenten erweitern“, verspricht Karle.
Langfristig soll so auch eine Dokumentation zu diesem wichtigen
musikpädagogischen Themenfeld entstehen. Zunächst rückt
jedoch die zweite Auflage der Fortbildungsveranstaltung in den
Mittelpunkt. Die findet vom 22. bis 25. Oktober 2007 in Staufen
statt. Wenn alles läuft wie geplant, können die Teilnehmer
dort übrigens auch die Bläserklasse der Grundschule in
Bad Krozingen live erleben. Die Schützlinge von Bärbel
Thielking überzeugten bereits im letzten Jahr durch einen
erstaunlichen Klangkörper und ihre Disziplin. Denn auch die
ist wichtig, wenn Klasse musiziert.
Georg Bruder
Weitere Informationen:
www.bdb-musikakademie.de Bund Deutscher
Blasmusikverbände e.V.
BDB-Musikakademie
Alois-Schnorr-Str. 10
79219 Staufen
Tel. 07633/70 15