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2007/07 | Seite 32
56. Jahrgang | Juli/Aug.
ESTA
War Paganini Linkshänder?
Gedanken über ein Tabu-Thema der Streicherpädagogik
Während eines Konzertes mit Werken von Niccolo Paganini geriet
ein linkshändiger Kollege ins Grübeln über die gehörten
Stücke und stellte die oben genannte Vermutung an. Betrachtet
man die Schwierigkeiten, die Paganinis Kompositionen der linken
Hand des Geigers bereiten und setzt sie in Relation zu den eher
mechanischen, quasi aus einer „Krampfbewegung“ resultierenden
Aufstrichstaccati und Sautilléstrichen, so kann man zu dem
Schluss kommen, dass Paganini in seinen eigenen Werken versucht
hat, die klangmalerische Funktion des rechten Armes einzuschränken
zugunsten einer Hexerei der Finger der linken Hand.
War Paganini Linkshänder und kannte die Schwierigkeiten des
nicht dominanten Armes als Klanggestalter? Warum denkt man bis
heute so wenig über die Schwierigkeiten nach, die ein linkshändiger
Streicher mit seinem Instrument haben kann? Während linkshändige
Gitarristen, wie Jimi Hendrix, schon seit einiger Zeit einfach
die Saiten tauschen, ist dies in der Streicherpädagogik bis
heute kein Thema. Der linkshändige und links streichende Geiger
Martial Gauthier, Gründer des Castagneri- Quartetts und Professor
an der „école nationale de musique“ in Créteil
berichtete auf der 35. Internationalen ESTA-Konferenz in Cremona über
Vorurteile und seine Erfahrungen mit Professoren, Juroren und Orchesterdirektoren.
Links, „gauche“, ist das Gegenteil von „droit“,
rechts, das Wort „le droit“ ist synonym mit „Recht“,
so wie auch im Deutschen „rechts“ mit „Recht“ und
richtig ethymologisch eins ist. „Gauché“ hingegen
bedeutet nicht nur linkshändig, sondern auch ungeschickt,
ja sogar etwas durchgedreht und verrückt, im Deutschen nennt
man einen Menschen linkisch und man kann einen anderen linken.
Während also alles, was sprachlich mit der rechten Seite zu
tun hat, positiv besetzt ist, ist die linke Seite negativ.
Gauthier listete seine Erfahrungen auf, angefangen bei seinem
ersten Lehrer, der ihn mit umgespannten Saiten machen ließ, über
seinen vergeblichen Versuch, unter Qualen und Schmerzen doch umzulernen,
da ihm sonst ein Leben als Berufsmusiker verwehrt sei, bis zu seinen
Erfahrungen in Wettbewerben, die er dann wider alle Ratschläge
und Erwartungen bestreiten konnte und sogar gewann. Sein eigenes
starkes Gefühl, dass es so „verkehrt herum“ für
ihn recht und richtig sei, ließ ihn schließlich alle
Widerstände überwinden. Sein Fazit nach allen Wettbewerben:
Als „Linksgeiger“ bleibt man den Juroren im Gedächtnis,
was oft ein Vorteil ist.
Allerdings, wo sind die Orchesterstellen für Linkshänder?
Laut Untersuchungen sind 15 Prozent der Bevölkerung linkshändig,
dennoch ist den meisten nicht bewusst, dass auch eine Geige „seitig“ gebaut
ist. Die Pädagogen sind hier in der Verantwortung, abzuwägen
und gemeinsam mit Schüler und Eltern eine Entscheidung zu
treffen. Vielleicht verhindern sie eine Karriere, aber schaffen
einen Menschen, der mit der Musik glücklich ist, vielleicht
auch gerade das Gegenteil. Martial Gauthier hat bewiesen, dass
sich Karriere und körperliche und seelische Zufriedenheit
nicht ausschließen müssen, wenn links das Rechte ist.