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nmz-archiv
nmz 2007/07 | Seite 42
56. Jahrgang | Juli/Aug.
Rezensionen - DVD
Tonsetzer, filmisch in Szene gesetzt
Weitere Komponistenporträts der Serie „Juxtapositions“ bei
Ideale Audience
„
Man kann Musik mit beinahe nichts kreieren. Sozusagen ohne Materie,
einfach, weil etwas passiert, das das Nichts in Bewegung umwandelt.“ Wenn
György Kurtág am Ende des Films „The Matchstick
Man“ das Perpetuum Mobile aus seiner Sammlung „Játekok“ über
die Tasten wandern lässt, wird dieses Credo ganz selbstverständlich
zu Klang.
Judit Kele ist es gelungen, diesem faszinierenden Komponisten
ganz ohne private Nabelschau sehr nahe zu kommen, und sie hat den
Schlüssel
dazu in der Musik gefunden. Kurtág bei der Probenarbeit
zu eigenen oder fremden Werken zu beobachten, heißt, musikalisch
notierte Gesten unmittelbar in körperliche übergehen
zu sehen. Die Reduktion der Mittel bedeutet für ihn keinen
Rückzug in eine unverbindliche Einfachheit, sondern eine Konzentration
auf die Ausdrucksbereiche, in denen eine Trennung von geistiger
Verdichtung und körperlicher Anspannung nicht mehr möglich
ist. Die als Zugabe beigestellten Ausschnitte mit dem Orlando Quartett
und Miklós Perényi intensivieren diesen Eindruck
und ermöglichen die Fokussierung auf das Einzelwerk. Von den
ursprünglich geplanten inszenierten Elementen hat Judit Kele
am Ende nur wenige in den endgültigen Film übernommen,
als wiederkehrendes Symbol bleibt die Schneekugel, ein Kosmos in
der Miniatur.
Ä
hnlich der Zugang zu Peter Eötvös: Auch in „The
Seventh Door“ wollte Kele den Komponisten als Schauspieler
einsetzen, beschränkte sich am Ende aber auf ein inszeniertes
Gliederungselement, das an Bartóks „Herzog Blaubart“ angelehnt
ist, ein Stück, das zu Eötvös’ Repertoire
als Dirigent gehört. Pierre Boulez bringt die Blaubart-Metapher
der sieben Türen für die Charakterisierung seines Kollegen
ins Spiel, womit er keine dunklen Seiten, sondern eine Vielschichtigkeit
meint, die sich bei näherer Bekanntschaft erweise. Judit Kele
entwickelt daraus sieben grob chronologische Kapitel, die mal das
kompositorische Werk, mal den nachschöpferischen Akt in den
Mittelpunkt stellen, zwei Seiten musikalischer Betätigung,
die für Eötvös untrennbar verbunden sind. Zielpunkt
ist als „siebte Tür“ und als Summe seines Schaffens
bis dahin die Tschechow-Oper „Drei Schwestern“.
Ebenso wie Eötvös ist auch Pierre Boulez ein Komponist,
der seine Musik mit unprätentiöser Klarheit zu verbalisieren
versteht. Und so profitiert auch Frank Scheffers Arbeit von der
Konzentration auf das Einzelwerk, in diesem Fall auf „Eclat“,
das dem Film auch den Namen gibt. Wir verfolgen die Einstudierung
dieses Schlüsselwerks durch das Nieuw Ensemble unter Ed Spanjaard
und Boulez’ präzisen Erläuterungen seiner Intentionen.
Dass die Struktur des Werkes auch auf die des Films übergreift,
ist ein Kunstgriff, von dem man nichts wissen muss, um zu spüren,
dass das Medium sich ganz auf der Höhe des Kunstwerks bewegt.
Kaum minder faszinierend der Mitschnitt einer Konzerteinführung
mit Boulez in der Pariser Cité de la Musique, der die Ausfaltung
des kurzen Klavierstücks „Incises“ zum (anschließend
auch komplett gespielten) Ensemblewerk „Sur incises“ mit
beispielhafter Klarheit vermittelt. Besser kann man das im Konzert
kaum machen und besser kann man das wohl auch filmisch kaum umsetzen.
Frank Scheffers Film über Elliott Carter vermag dieses Niveau
nicht ganz zu halten. Der von Carter selbst und anderen Interviewpartnern
immer wieder hervorgehobene Faktor Zeit – auf den auch der
Filmtitel „A Labyrinth of Time“ anspielt – wird
in seinen Auswirkungen auf die Faktur der Werke nie wirklich plastisch.
Die gestellten Szenen mit Carter (die anders als bei Judit Kele
aber nicht so wirken sollen) entgehen nicht ganz der Gefahr der
Betulichkeit. Ein schöner Moment ereignet sich freilich in
der Pariser „Ecole normale de Musique“, wo Studierende
dem Komponisten bei dessen Besuch seine im Unterricht bei Nadia
Boulanger entstandenen makellosen Kontrapunktstudien vorsingen.
Auch Georges Aperghis ist in Catherine Maximoffs Film „Storm
Beneath a Skull“ kein sonderlich ergiebiger Gesprächspartner.
Querverbindungen zwischen seinen Werken negiert er, was bleibt,
ist die Reflexion über die Ausführbarkeit seiner hochdiffizilen
Stimmverfremdungen, die – so Aperghis – die Interpreten
bewusst überfordern und die nach dem Konzert auch schon einmal
einen besorgten Phoniater auf den Plan rufen. Großartig der
Bonus-Film: der fabelhafte Mitschnitt von Aperghis’ einigermaßen
verstörender Rotkäppchen-Version mit dem ausgezeichneten
Ensemble Reflex.
Juan Martin Koch
György Kurtág – The Matchstick Man, Peter Eötvös – The
Seventh Door. Filme von Judit Kele. Ideale Audience DVD9DS16
(Vertrieb: Naxos) Pierre Boulez – Eclat. Ein Film von Frank Scheffer. Sur Incises – Ein
Film von Andy Sommer. Ideale Audience DVD9DS15 Elliott Carter – A Labyrinth of Time. Ein Film von Frank
Scheffer. Ideale Audience DVD9DS17 Georges Aperghis – Storm Beneath a Skull. Ein Film von
Catherine Maximoff. Ideale Audience DVD9DS18