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nmz-archiv
nmz 2007/07 | Seite 42
56. Jahrgang | Juli/Aug.
Bücher
Ein Rhapsodiker wie er im Buche steht
Erroll Garner: Ernst Burgers jüngste biographische Publikation
ist einem Jazzpianisten gewidmet
Ernst Burger: Erroll Garner. Leben und Kunst eines genialen
Pianisten, ConBrio Verlagsgesellschaft, Regensburg 2007, 220 S., Abb., CD,
€ 49,90,
ISBN 978-3-932581-81-6
„Huhhh-tschi-kuuuh-tschi-kuuuh!“ Ein pianistisches
Schwergewicht wie Oscar Peterson konnte sich durch diesen Shout
durchaus noch angestachelt fühlen, anderen aber ließ die
Anwesenheit des im Publikum sitzenden Klaviergiganten regelmäßig
das Blut in den Adern gefrieren und den Händen den pianistischen
Dienst versagen. George Shearings Äußerung „...bitte
geh, damit ich spielen kann“, ist in diesem Zusammenhang
ebenfalls legendär.
Ernst Burger, dessen Namen man gemeinhin mit profunden Publikationen
zu herausragenden Künstlerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts
verbindet, schließt mit seiner Biographie des Jazzpianisten
Erroll Garner eine über lange Zeit klaffende Lücke. Allzu
lange, möchte man meinen, hat man sich einmal dem Sog dieses
Buches ergeben. Dabei ist es nicht der Schreibstil Burgers, der
die Faszination erzeugt, vielmehr hält sich der Autor dezent
im Hintergrund und lässt das Genie wie auch den liebenswerten
Menschen Garner vorwiegend durch die Äußerungen und
Resonanzen von Zeitzeugen, Musikerkollegen, Bewunderern und Verehrerinnen
plastisch werden.
Dass Kritiker und Neider des Jahrhundertmusikers so gut wie gar
nicht zu Wort kommen, ist nicht auf eine tendenziöse Auswahl
der Beiträge zurückzuführen, sondern auf eine Persönlichkeitsstruktur,
die bei wirklich großen Künstlern – leider – selten
diagnostiziert werden kann: Im Falle Garners scheinen Begabung,
Inspiration, Charme, Menschlichkeit und Bescheidenheit zu perfekter
Symbiose gefunden zu haben, bei der substantielle Kritik schlichtweg
keine echten Angriffsflächen findet. Wäre da nicht der
auch heute noch vor sich hingärende Vorwurf, der Pianist hätte,
verglichen mit anderen epochalen Jazzgrößen, keine nennenswerten
musikalischen Folgeerscheinungen hervorgerufen. Wie denn auch,
so fragt man sich beim Hören der garner’schen Plattenschätze:
Sind doch die Besonderheiten seines Stils allesamt extrem individuell
geprägt. Seine rhapsodischen, unberechenbaren Intros sind
zwar transkribierbar, sterben aber nachempfunden den grausamen
Tod der kunsthandwerklichen Reproduktion. Seine mit erschütternder
Leichtigkeit und Präzision hingeworfenen Akkordkaskaden in
closed voicings kann man schon üben, hier aber dürfte
die Messlatte für die meisten wohl zu hoch gesteckt sein.
Die respektvollen, ja bewundernden Äußerungen von berühmten
Klavierkollegen aus dem klassischen Genre verdeutlichen dies. Und
schließlich das berühmte „timeshifting“ zwischen
den beiden Händen, vor dem sogar Groove-Götter wie Oscar
Peterson und Duke Ellington freiwillig und gerne ihr Knie beugten.
Garners differenzierter Umgang mit dem Timing ist mit Sicherheit
der Hauptgrund für das Glücksgefühl, welches sich
beim Hören seiner Musik unweigerlich einstellt.
Musikalischer Intellekt, avantgardistisches Denken oder Virtuosität
werden da zu Kriterien zweiter Ordnung. All dies taugt nicht zur
Gründung einer „Garner-Schule“ im Sinne der Weiterentwicklung,
allenfalls zu zitierender Imitation, unter Pianisten auch „Garnern“ genannt.
Derartige ästhetische Reflexionen und wiederum deren Abwägung
finden sich in Burgers Buch in stimmiger Balance mit fantastischem
Bildmaterial, biographischen Aspekten, einer faszinierenden Darstellung
des künstlerischen Umfeldes Garners und seines genreübergreifenden
Publikums, und schließlich mit dem Versuch, das Wesen von
Garners schier grenzenloser musikalischer Originalität herauszuarbeiten
und sprachlich darzustellen. Obwohl dies dem Autor, auch hier wiederum
geschickt gestützt auf die Äußerungen kompetenter
Musikerkollegen, bemerkenswert gut gelingt, verlässt er sich
nicht allein darauf: Burger – selbst Musiker – fügt
der Biographie in dem Wissen, dass Sprache Musik nicht erklären
kann, eine exquisit und exklusiv zusammengestellte CD mit repräsentativen
Aufnahmen des Meisters an. Sie besitzt ohne Zweifel Suchtpotential
und spätestens jetzt ist die eingehende Beschäftigung
mit der detaillierten Diskographie im Anhang des Werkes unvermeidlich.
Das utopische Verlangen, sie alle – und bitte in Vinyl – zu
besitzen, kann sogar die Wiederaufnahme lange vernachlässigter
verwandtschaftlicher Beziehungen – vorzugsweise zur älteren
Generation und deren Plattenschränken – zur Folge haben.
Was könnte mehr im Sinne des „lustigen Meisters“ sein?