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nmz-archiv
nmz 2007/07 | Seite 39
56. Jahrgang | Juli/Aug.
Rezensionen-CD
Sterne, Stundenbuch und Klänge des Lebens
CDs und Partitur: Peter Michael Hamel, Wilfried Hiller und Hans
Otte in einem Schuber vereint
Peter Michael Hamel: Vom Klang
des Lebens; Wilfried Hiller: Buch der Sterne; Hans Otte: Stundenbuch.
Roger Woodward, Silke Avenhaus, Klavier.
Celestial Harmonies P.O. Boc 30122
Drei große Klavierzyklen
aus neuer Zeit! Hillers „Buch
der Sterne“ auf die 88 Sternenbilder (das sind 88 Klavierstücke
für die 88 Klaviertasten) sind mehr als zwei Stunden lang,
Ottes Stundenbuch mit 48 Stücken und Hamels „Vom Klang
des Lebens“ mit 12 Stücken dauern jeweils etwa eine
Stunde. Wir haben drei Kompendien zeitgenössischer Techniken
wie auch ästhetischer Ansätze vor uns.
Wilfried Hiller (gespielt von Silke Avenhaus) ließ sich durch
die mit den Sternenbildern verbundenen Assoziationen zu einer weit
gespannten Folge von Charakterstücken anregen, die eine Fülle
von gedanklichen Querverbindungen, launigen Einfällen, tiefgründigen
philosophischen Gedankengängen und natürlich immer andere
spielerische Techniken einbringen. Hiller hat über 40 Jahre
(1962 bis 2006) an diesem Zyklus gearbeitet, vor allem der Sternenhimmel
der griechischen Insel, wohin er sich immer wieder zum Komponieren
zurückzieht, ließ wohl den Wunsch reifen, die sporadischen
Anfänge zu einer Totalität aller Sternenbilder auszubauen.
Und wie so oft bei Hiller lassen sich seine Gedanken von dem geschichtlichen
Hintergrundsspektrum des Gegenstands befruchten. Die Musik lebt
auch aus der Weite der Verknüpfungen mit Astrologie und Astronomie,
aus der Fülle der am Sternenhimmel entfachten Gedanken bis
ins Unendliche hinein. Und jedes Stück fokussiert, das geht
aus dem jeweiligen Titelzusatz hervor, auf einen ganz bestimmten
Blickwinkel (etwa „Horologium – die Pendeluhr des Joseph
Haydn“ oder „Grus – Totenklage des Kranichs“ und
so weiter). So ergibt sich eine bunt wechselnde Vielfalt mit jeweils
spezifischen pianistischen wie charakterlichen Anforderungen.
Hamels 1992 bis 2006 entstandener Zyklus „Vom Klang des Lebens“ (Pianist:
Roger Woodward) ist eine Folge von „In memoriam“-Stücken,
eine weite Reise durch signifikant die Moderne prägenden Ansätzen
in reflexiver Spiegelung Hamels. Eine Reise ist es ganz bildlich,
den Rahmen bilden zwei Stücke auf John Cage, die mit Abreise
(erstes Stück) und Ankunft (zwölftes Stück) bezeichnet
sind.
Dazwischen begegnen wir Musikern wie Miles Davis, Morton Feldman,
Olivier Messiaen, Giacinto Scelsi, Iannis Xenakis und anderen.
Die Musik, die Hamel schrieb, ist eine ganz persönliche schöpferische
Antwort auf deren Anregungen. Wie bei Hiller ist durch die so divergierenden
Anregungen ein weites Spektrum unterschiedlichster Charakteristika
entstanden. Hamel (nebenbei Gratulation zum 60.!) stellt eine höchst
inspirierte Landschaft „seiner“ Moderne vor, eine Landschaft
mit vielen Fenstern in divergierende Richtungen.
Hans Ottes „Stundenbuch“ (1991 bis 1998, gespielt ebenfalls
von Roger Woodward) ist viel einheitlicher und mehr nach innen
gewendet. Anregungen mag man in frühen Arbeiten von Morton
Feldman oder von Earl Brown vermerken, die Stücke schweifen
frei in der Zeit, sind nicht an Taktstriche gebunden, sie wirken
zum Teil wie Kalligraphien. Gerade in dieser Innerlichkeit aber
sind sie von suggestiver Kraft geprägt, eine Änderung
der Faktur schließt andere Tiefendimensionen auf: Die schwebenden
Klänge, ganz abstrakt, besitzen in sich ruhende Weite.
Alle Stücke, das ist ein verbindender Aspekt, sind von einem
guten Pianisten (also keinem Virtuosen) durchaus zu bewältigen,
sie wären zum Beispiel auch ganz plastisch im Klavierunterricht
einzusetzen. Und hier kommt ein zweiter Aspekt der Box hinzu, es
sind drei Bücher beigefügt. Es sind die Partituren! Musik
spricht aus sich heraus, es braucht keine Worte. Aber das Hören
soll den Reiz am Spielen anregen und dafür wird das Material
bereitgestellt. Und wer sich anders nähern will, wer sich
also zunächst ans Klavier setzt und die Stücke erarbeitet,
kann dann überprüfen, wie ein anderer Pianist die Stücke
sieht und gestaltet. Das ist vielleicht das Schönste an dieser
rundum gelungenen und anregenden Box.